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Shining

 

 

 

 

 

"Shining", seinerzeit bei den Kritikern gnadenlos durchgerasselt, ist Stanley Kubricks eigenwillige Umsetzung eines recht populären King-Stoffes. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf der Entwicklung puren, suggestiven Horrors, sondern ebenso auf der Servierung schwer interpretierbarer Happen, wie sie auch ein David Lynch einem gerne zu knabbern gibt.

 

Dabei gelang Kubrick eine ausgesprochen ausbalancierte Mischung von übernatürlichen und natürlichen Komponenten, die bei dem Versuch der Auflösung, was eigentlich überhaupt im Overlook-Hotel während des Aufenthalts von Hausmeister Jack Torrance und seiner Familie geschah, eine entscheidende Rolle spielen. Die primäre Frage: Welche Ursachen haben Jacks beinahe exponentiell wachsende Aggressionen? - Das Problem: Wir befinden uns auf einer weit ausgebreiteten Spielwiese für Interpretationsmöglichkeiten. Hier einmal einige Gedanken meinerseits:

 

Jack leidet an einer ausgeprägten Form von Schizophrenie infolge der permanenten Isolation, der er und seine Familie einen Winter lang im bis auf sie eigentlich menschenleeren Hotel ausgesetzt sind. Zusammen mit der übermäßigen Neigung Jacks, zu Alkohol greifen zu müssen, seinem ohnehin offenbar ziemlich aggressiven Naturell, sowie der verstörenden Einsamkeit des in den ruhigen Bergen gelegenen Gebäudekomplexes entsteht ein fataler Cocktail, dessen destruktiver Entfaltung Jacks Psyche nicht standhalten kann. Er fantasiert und führt Gespräche mit vermutlich imaginären Personen, die seine Aggressionen steigern und seine Handlungen in gewisser Weise auch beeinflussen. Ein Problem dieser Theorie wären jedoch gerade diese vermeintlich nur eingebildeten Figuren, insbesondere Grady. Er greift nämlich an einer Stelle helfend in eine Situation aktiv ein, aus der Jack sich niemals hätte alleine befreien können. Sind Grady und die anderen Personen also doch nicht nur Imaginationen und tatsächlich existent? Sind sie vielleicht Geister oder Projektionen einer bösen, im Hotel eingenisteten Kraft oder Materie?

 

An der Geschichte des Gebäudes scheint zumindest kein Weg vorbeizuführen. Zum einen ist es auf blutigem Boden erbaut worden, da in dieser Gegend beheimatete Indianer einst gewaltsam vertrieben wurden. Und zum anderen ereignete sich, unter Umständen auch gerade durch diese blutige Vergangenheit, im Hotel bereits eine ähnliche Tragödie vor einigen Jahren. Treiben also an diesem Ort nicht zu Ruhe gekommene Seelen immer noch ihr Unwesen? Aber warum funktioniert dann der Hotelbetrieb das ganze Jahr über einwandfrei? Von sonstigen unerklärlichen Vorkommnissen wird zumindest nicht berichtet. Noch verzwickter für Erklärungsversuche wird es, wenn die mysteriöse Schlussszene sowie Jacks Sohn mit ins Spiel gebracht werden.

 

Zweifellos verfügt der kleine Danny über sonderbare Fähigkeiten. Er wird von Visionen geplagt und führt ebenfalls Gespräche mit einem imaginären, für uns im Gegenteil zu Jacks Gesprächspartnern nicht einmal visuell erfassbaren Freund beziehungsweise man könnte bei Danny im gewissen Sinne schon von einer gespaltenen Persönlichkeit sprechen. Und schließlich sieht er teilweise auch noch Tote, höchstwahrscheinlich alles auf eines zurückzuführen - er hat das Shining. Mit Menschen, die ebenfalls diese Gabe besitzen, scheint man untereinander telepathisch kommunizieren zu können; was es aber sonst noch exakt bewirkt und was es überhaupt ist, bleibt jedoch im Prinzip ungeklärt, da eine genaue Definition ausgespart wird.

Egal zu welchen Erklärungen man nun letztendlich greift, Kubricks "Shining" ist äußerst vielschichtig, sorgt bei uns für rege Gehirnaktivität und liefert eine King-Interpretation, deren zu Jacks Verhalten führende Faktoren - um nun ansatzweise einen Konsens zu finden -, sowohl irdische als auch übernatürliche Ursprünge zu haben scheinen.

 

Die inhaltlichen Schwerpunkte jedenfalls stehen nun logischerweise auch im Mittelpunkt der Inszenierung Stanley Kubricks. So fängt er bereits mit den ersten Bildern die malerische, aber gleichseitig gespenstisch einsame Landschaft ein und unterlegt sie mit einer gewaltigen Akustik, wie sie auch im weiteren Verlauf noch eine ganz wesentliche Rolle spielen wird. Denn stets arbeitet Kubrick mit einer sehr aktiven Geräuschkulisse, die im Zusammenspiel mit den Bildern eine verstörende, sich ins menschliche Bewusstsein fräsende Atmosphäre erzeugt: Lange, klaustrophobische Gänge mit einem klaren, hypnotisch wirkenden, zentralperspektivischen Fluchtpunkt werden, während Danny auf einem Dreirad seine Runden dreht, mit Hilfe der Steady-Cam eingefangen und kurze, fein getimte Schocksequenzen zwischendurch ergänzend dazugezogen. Märchenhaft anmutende Kamerafahrten durch ein verschneites Labyrinth tragen ihren Teil zu einer unverwechselbaren Atmosphäre schließlich ebenfalls bei.

 

Natürlich geht hier auch ein großes Lob an einen einmal mehr in Höchstform auftrumpfenden Jack Nicholson, der eine insgesamt fabulöse und sehr intensive Inkarnation der Figur Jack Torrance darstellt. Unvergleichlich bleibt für mich allein der erste scheinbare, sich später allerdings in einen Dialog transformierende Monolog in der Bar - von seinen legendären psychopathischen Ausflügen am Ende ganz zu schweigen. Shelley Duvall und der damals noch junge Danny Lloyd spielen zwar nicht in Nicholsons Liga, machen aber immer noch eine ausgesprochen gute Figur. Gerade Kinderdarsteller entwickeln sich oftmals leider zu reinen Nervtötern, anders verhält es sich hier glücklicherweise mit Danny Lloyd.

 

Was Stanley Kubrick auch in Angriff nahm, seine Filme wurden in irgendeiner Art und Weise immer etwas Besonderes. Auch der inhaltlich vielschichtige "Shining" trägt Kubricks ganz persönliche Handschrift und ist unter den Horrorthrillern trotz des damaligen schlechten Abschneidens bei den Kritikern bis heute ein sehr wertvoller geblieben. Die zum Erscheinen des Filmes gnadenlos abwertende Kritik kann man sich nur damit erklären, dass Stanley Kubrick sich nicht allzu stark an Stephen Kings Vorlage hielt, dadurch dem Stoff aber doch auch ein anderes, viel interessanteres Leben einhauchte.

 

Daniel Szczotkowski

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.ofdb.de

 

Shining

The Shining.

UK 1980. R: Stanley Kubrick. B: Stanley Kubrick, Diane Johnson. K: John Alcott. S: Ray Lovejoy. M: Wendy Carlos, Rachel Elkind, Bela Bartok, György Lygeti, Krzysztof Penderecki. P: Warner. D: Jack Nicholson, Shelley Duvall, Danny Lloyd, Scatman Criotehrs, Philip Stone, Joe Turkel, u.a. L: 119 min. (USA: 146 min.)

Deutsche Erstaufführung: 16.10.1980

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