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Sideways
In
About
Schmidt
warf Alexander Payne einen kompromittierenden Blick auf Jack Nicholsons Hinterteil
und ließ – zur Belustigung der Insassen diverser Internetforen – Kathy
Bates nackend zu Nicholson in den Pool steigen. Die Reise, die dem Film das
narrative Rückgrat bot, war, nicht nur dahingehend, eine hinter die Fassaden
des bürgerlichen Lebens, die einen Blick ermöglichte hinter die nur
vorgeblich sinnstiftenden Strukturierungen der absurden Zustände, unter
denen der ins Alter gekommene Mensch des frühen 21. Jahrhunderts sein Dasein
einrichtet. Das buchstäblich „pein-liche“ dieser Ansichten und Begebenheiten
regulierte About
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durch einen Gestus der liebenswerten Schrulligkeit und eine Lakonie, die auch
das würdelose Sterben von Schmidts Frau während Küchenarbeiten
– und eben die dargebotenen Nuditäten – dem Zuschauer erträglich machten.
Sideways, Paynes
neuer Film und nach sehr euphorischen Kritiken in den USA nun auch einer der
großen Oscarfavoriten des Jahres, erscheint da als in mancherlei Hinsicht
deckungsgleich. Wieder steht eine Reise im Mittelpunkt des Geschehens, wieder
geht es um Menschen, die ihre Blüte schon hinter sich gelassen haben und,
natürlich, darf man auch wieder einen peinlich entblößten Arsch
sehen, diesmal noch narrativ verdoppelt ertappt: Beim Vögeln durch einen
unversehens ins Geschehen Hineinplatzenden erwischt. Ein Unterschied ist diesmal
doch gegeben: Payne macht das pein-liche der Bilder diesmal oft schmerzhaft
spürbar, der Blick, so scheint es zumindest zunächst, ist diesmal
schärfer (doch der Schein ist oft trügerisch).
Im
Zentrum stehen zwei alte alte College-Freunde, Miles (Paul Giamatti, der bereits
in dem wunderbaren American
Splendor
den im Leben Gestrandeten bot), ein erfolgloser, weil unveröffentlichter
Schriftsteller und Englischlehrer mitten in der schmerbäuchigen Midlife
Crisis, der seine Scheidung vor zwei Jahren nicht verwinden kann, und der abgetakelte,
dennoch fast schmerzlich lebensheitere und darin reichlich tumbe Fernsehseriendarsteller
Jack (Thomas Haden Church), der in einer Woche heiraten wird. Die Zeit dahin
nutzen die beiden für einen Junggesellenabschied in Form einer einwöchigen
Autofahrt durch die kalifornischen Weinanbaugebiete: Während Miles, ganz
Connaisseur, die Woche vor allem auf Weinverköstigungen zubringen und seinen
Gaumen erfreuen möchte, steht Jack der Sinn in erster Linie nach billigem
Vergnügen mit leichten Frauen, um die Zeit vor der Eheschließung
noch effizient zu nutzen, wie er ganz unzweideutig zu erkennen gibt. Mit der
melancholischen Schwermut seines Reisebegleiters kann er hingegen nichts anfangen.
Ganz im Gegenteil will er Miles von dieser durch allerlei Animationen, es ihm
doch gleich zu tun, kurieren.
Die
Gelegenheit bietet sich, als beide Bekanntschaft mit der Kellnerin Maja (Virgina
Madsen), die sich ebenfalls als respektable Weinkennerin entpuppt, und Stephanie
(Sarah Oh) schließen. Während Miles’ Komplexe das Anbandeln mit Maja
eigentlich schon sabotieren, vögelt sich Jack derweil mit Sarah quer durch
die Hotelzimmer. Konflikte, weinschwangere Gespräche, allerlei Slapstick
und Verwechslungen sind da vorprogrammiert.
Sideways
entblößt
ebenfalls nicht Maskeraden, sondern Eigentlichkeiten des Menschen. Wenn kurz
vor Aufbruch zur Reise noch Miles’ Mutter – sie hat Geburtstag – besucht werden
muss, wird die Glückwunschkarte wenige Meter von der Tür entfernt
kurz und bündig beschrieben: Eine Farce, wenn man bedenkt, dass Miles Schriftsteller
ist. Natürlich ist die Mutter – wie offenbar alle älteren Damen bei
Payne – eine abgetakelte, eher skurrile Schnepfe mit vogelnestartigem Haarwuchs
und morgenmantelfreigelegten blassen Hühnerbeinen, die zur Feier des Tages
dann auch noch groteskes Make-Up auflegt. Selbstredend klaut Miles heimlich
der Mutter Geld aus der Sparbüchse, wenn sie mit Jack konversiert. Eine
Boshaftigkeit wie bei Todd Solondz, der regelmäßig menschliche Scheußlichkeiten
aus- und bloßstellt, stellt sich hier hingegen nicht ein. Dafür wiederum
will Sideways doch
zu sehr die selbsternannten Connaisseurs jenseits der 40 im Publikum umschmeicheln,
die sich selbst auf der Leinwand gespiegelt sehen wollen. Und weil ein Roadmovie
immer auch eine Entwicklung der Hauptfigur zum Thema hat, ist es, auch wenn
das Roadmovie als solches schon bald ins Stocken gerät, kein Wunder, dass
nun Miles, der selbst eigentlich, trotz aller literarischer Tiefsinnigkeit (oder:
vielleicht ja gerade deswegen), ein Unsympath ist, am Ende, nach allen Konflikten
und Missverständnissen, in die vor allem Jacks frohselig-dumpfe Art ihn
manövriert, sein Scheidungstrauma vermutlich überwindet und das ihm
narrativ zugestandene Mädchen ergattern kann (der Film selbst impliziert’s
jedenfalls). Gerade in dieser Versöhnlichkeit, in die der Film immer wieder,
nachdem er manche menschliche Verfehlung bis zur Grenze an die physische Nachempfindbarkeit
durchdekliniert hat, liegt letzten Endes auch seine Schwäche, die in der
allgemein jubilatorisch ausgefallenen Kritik gerne unterschlagen wird: Er macht
den Zuschauer zum Komplizen, bis dahin sogar – und das ist durchaus gruselig
-, dass er Jacks Lebenswandel und dessen Konsequenzen derart mit Lust aufbauscht,
dass sich regelrechte Rachegelüste einstellen, die auch prompt bedient
werden, wenn er nun endlich, ja endlich seinen nicht zu knapp ausfallenden Rüffel
erhält, unter johlendem Applaus des Publikums, versteht sich (und ich nehme
mich da gar nicht aus).
Dies
ist - neben der stellenweise arg übertriebenen Redseligkeit, die doch kaum
zu was führt - eigentlich schade, denn auf der anderen Seite ist Sideways auch
ein keineswegs schlechter oder scheußlicher Film. Vor allem die darstellerischen
Leistungen sind bemerkenswert: Man nimmt sich zurück, grimassiert sich
nicht, legt Wert auf Nuancen und Details und kann dieses Niveau auch im Zusammenspiel
konsequent halten. Fernerhin gibt es selbstredend auch Momente, die bezaubern,
nett anzusehen sind. Dass der Film dabei nie, in welche Richtung auch immer,
konsequent bleibt, dass er den Kuchen essen und behalten will, ist indes ein
trauriges Indiz für die, letzten Endes, Durchkalkuliertheit eines Films,
der ganz offensichtlich mit Blick auf den Goldjungen hininszeniert wurde, zu
Lasten anderer Ambitionen, leider.
Thomas
Groh
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Zu diesem
Film gibt’s im archiv mehrere
Texte
Sideways
USA
2004 - Regie: Alexander Payne - Darsteller: Paul Giamatti, Thomas Haden Church,
Virginia Madsen, Sandra Oh, Marylouise Burke, Jessica Hecht, Missy Doty, MC
Gainey, Alysia Reiner, Shaké Toukhmanian - Prädikat: wertvoll -
Länge: 124 min. - Start: 3.2.2005
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