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Shandurai
und der Klavierspieler
Da sind sie in der Erinnerung - die großen
Filme Bernardo Bertoluccis, etwa "Der
letzte Tango in Paris" (1972)
oder "Der Konformist" (1970), und auch "Der
letzte Kaiser" (1987). Aber
da sind auch einige Enttäuschungen - etwa das langatmige, episch angelegte
und ideologiegetränkte "1900" (1976) und sein 1998 gedrehter
Film "Besieged".
Die Geschichte, die der italienische Regisseur hier
erzählt, ist in ihrer Struktur einfach, ja fast simpel. Der Film kommt
mit sparsam gesetzten Dialogen aus. Ebenso sparsam ist die Besetzung. Denn im
Grunde spielen nur zwei Akteure eine Rolle. All das deutet für sich allein
weder auf einen guten, noch auf einen schlechten Film hin. In "Der letzte
Tango in Paris" bewies Bertolucci, wie mit minimalem Aufwand ein begeisternder
Film inszeniert werden kann. In "Besieged" allerdings geht all das
zum Teufel, was ihn durch den "Tango" auszeichnete.
Der Film öffnet mit Szenen aus einem afrikanischen
Staat, in denen der Mann der jungen, schönen Shandurai (Thandie Newton)
von den Schergen des dortigen Diktators verhaftet wird, weil er ein Gegner des
Regimes ist. Shandurai beschließt, in Rom Medizin zu studieren. Um ihr
Studium zu finanzieren, nimmt sie die Stellung einer Haushälterin bei dem
Pianisten und Klavierlehrer Jason Kinsky (David Thewlis) an, der in der von
einer Tante geerbten Villa lebt und arbeitet. Kinsky findet zunehmend Gefallen
an Shandurai. Er beobachtet sie - beim Bügeln, beim Saubermachen oder wenn
sie das Haus verlässt, um ihre Kurse an der Universität zu belegen.
Er macht ihr Geschenke, etwa einen Ring, der seiner Tante gehört hatte.
Shandurai ist dies alles unangenehm. Und sie bringt Kinsky den Ring zurück.
Der erklärt, er liebe sie über alles, habe noch nie eine Frau so begehrt
wie sie. Er würde alles für sie tun, wenn sie ihn auch liebe. In ihrer
Verzweiflung schreit Shandurai: "Dann holen Sie meinen Ehemann aus dem
Gefängnis!" Kinsky wusste nicht, dass die junge Frau verheiratet ist.
In der Folgezeit lässt er sie in Ruhe, bedrängt sie nicht mehr, während
Shandurai weiterhin die Villa sauber hält und ihre erste Prüfung mit
der Höchstpunktzahl besteht. Eines Tages entdeckt sie im Papierkorb Kinskys
einen Briefumschlag aus ihrer Heimat, adressiert an Kinsky. Und wenig später
bemerkt sie, dass der Pianist sämtliche Bilder, einen Wandteppich und schließlich
auch seinen Flügel verkauft. Und sie erfährt, dass ihr Mann zunächst
aus dem Militärgefängnis in ein normales Gefängnis verlegt wurde,
dann, dass er frei gekommen ist und sich auf dem Weg nach Rom befindet.
Diese Geschichte - untermalt einmal mit afrikanischer
Musik, dann wieder mit dem Klavierspiel Kinskys - zieht sich im wahrsten Sinn
des Wortes über eine Spanne von gut neunzig Minuten hin, angelegt als eine
Art gegenseitiges "Umeinander-Herum-Schleichen" zwischen den beiden
Hauptakteuren. So unerfindlich es bleibt, warum Bertolucci diesem Duo noch einen
schwulen Kommilitonen für Shandurai namens Agostino (Claudio Santamaria)
beistellt, der überhaupt keine Funktion in der Handlung hat - außer
vielleicht Pausen-Füllsel zu sein -, so unerfindlich ist die Geschichte
selbst. Das beginnt schon damit, dass die Entscheidung der jungen Frau, nach
der Verhaftung ihres Mannes, von dem sie erklärt, dass sie ihn über
alles liebe, nach Rom zu gehen, ohne nachvollziehbare Erklärung bleibt.
Das setzt sich fort in der minimalistischen Art, wie David Thewlis den Pianisten
spielt, wortkarg, die meiste Zeit ohne Emotionen und in der Szene, in der er
Shandurai seine Liebe erklärt, so wenig überzeugend und gekünstelt,
dass man die Hand vor Augen halten möchte, um dieses Trauerspiel nicht
mit ansehen zu müssen. Dieses "Umeinander-Herum-Schleichen" ist
zudem von einer gähnenden Langeweile geprägt. Man sieht ihn Klavierspielen,
sie studieren und putzen, ab und zu werden heimliche oder direkte Blicke getauscht
- das war's. Nein, halt, das wird immer wieder wiederholt!
Wenig überraschend ist auch, dass Kinsky - als
Shandurai ihm verkündet hat, ihr Mann sitze im Gefängnis - "aus
Liebe" alles daran setzt, um ihren Mann frei zu bekommen. Die entsprechenden
Bemühungen drückt Bertolucci seinem Publikum derart dick "auf's
Auge", dass man daran zweifeln muss, ob aus dieser Geschichte überhaupt
ein überzeugender Film hätte gemacht werden können. Der Verkauf
sogar seines Flügels setzt dem ganzen deshalb die Krone auf, weil es aus
dem Kontext einer oberflächlichen und langweiligen Handlung kaum verständlich
ist. Man könnte das natürlich auch unter den Satz subsumieren: "Wer
liebt, tut alles für den / die Geliebte(n)." Dieser Satz hätte
allerdings nur in einer überzeugenden, fundierten Geschichte einen wirklichen
Sinn. Hier verkommt er zum Teil, sagen wir, der "Brigitte"-Küchenpsychologie.
Der Schluss des Films setzt dem ganzen dann noch
eine Krone auf: Derart nicht nur überrascht, sondern tief emotional beeindruckt
vom Handeln ihres Pianisten und Brötchengebers legt sich Shandurai abends
vor der Ankunft ihres frei gelassenen Mannes neben den bereits schlafenden Kinsky,
um am Morgen nackt neben ihm aufzuwachen. Ob beide Sex hatten, spielt eigentlich
keine Rolle. Entscheidend ist, dass - als ihr Mann an der Haustür klingelt
- Shandurai lange liegen bleibt und die Tür erst öffnet, als sich
der angeblich so geliebte Ehemann, von dem man nur den Finger auf der Klingel
sieht, höchstwahrscheinlich enttäuscht wieder abgezogen ist.
Das erkläre mir einer. Und man erkläre
mir bloß nicht, die Gedanken und Gefühle einer Frau seien unergründbar.
Vergesst es!! Ich würde eher sagen: Die Gedanken eines Regisseurs sind
hier unergründlich - nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen
guten Film. Statt dem geliebten Mann, der sich für die Freiheit in seinem
Land eingesetzt hatte und deshalb verhaftet worden war, zu öffnen, fällt
sie in die Arme eines Mannes, dessen Charakter im Film noch dazu extrem schwach
und schemenhaft skizziert wird. Anders formuliert: Sie bleibt bei dem Europäer,
der sein Klavier verkauft hat, und nicht bei dem Afrikaner, der sein Leben aufs
Spiel gesetzt hat - auch und gerade ihretwegen und wegen eines gemeinsamen Lebens
in Freiheit - und von dem Bertolucci nur zeigt, wie er verhaftet wurde und wie er am Schluss an der Tür
klingelt. Da kommen einem
schon gewisse Gedanken in Richtung kultureller
Arroganz.
Selten hat mich ein Film so ratlos und schulterzuckend,
gelangweilt und unbefriedigt zurückgelassen. Aber vielleicht gibt es ja
eine tiefere Wahrheit in dieser Inszenierung, die ich in meiner Bescheidenheit
nur nicht erkennen kann. Sicher, Thandie Newton ist eine Augenweide und die
Musik des Films beeindruckend. Allein, daraus entsteht noch nichts.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Shandurai
und der Klavierspieler
(Besieged)
Italien,
Großbritannien 1998, 93 Minuten
Regie:
Bernardo Bertolucci
Drehbuch:
James Lasdun, Bernardo Bertolucci, Clare Peploe
Musik: Alessio
Vlad, Johann Sebastian Bach
Kamera: Fabio
Cianchetti
Schnitt: Jacopo
Quadri
Ausstattung:
Gianni Silvestri
Darsteller:
Thandie Newton (Shandurai), David Thewlis (Jason Kinsky), Claudio Santamaria
(Agostino), John C. Ojwang (Sänger)
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