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Shoah
Die deutsche Vergangenheitsbewäligung
besitzt zahlreiche Kulminationspunkte, deren Kitt aus der Versöhnung des
Unversöhnlichen seine bruchlose Konsistenz speist: sei es der Historikerstreit
oder die Walser-Affäre, der Kniefall von Bittburg oder Möllemanns
Israelattacken, Hitler
– Eine Karriere oder Der Untergang, der Kosovo-Krieg oder das Zentrum gegen
Vertreibung, die Kultur Deutschlands hat in Bezug auf den Nationalsozialismus
viele Exempel der Schuldfrage hervorgebracht, deren Grundlagen eigentlich einem
einzigen Effekt dienen: die Differenz zwischen Tätern und Opfern einzuebnen.
Unumstößliche Grenzen freilich, und Lanzmanns Film erhärtet
ihre Säulen, indem er sich auf die Suche nach dem begibt, was ihre Chance
und größte Gefahr zugleich darstellt: den Spuren der Vergangenheit
im Gegenwärtigen.
Spuren finden sich überall: die saftig
grünen Wiesen im anliegenden Wald von Chelmno, unter denen die Asche tausender
ermordeter KZ-Insassen begraben liegt; der Rangierbahnhof Auschwitz, welcher
nun und weiterhin für den geregelten Schienenverkehr genutzt wird; das
unauffällige Schild am einstigen Zwischenbahnhof Treblinka, wo der polnische
Lokführer mit der Geste
des Halsabschneidens den Deportierten zeigte, dass sie hier nur noch den Tod
zu erwarten haben; selbst im am Lkw prangende Firmenschild Saura auf der Autobahn
in Duisburg ist die Mittäterschaft des Konzerns bei der Produktion und
ihrer Optimierung der für die Endlösung benötigten Gaswagen eingeschrieben.
Es sind Orte und Zeichen, die ihre Vergangenheit scheinbar mühelos abgetragen
haben.
Die Arbitrarität von Signifikant
und Signifikat wird hier, und vielleicht nur hier, zum grausamen Januskopf:
Wenn Simon Srebnik, der als 13-Jähriger die Ermordung seiner Eltern miterlebte
und als einziger das Lager Chelmno überlebte, gedankenverloren über
die besagte Waldwiese wandelt, dann wissen wir, dass er buchstäblich das
Grab seiner Eltern betritt. Wenn Abraham Bomba in einem Salon seine damalige
Aufgabe als Friseur in Auschwitz beschreibt, dann wissen wir, dass das Aufbrechen
der hierin eingeübten Monotonie in den schrecklichsten Augenblicken den
unvermeidlichen Tod für wenige Minuten hinauszögern konnte. Dies ist
Lanzmanns Methode der Spurensuche:
Bomba erzählt, wie er den Frauen
unmittelbar vor ihrem Weg in die Gaskammern die Haare schnitt. Panikgefühle
bei den Opfern hätten den Rythmus des Betriebs gestört, deswegen musste
er sorgfältig, aber effizient vorgehen. Wer ordentlich zurecht
gemacht wird, kann unmöglich anschließend getötet werden, so
die Suggestion. Bis eines Tages eine gute Freundin und ihre Tochter vor ihm
saßen. Nackt, ängstlich fragend, was denn nun mit ihnen geschehe.
Eine Antwort konnte er ihnen nicht geben, der SS-Mann hinter ihm hätte
keine Gnade gekannt. Zuvor hatte bereits ein anderer dieses Schweigegebot missachtet,
als plötzlich seine Frau vor ihm saß. Sie wurden beide bei lebendigem
Leibe ins Feuer der Krematorienöfen geworfen. Alles was Bomba also blieb,
war eine etwas größere Sorgfalt beim Frisieren. Eine Minute vielleicht,
in der jede Sekunde die letzte Möglichkeit zum Widerstand für einen
ehrenvollen Abschied bedeutete. An diesem Punkt bricht er in Tränen aus,
will das Interview beenden. Lanzmann insistiert, er müsse sprechen, er
müsse es einfach. Von der zuvor geradezu einstudiert wirkenden Rolle Bombas
als nüchterner Erzähler, der mit kräftiger, selbstsicherer Stimme
von den grauenvollsten Erlebnissen berichtet, ist nichts mehr übrig. An
anderer Stelle sehen wir Simon Srebnik vor einer Kirche inmitten der polnischen
Dorfbewohner, die sich noch zu gut an den jüdischen Jungen erinnern können,
wenn er allmorgendlich den SS-Männern auf dem Boot ein preußisches
Volkslied vorzutragen hatte. Was für eine schöne Stimme. Und immer
trug er Fußketten. Ein lieber Junge, alle mochten ihn. Lanzmann fragt,
ob man die Juden vermissen würde. Es geht nun allen gut, lautet die Antwort.
Ob man hier in der Kirche die jüdischen Dorfbewohner zusammengerottet hätte.
Ja, heißt es, alle hatten Taschen und Koffer dabei. Darin befand sich ihr letztes Hab und Gut. Töpfe
mit doppeltem Boden, in denen sie ihr Gold versteckt hätten. Nach wenigen
Minuten wird der Antisemitismus wieder manifest. Schließlich ergreift
der Priester das Wort. Ein Rabbi hätte ihm gesagt, dass ihre Vernichtung
die göttliche Strafe für die Juden sei. Sie haben Christus ermordet.
Mit verschränkten Armen und um Haltung bemühter Miene ist Srebnik
wieder der 13-jährige Junge, an dem sich ein weiteres Mal der Wille zur
Auslöschung vollzieht. Er wird verbal vernichtet und niemand scheint es
zu bemerken.
Szenen wie diese sind auch für den
Zuschauer nur schwer zu ertragen, aber an ihnen verdichtet sich fast programmatisch
dass, was Lanzmann zu beabsichtigen sucht: Es gibt keine Musikuntermalung, auch
keine Archivaufnahmen von aufgehäuften, toten Leibern. Die Menschen erzählen
nicht von ihren Mühen und Strategien des Überlebens in der Todesmaschinerie.
Stattdessen werden sie zur letzten Stimme der Toten und Lanzmann inszeniert
seine Protagonisten nun so, dass sie für uns über die Konfrontation
mit Orten und Handlungen qualvoll bezeichnen, was das ideengeschichtliche Programm
Endlösung über die Vernichtung hinausgehend immer auch mitbedeutete:
Spurentilgung.
Raul Hilberg erläutert, inwiefern
die Nazis geringe Fantasie aufwenden mussten, um dieses Programm durchzuführen.
Ghettoisierung, Enteignung, Zwangsassimilation besitzen eine tausendjährige
Geschichte, aus deren Arsenal man sich leicht bedienen konnte. Das wirklich
neue offenbart sich in dem Ziel der totalen Auslöschung: Aus „Ihr sollt
nicht als Juden unter uns leben“ wurde „Ihr sollt nicht unter uns leben“, bis
es im Nationalsozialismus lautete: „Ihr sollt nicht leben“. Und dieses Novum
implizierte organisatorische Fragen: Was sollte mit dem Besitz der Opfer getan
werden, wie ließ sich ihre Vernichtung logistisch am effizientesten umsetzen,
und wie konnte man es bewerkstelligen, dies alles unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle
der restlichen Welt zu vollziehen? Hierfür gab es keine Vorbilder. Es ist
kein Zufall, dass bis heute kein Dokument ausfindig gemacht wurde, in dem explizit
von der Auslöschung der Juden die Rede ist.
Das Projekt Spurentilgung setzt sich im
Gegenwärtigen fort, an allen Orten, die ihrer grausigen Vorgeschichte bereits
enthoben wurden, in aller Souveränität und Rationalität, mit
der die Opfer versuchen, ihre Erlebnisse noch irgendwie lebbar zu verarbeiten.
Lanzmann nimmt sich alle Zeit, die es braucht, um das Unsägliche in Worte
zu fassen und in den minutenlangen Sprechpausen scheint immer wieder die Ahnung
durch, dass keine Sprache dazu in der Lage ist, diese Aufgabe zu stemmen. Die
Suche nach den Worten, ihre Intonation, das gestische Vortragen, die Abwesenheit
der Bilder, die paradoxerweise erst durch Lanzmanns Bilder bewusst wird, all
diese Elemente können nur Annährung an das sein, was nicht beleuchtet
werden will, ob als zivilisatorisches Verbrechen oder traumatische Erfahrung.
Jeder Versuch bleibt Platzhalter, aber gerade daraus bezieht die Kamera ihre
schreckliche Wirkung, wenn sie etwa im Schritttempo aus der Subjektiven einen
Waldweg abfährt und uns die Stimme auf der Tonspur mitteilt, dass die Gaswagen
ein bestimmtes Tempo nicht überschreiten durften, um sicherzustellen, dass
bei der Ankunft am Zielort Massengrab mit keinem Überleben der während
der Fahrt vergasten Juden zu rechnen sei. Platzhalter ist auch die versteinerte
Miene, das verlegene Lächeln der Protagonisten, deren Gesichter in Nahaufnahme
das Bild füllen. Das Gesicht und das Wort legen pars pro toto Zeugnis von
der Vernichtung ab, erlauben ein Gefühl für die Identität der
entindividualisierten, gesichtslosen Opfer und sind doch zugleich von einer
verwirrenden Abwesenheit bestimmt, dem Versuch, die Erfahrung zur Nicht-Erfahrung
zu transformieren. So wie auch die abgefilmten Orte „Nicht-Orte der Erinnerung“
(Lanzmann) sind.
Die Sprache der Täter indes braucht
kaum Bilder, um ihrer Verhärtung und immer noch präsenten Logik der
Vernichtung überführt zu werden. Die meisten wollen anonym bleiben,
die wenigsten gefilmt werden. Lanzmann stimmt zu, blendet anschließend
die Namen ein, gelegentlich erfasst die Kamera auch ein Straßenschild.
Die versteckte Kamera gewinnt einen schemenhaften Ausdruck ihres Antlitz, fast so, als sei ihr Versuch der Spurenverwischung
bereits erreicht. Keiner hatte etwas gewusst. Selbst der Assistent des Kommissars
des Warschauer Ghettos besteht darauf, hunderter Toter täglich zum Trotz,
für die Erhaltung des Ghettos zuständig gewesen zu sein. Der Mensch
vergesse die guten Dinge nicht, die schlechten dafür umso schneller, versucht
er sein lückenhaftes Gedächtnis zu erklären. Claude Lanzmanns
Film zeigt eindrücklich, welche unterschiedlichen Motive für diese
unterschiedlichen Verdrängungsleistungen vonnöten sind. Die Opfer
müssen vergessen, der Täter will es bloß.
Sven Jachmann
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Zu diesem Film gibt es im
archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Shoah
(F/
Polen 1985)
Regie:
Claude Lanzmann
Mitwirkende:
Claude Lanzmann, Raul Hilberg, Rudolf Vrba, Filip Müller u.a.
Länge: 566 Min. (9 Std., 26 Min.)
Verleih:
absolut Medien
Zur DVD: Gibt es nichts weiter zu sagen, außer dass die Edition
bereits durch ihre nunmehrige Verfügbarkeit zu den wichtigsten
im deutschsprachigen Raum zählt.
Bild:
4:3, 1,33:1
Ton:
mehrsprachige OF (Dolby Digital 1.0)
Untertitel:
Deutsch, Englisch, Fränzösisch, Spanisch
Extras:
24-seitiges Booklet mit biographischen Angaben der Portraitierten und Zitaten
Claude Lanzmanns
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