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Shortbus
Der Fick ins
Leere
Mit was für einem Film darf
man rechnen, auf den hauptsächlich vereinzelt sitzende Männer warten?
Schon allein dieser Umstand, der nebulös an Pornokinos erinnert, stößt
einem übel auf. Künstlerisch soll er sein - bei aller Pornografie,
ejakulierenden Schwänzen und wundgeriebenen Mösen - wollen einem die
Feuilletons weißmachen. Diesem Irrtum sitze ich auf, wie sonst säße
ich hier zwischen all den Voyeuren?
Der Film beginnt mit einer virtuellen
Fahrt durch ein animiertes Pappmache-New York. Nicht ohne zuvor groß an
Miss Liberty vorbei geflogen zu sein. Ein künstlerischer Akzent, der die
Handlung immer wieder durchbrechen und damit seine Existenz rechtfertigen wird.
Und der mich wegreißen will von meiner Voreingenommenheit, hier kalkuliere
ein Regisseur platt mit dem Skandal, den die endlosen aneinander gereihten Fickereien
sicherlich in Gang setzen werden. Bei aller Mühe, dieses Element fügt
sich ebenso wenig in den Filmtext, wie der Titel in den Sinn des Films. Folglich
muss er von den (Porno-)Darstellern mühsam erklärt werden. Der Schulbus
sei ein Longbus, dieser exzentrische Selbstvergnügungspark dagegen ein
Shortbus.
Auf der Suche nach dem ersten
Orgasmus, auf den ultimativen Dreier, auf den lustversprühenden Voyeursblick
ficken sich die handlungbremsenden Protagonisten durch den futuristischen Swingerclub
names Shortbus. Die gleichberechtigten Protagonisten sind die Konsequenz einer
nichtigen Handlungs- und Erzählstruktur, die weder Anteilnahme noch Identifikation
schafft. Die Figuren erklären sich kaum selbst und sind so auch für
den Zuschauer, der die auf der Leinwand thematisierten Probleme nicht teilt,
von besonderer Fremdartigkeit.
Sie alle leben in New York, wegen
dem elften September, ihrem einzigen realen Erlebnis, wie uns die, wie sollte
es auch anders sein, transsexuelle Animateurin erklärt. Mitchell inszeniert
zwischen belanglosen Talking Heads experimentierfreudige Pärchen, Dreier-,
Vierer-, Fünfergespanne, in allen Positionen, in allen Kombinationen, Männlein
mit Männlein, Weiblein mit Weiblein und gelegentlich auch noch Männlein
mit Weiblein. Dies vollzieht er auf eine penetrant oberflächliche Art und
Weise, die sich nicht darum schert, in die Tiefe dieser einsamen, verlorenen
Seelen zu schauen, und die sich keine kritische Distanz verschaffen möchte,
aus der der Film einen künstlerisch-philosophischen Mehrwert erzielen könnte.
Stattdessen - und die futuristischen
Animationseinlagen befördern diese Lesart - wird hier nicht nur die zukünftige
Entwicklung einer Masturbationsgesellschaft entworfen, sondern auch noch in
weit ausschweifenden Bildern und Tönen zelebriert. Eine individualisierte
Gesellschaft, so sehr entfremdet und vereinsamt, dass sie ihren sozialen Zusammenhalt
nur noch in der sexuellen Freiheit des Swingerclubs findet. Niemand in dieser
Gesellschaft, so scheint es, hat ein Bedürfnis nach Liebe oder dergleichen.
Selbst der senile, ehemalige Bürgermeister von N.Y.C kann hier seine Gelüste
vermeintlich stillen. Selbstverliebt begnügt sich Regisseur Mitchell („Hedwig
and the Angry Inch“) mit dem Oberflächlichenreiz, den die provokanten Bilder
zwar erzeugen, die sich aber nie wirklich der Absicht, Erotik zu bebildern,
beugen, was ihn als gelungenes Pornohandwerk scheitern lässt.
Es ist nichts dabei, Menschen
beim Sex zu zeigen. Diesbezüglich habe ich schon viel durchgestanden. Schönes,
Hässliches, Brutales. Es ist aber dann einfallslos, wenn man einen Film
macht, der von Sex handelt. Das wäre so, als würde man auf einem mit
„Penis“ betitelten Bild, auch noch einen Penis in fotografischer Schärfe
abbilden. Es gab schon bessere Filme, die der Leere einen Körper verleihen
konnten. Dieser Film versteht sich nicht darauf. Im Gegenteil: Sein Körper
ist Leere.
Malte-Yuecel
Can
Zu diesem Film gibt’s
im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Shortbus
USA 2006
- Regie: John Cameron Mitchell - Darsteller: Lee Sook-Yin, Paul Dawson, Lindsay
Beamish, PJ DeBoy, Raphael Barker, Jay Brannan, Peter Stickles, Justin Bond
- Prädikat: besonders wertvoll - FSK: keine Jugendfreigabe - Länge:
98 min. - Start: 19.10.2006
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