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Das
serbische Mädchen
Auf den serbischen Feldern liegt Schnee. Temperatur
minus 15 Grad. Dobrila (Mirjana Jokovic) ist grade 18 und schon im zweiten Monat,
als sie nach Hamburg fährt, um Achim (Ben Becker) wiederzusehen. Wenn sie
enttäuscht, inzwischen im achten Monat, zurückkommt, liegt Schnee
auf Serbiens Feldern, Temperatur minus 15 Grad. Die Jahreszeit stimmt nicht,
wohl aber das Gefühl. Dobrila macht sich Mut, fährt Fahrrad und singt
eine heimatliche Melodie. Getröstet wird vor allem der Zuschauer, der die
Ausländerin, die der deutschen Sprache unkundig ist, beruhigt in ihrem
Vaterland zurücklassen kann. Obwohl doch, erinnert man sich an die ersten
Bilder des Films, das Familienleben zum Weglaufen gewesen war.
Daß sich der Hin- eine Rückreise anschließt,
schafft nicht nur dem netten, aber oberflächlichen Achim, sondern auch
der Ausländerpolizei ein Problem vom Hals. - Der Film übererfüllt
seine Pflicht, die Förderungs- und Sponsorenzonen abzureisen - vom Sendegebiet
RTV Ljubljana zu dem des Bayerischen Rundfunks und von dort zur Förderungszone
des Film Fonds Hamburg. Was dazwischen liegt, wird von den Zuständigkeitsbereichen
der Filmförderungsanstalt und des Bundesinnenministeriums abgedeckt. Dramaturgisch
erfüllt das Hin- und Zurück-Movie den Zweck, die Hauptperson des Films
als Vehikel zu nutzen, um einen Blick von außen auf unser Land zu werfen.
Der Regisseur führt dem serbischen Mädchen, d.h. einer Instanz auf
Zeit, allerlei Deutsches vor, Touristisches und Signifikantes, Falsches und
Wahres. Blick auf den Baumwall mit U-Bahn und Hafen, die Aussicht vom Loft in
den Grindelhochhäusern auf den Fernsehturm. Und die Hamburger Möwen
kreischen vor dem Fenster.
Die Stärke des Films liegt jedoch in seinen
bizarren Kurzinszenierungen. Eine schier unerschöpfliche Schar von Nebendarstellern
führt moralische und exemplarische Sketche nationaler Tugenden und Untugenden
vor, eingebettet in stimmungsvolle und melancholische Landschaftstotalen, die
die Seele öffnen. Pflichterfüllte Beamte jagen eine Ausländerin.
Ein Denunziant verrät den Fluchtweg. Der Pförtner einer psychiatrischen
Anstalt hält sich an seine Vorschriften. Und Achims Boss (Charlie Rinn)
sorgt auf dem Blumengroßmarkt vor dem Alpenveilchenstand der Firma Heino
Puttfarcken für die Einhaltung der Arbeitszeit.
Aber das serbische Mädchen erfährt auch
Solidarität. Der ältere Herr im Zug (Hans Paetsch) rezitiert „Ich
weiß nicht, was soll es bedeuten". Fuijita (Takahiro Murajama) bereitet
ihr im Skandinavienexpress - von Ausländer
zu Ausländer - ein japanisches Essen. Und der Mopedfahrer schenkt ihr einen
selbst ausgestopften Falken.
Peter Sehrs Film - DAS SERBISCHE MÄDCHEN ist
sein Spielfilmdebut - lebt von der dokumentarischen Genauigkeit dieser vielen
Kurzinszenierungen. Es gehört schon ein großes Talent dazu, den dramaturgischen
Schwächen zum Trotz, sozusagen von unten her zu einer stattlichen Summe
punktueller Wahrhaftigkeiten zu kommen. Dafür, daß sich das Gefüge
des Films von innen heraus so eindrucksvoll verdichten konnte, tragen vor allem
die poetischen, stets weiter verweisen wollenden Totalen der Kamera bei (Dietrich
Lohmann), - freilich nur solange die wenig sensible Servicewellenmusik schweigt.
Musikalisch ein Mißgriff, mit den Hauptdarstellern Mirjana Jokovic und
Ben Becker ein Glücksfall: allen Einwänden zuwider weckt der Regisseur
Sehr mit diesem Erstlingsfilm große Erwartungen.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 2/91
Das
serbische Mädchen
BRD
1990. R: Peter Sehr. B: Peter Sehr (nach der Erzählung von Siegfried Lenz).
K: Dietrich Lohmann. Sch: Dagmar Hirtz. M: Goran Bregovic. T: Reiner Levin.
A: Ute Reichardt. Ko: Helga Chitralla. Pg: Arbor TV-Filmproduktion/Tipi Trebitsch
Produktion. P: Holger Schulz. V: Filmverlag. L: 90 Min. St: 7.2.1991. D: Mirjana
Jakovic (Dobrila), Ben Becker (Achim), Pascal Breuer (Max), Vladimir Torbica
(Vladi), Joachim Regelin (Rudi), Peter Carstens (Zollinspektor), Werner Asam
(Ziviler Grenzer), Axel Ganz (Walter).
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