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Shooting
Dogs
Und noch ein Film über den Genozid an den Tutsis
im Ruanda des Jahres 1994. Nach „Hotel
Ruanda“ (fd 36978) und „Sometimes
in April“ von Raoul Peck erzählt Michael Caton-Jones, bekannt für
Filme wie „Der Schakal“ (fd 33030) oder „Basic
Instinct – Neues Spiel für Catherine Tramell“
(fd 37561), von der Zuspitzung der Ereignisse, nachdem am 6. April 1994 das
Flugzeug des ruandischen Präsidenten Habyarimana abgeschossen wurde und
radikale Hutu-Führer von langer Hand geplant zum Mord an der Tutsi-Minderheit
aufriefen. Fast könnte man den Eindruck bekommen, das westliche Interesse
an dem Genozid als Filmstoff verhalte sich umgekehrt proportional zum politischen
Interesse, als der Genozid de facto stattfand.
„Shooting Dogs“ will emotional aufrütteln und
konzentriert sich dabei ganz auf die ethischen Dilemmata der europäischen
Zeugen des Massenmordes. Soll und kann man in das Geschehen eingreifen, soll
man die Opfer beschützen oder doch lieber sein eigenes Leben retten? Die
Situation der UN-Soldaten vor Ort wird im Filmtitel fixiert: Sie haben nur ein
Beobachter-Mandat, dürfen sich selbst verteidigen, aber nicht die bedrohten
Tutsi. In einem absurden Bild verdichtet sich die Ohnmacht der zur Passivität
verurteilten Soldaten: Sie schießen auf Hunde, die sich über die
auf den Straßen herumliegenden Leichen hermachen, aber nicht auf diejenigen,
die für die Leichen verantwortlich sind.
Der Film erzählt von einer Gruppe Menschen inmitten
des Infernos. Man hat sich, durchaus selbstkritisch, nicht zugetraut, aus der
Perspektive der betroffenen Afrikaner zu erzählen, sondern konzentriert
sich auf die Europäer, die um einige holzschnittartig gezeichnete afrikanische
Nebenfiguren ergänzt werden. In dieser grundsätzlichen dramaturgischen
Entscheidung wiederholt sich der Skandal von 1994, wenngleich die Filmemacher
das Gegenteil behaupten – und auf Darfur weisen. In einer katholischen Schule
in Kigali, der Hauptstadt Ruandas, treffen der hier heimisch gewordene Priester
Pater Christopher und der junge, idealistische Lehrer Joe Connor aufeinander.
Die Schule gerät kurzzeitig zu einer Schutzzone der Verfolgten. Später
versucht Joe mit Hilfe der Medien und der BBC-Reporterin Rachel, die westliche
Öffentlichkeit für die Vorgänge in Ruanda zu interessieren und
das politische Gewissen wachzurütteln. Das Trio wird durch den belgischen
UN-Offizier Capitaine Delon ergänzt, der sich lange stoisch innerhalb der
militärischen Befehl-und-Gehorsam-Logik bewegt.
Zu Beginn funktioniert diese Verengung des Gesichtsfeldes
ganz ausgezeichnet. Die Europäer sind zum Zeichenlesen verdammt, Gerüchte
von Gräueltaten schwirren vorüber, Überlebende mit schreckensweiten
Augen kommen auf das Schulgelände, Schüsse sind zu hören, in
der Nacht ist Feuer zu sehen. Später wird Joe sich mit einem Fahrzeug in
die Umgebung der belagerten Schule wagen, doch auch dann scheinen die Dörfer
zunächst nur entvölkert. Dann kommt die Nachricht, belgische UN-Soldaten
seien ermordet worden. In der Folge bricht der Film mit dieser strengen Perspektivierung
des Erzählens, wird „realistischer“, insofern nun als pars pro toto Gewalthandlungen
gezeigt und Leichenberge ins Bild drapiert werden. Zwar hält sich er sich
auch weiterhin in Sachen Gewaltdarstellung zurück, versucht aber über
einige allenfalls skizzierte Nebenhandlungen, die Zuschauer zu emotionalisieren:
Da ist die talentierte Leichtathletin Marie, die von Joe trainiert wird; da
ist der verschlagene Hutu-Politiker Sibomana, der stets lächelnd doch nur
die UN-Truppenstärke auf dem Schulgelände herausbekommen möchte;
da ist Joes (Hutu-)Kumpel François, ein netter Kerl, der irgendwann an
einer Straßensperre mit einer blutigen Machete aus dem Gebüsch tritt.
So werden menschliche Beziehungen im Verlauf der Pogrome neu definiert, manche
idealistische Einstellung wird melodramatisch revidiert. Je länger „Shooting
Dogs“ dauert, desto trivialer und fragwürdiger geraten die ästhetischen
Lösungen – bis der Genozid vollends zur Kulisse westlicher Gewissenskonflikte
verkommt.
Dass der Film zudem Authentizität suggeriert,
weil er an den Originalschauplätzen mit ruandischen Statisten gedreht wurde,
erscheint dann als Geschmacklosigkeit. Letztlich geht er mit dem Vorstellungskomplex
„Afrika“ so spekulativ um wie auch „Blood
Diamond“ (fd 37991). Insofern passt
es zu „Shooting Dogs“, dass die überlebende Marie Jahre später auf
dem Gelände der Schule auftaucht, auf dem der gescheiterte Idealist Joe
jetzt unterrichtet, und ihn zur Rede stellt. Die Figur gerät zur Personifikation
des schlechten Gewissens, der unbequemen Erinnerung, die der Film selbst auch
allzu gern wäre.
Ulrich Kriest
Dieser
Text
ist zuerst erschienen in: film-dienst
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Shooting
Dogs
Großbritannien / Deutschland 2005 - Originaltitel: Beyond the Gates - Regie: Michael Caton-Jones - Darsteller: John Hurt, Hugh Dancy, Dominique Horwitz, Claire-Hope Ashitey, Louis Mahoney, Nicola Walker, Steve Toussaint - Länge: 114 min. - Start: 17.5.2007
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