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September
Im deutschen Kino stehen zurzeit Spielfilme hoch im
Kurs, in denen mehrere Geschichten mit unterschiedlichen Charakteren und Schicksalen
miteinander verflochten sind. Verknüpft etwa „Ein Schiff wird kommen”,
der am 17. Juli im Kino startet, mehrere Handlungsstränge zu einer einheitlichen
Story, so entscheiden sich andere „Ensemblefilme“ – wie der deutsche Berlinale-Wettbewerbsbeitrag
„Lichter”, der am 31. Juli im regulären Kinoprogramm
anlaufen wird – dafür, verschiedene, sich immer wieder überschneidende
Handlungen parallel zu erzählen.
Max
Färberböcks „September“, der an der Wettbewerbsreihe „Un certain regard“
des diesjährigen Filmfestivals Cannes teilnahm und nun im deutschen Kino
aufgeführt wird, schildert die Auswirkungen des 11. September 2001 auf
vier in der Einschätzung der Filmemacher „ganz normale Paare“ in Deutschland.
Weil
für jede Story ein anderer Drehbuchautor oder eine andere Drehbuchautorin
verantwortlich zeichnet, wundert es gar nicht, dass die verschiedenen Episoden
teilweise große Unterschiede aufweisen.
Ein
Handlungsstrang handelt vom Banker Philipp Scholz (Justus von Dohnanyi), dessen
Ehe kurz vor der Scheidung steht: seine Frau Julia (Catharina Schuchmann) wird
von den Ereignissen am 11. September emotionell aus der Bahn geworfen, was allerdings
dazu führt, dass Philipp zu seiner Familie zurückfindet. In einem
zweiten Erzählfaden entfremden sich der pakistanische Pizzabäcker
Ashraf (René Ifrah) und seine Lebensgefährtin, die hochschwangere
Lena (Nina Proll), weil der Pakistani kein Wort des Mitleids findet, sondern
eher mit seinen Freunden „feiert“.
Die
dritte Episode handelt vom Hamburger Polizisten Helmer (Jörg Schüttauf),
der zu seinem pubertierenden Sohn keinen Zugang findet und sich auch deshalb
von seiner herzenskranken Frau Susanne (Solveig Arnarsdottir) immer mehr distanziert.
In der vierten Story versucht der linksliberale Feuilletonist Felix (Moritz
Rinke) den passenden Zeitungsartikel zu schreiben, und entfacht dabei einen
Streit mit seiner politisch bewussten Freundin Natascha (Stefanie Stappenbeck),
weil sie erkennt, dass es ihm nicht um die Sache, sondern lediglich um seine
Eitelkeit geht. Dass Drehbuchautor Moritz Rinke, der Felix höchstpersönlich
spielt, in diese Story zwei Sexszenen hineinschmuggelt, erweckt den Eindruck,
der Narzissmus dieser Figur könnte möglicherweise nicht bloß
gespielt sein. Wird zu diesen vier voneinander unabhängigen Geschichten
noch die Story der Nachrichtensprecherin Sandra (Anja Kling) hinzugezählt,
so behandelt „September“ gar fünf Episoden.
Das
eigentliche Problem an der Dramaturgie von „September“ liegt indessen nicht
primär an dieser Heterogenität, zumal sie auch in der Absicht des
Regisseurs lag: „Die Wochen nach dem 11.9. wurden als widersprüchlich,
unzusammenhängend und disharmonisch empfunden. Deshalb habe ich von Anfang
an versucht, alles zu vermeiden, was zu einer großen Harmonisierung gedient
hätte.“ Wenn jedoch immer wieder von einem Erzählfaden zu einem beliebig
anderen geschnitten wird, und die Handlungsstränge eher willkürlich
nebeneinander laufen, als dass sie miteinander verknüpft würden, dann
darf der filmische Ansatz als verfehlt eingeschätzt werden.
Als
ebenfalls zu unterschiedlich erweist sich die Schauspielkunst der Akteure: Kann
dem Schriftsteller und Theaterautor Moritz Rinke, der hier einen Ausflug ins
Schauspielfach wagt, nach diesem Film getrost empfohlen werden, bei seinen Leisten
zu bleiben, so ist die Entdeckung Catharina Schuchmann unbedingt als sensationell
zu bezeichnen. Die Vierzigjährige gibt in „September“ ihr absolutes Spieldebüt:
vorher hatte sie weder im Theater noch im Fernsehen oder Film gespielt. Und
doch gehört die fünffache Mutter zu den wenigen Darstellern in „September“,
die ihren holzschnittartigen Figuren Leben einhauchen.
Verglichen
mit dem gelungen uneinheitlichen Episodenfilm „11‘09“01“,
zu dem elf Regisseuren aus verschiedenen Kulturkreisen und mit unterschiedlicher
Handschrift je einen Kurzfilm (11 Minuten, 9 Sekunden, 1 Bild) beitrugen, und
der bereits im September 2002 aufgeführt wurde, wirkt „September“ eigentümlich
verstaubt, obwohl er ein Jahr später fertiggestellt wurde: Max Färberböck
gelingt es nicht, eine ansatzweise Aufarbeitung des 11. Septembers zu liefern.
Was in „September“ indes weit mehr befremdet, ist die Nabelschau einiger Männer
und Frauen, denen ihre eigenen Beziehungskrisen unendlich näher sind als
das Mitleid mit den Opfern der Katastrophe.
José
García
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
September
Regie:
Max Färberböck
Darsteller:
Justus von Dohnányi, Catharina Schuchmann, Jörg Schüttauf,
Sólveig Arnarsdóttir, Nina Proll, René Ifrah, Moritz Rinke,
Stefanie Stappenberg, Anja Kling
Deutschland
2002
99
Minuten
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