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Das
siebente Siegel
Bei seinem Erscheinen
1957 wurde Ingmar Bergmans Film von der Kritik enthusiastisch begrüßt.
„Das siebente Siegel“ bedeutete den endgültigen internationalen Durchbruch
für den Regisseur. Für ein postmodernes Publikum muss es zunächst
befremdlich wirken, wie direkt und ohne jede ironische Brechung Bergman hier
an die großen und ganz großen Themen rührt. Mit existentialistischem
Ernst werden die Fragen nach Gott, nach dem Tod und nach dem Sinn gestellt.
Und sie werden sogar beantwortet, wenn auch nicht mit den üblichen Botschaften
der etablierten Kirchen oder mit Hollywood-Sentimentalitäten.
Bergmans Thematik
ist nicht nur philosophisch sondern ausdrücklich auch religiös. Deshalb
siedelt er den Film konsequenterweise in einem tief religiösen Zeitalter
an, nämlich dem späten Mittelalter. Dieser äußere Handlungsrahmen
ist jedoch nur Kulisse. Bergman wollte keinen Historienfilm drehen, sondern
eine allgemeingültige Frage exemplarisch darstellen. Viele Dialoge wirken
denn auch ausgesprochen modern. Bergman knüpft ganz bewusst an die lehrhafte
Form des großen Welttheaters an. Der ganze Film scheint auf einer Bühne
zu spielen und geht in der Tat auf ein Bühnenstück Bergmans zurück.
Dieser theaterhafte Grundton wird an keiner Stelle verleugnet. Ganz im Gegenteil
wird die Theatersituation im Film sogar gespiegelt, da eine Gauklertruppe wichtiger
Handlungsträger ist. Alle Figuren sind zugleich Archetypen, werden aber
trotz aller symbolischen Fracht immer zugleich als lebendige und psychologisch
glaubwürdige Personen wahrgenommen.
Der Film beginnt
laut und aufrüttelnd. Zu den Klängen des Dies Irae sehen wir einen
Raben, den Totenvogel, am wolkigen Himmel. Ein Bibelzitat aus der Apokalypse
bietet das namensgebende Grundmotiv vom siebenten Siegel. Wie Strandgut an die
Küste hingeworfen finden wir die Hauptfiguren des Films, den Ritter Antonius
Block (Max von Sydow) und seinen Knappen Jöns (Gunnar Björnstrand),
die von einem Kreuzzug in die skandinavische Heimat zurückkehren. Doch
diese Heimat ist kein Ort der Geborgenheit, sondern ein apokalyptischer Ort,
gezeichnet von Krieg, Pest, Aberglaube und religiösem Wahnsinn. Es ist
eine Welt am Rande des Untergangs, in die der Ritter und sein Knappe im existentialistischen
Sinne geworfen sind. Der erste Mensch, dem sie begegnen, ist eine mumifizierte
Leiche mit leeren Augenhöhlen, ein gespenstisches Symbol der Sinnlosigkeit.
Doch vor dieser
Begegnung steht eine andere, die Begegnung mit dem Tod, und zwar im buchstäblichen
Sinn. Bergmans Darstellung des Todes (Bengt Ekerot) mit langem Kapuzenmantel
und maskenhaft bleichem Gesicht wurde zu einer der am häufigsten kopierten
und zitierten Figuren der Filmgeschichte. Der Tod ist gekommen, um den Ritter
zu holen, doch dieser ist noch nicht bereit. Nicht um des Lebens willen, sondern
weil er noch eine Antwort sucht. Der Tod lässt sich darauf ein und gewährt
dem Ritter eine Frist für die Dauer eines Schachspiels. Wenn Antonius Block
verliert, werden er und seine Begleiter dem Tod gehören. Dieses Motiv des
Schachspiels mit dem Tod fand Bergman in einem mittelalterlichen Holzschnitt,
ebenso wie das Motiv vom Totentanz, einem Reigen in dem der Tod eine Gruppe
von Menschen mit sich nimmt. Diese Bilder regten Bergman zu seinem Werk an,
und beide Bilder werden direkt in den Film übernommen.
Der Film folgt
der Reise des Ritters und seines Knappen. Sie gelangen in ein Dorf und finden
Menschen voller Angst und Menschen, die, um dieser Angst zu entkommen, sich
in den Lebensgenuss stürzen. Ein beeindruckender Höhepunkt ist der
Einzug einer Gruppe fanatischer, sich geißelnder Büßer in das
Dorf, mit dem Bergman ganz ohne Spezialeffekte ein beklemmendes Bild einer apokalyptischen
Welt bietet. Die Hasstiraden des Predigers mögen der Welt des Mittelalters
entstammen, sie sind aber zugleich ein Echo des Terrors von Krieg und Totalitarismus,
die zur Entstehungszeit des Films kaum mehr als ein Jahrzehnt zurücklagen.
Die Furcht vor der Pest sieht Bergman nach eigener Aussage auch als bewusste
Analogie zur Furcht vor der Atombombe.
Antonius Block
beichtet in einer Kapelle. Er beklagt seine innere Leere und er fragt nach Gott
und nach einem Sinn. Er will Gewissheit haben. Doch sein Beichtvater enthüllt
sich als der Tod, der ihm antwortet: „Du willst Garantien“. Antonius Block wird
als Grübler und Sinnsucher präsentiert. Er zielt auf die große
abstrakte Sinnfrage. Warum versteckt Gott sich vor uns, warum schweigt Gott,
fragt er ganz existentialistisch. „Ich rufe in die Finsternis und niemand antwortet“.
„Vielleicht ist dort wirklich niemand“, antwortet der Tod. Seine Frage läuft
ins Leere. Bleibt also nur die Antwort, dass alles sinnlos ist? Oder zielt Antonius
Blocks Frage vielleicht in die falsche Richtung?
Blocks Begleiter,
sein Knappe Jöns ist das genaue Gegenteil des Ritters. Ist Antonius Block
der Gottsucher, der Idealist, dem doch zugleich seine Mitmenschen gleichgültig
sind, so gibt sich Jöns als desillusionierter Zyniker, dem nichts mehr
heilig ist, der aber im praktischen Handeln Mitgefühl zeigt und anderen
hilft. Er rettet ein stummes Mädchen vor ihrem Vergewaltiger und er hilft
einem Gaukler einer wütenden Menge zu entkommen, die ihn lynchen will.
Dem Ritter Antonius
Block sind Menschen zunächst nur Mittel zum Zweck. Als die beiden eine
gefangene angebliche Hexe (Maud Hansson) treffen, die von Folter und Todesangst
gezeichnet ist, will er durch sie nur zu neuen Erkenntnissen kommen und er fragt
sie eindringlich, ob sie den Teufel gesehen hat. Wenn er Gott schon nicht direkt
finden kann, dann vielleicht über den Umweg seines Widersachers, des Teufels.
Später wird Antonius Block der Hexe nochmals begegnen, wenn sie nämlich
kurz vor ihrer Verbrennung steht. Noch einmal versucht er sie zu befragen, doch
dann sieht er in ihren Augen nicht den Teufel, sondern nur die Angst.
Das klingt vielleicht
düsterer als es ist. Denn außer der Sinnsuche des Ritters gibt es
noch Nebenhandlungen, etwa die Geschichte des Schmieds und seiner untreuen Frau,
die dem Film einige komödiantische Elemente gibt, und vor allem die Geschichte
der Gauklerfamilie, die im Kontrast zur Haupthandlung steht. Es ist die Geschichte
von Jof (Nils Poppe) und Mia (Bibi Andersson) und ihrem kleinen Sohn Mikael.
In den Namen sind unschwer Josef und Maria zu erkennen, die Gauklerfamilie ist
bewusst als Anklang zur Heilige Familie gedacht. Bergman gestaltet ein Idyll,
das fast schon überzeichnet ist. Jof und Mia sind unbeschwert, sie lachen
viel und machen sich keine Gedanken über die Zukunft. Speziell Jof wird
als naiv und gutmütig gezeichnet und er hat die Gabe des zweiten Gesichts.
Er ist der einzige außer dem Ritter, der den Tod sehen kann.
Die beiden Handlungsstränge
vom Ritter und der Familie werden getrennt begonnen bis sie sich nach einer
Vorführung der Gaukler verschränken. Der Ritter und sein Knappe finden
ihren Rastplatz beim Wohnwagen der Familie. Diese Szene bildet die Schlüsselstelle
des gesamten Films. Mia bewirtet ihre Gäste mit den einfachsten Gaben der
Natur, mit Erdbeeren und Milch. Sie nimmt das Leben, wie es kommt. In ihrer
Gesellschaft und angesichts ihrer Lebensfreude findet der Ritter Frieden. Ausdrücklich
bekennt er, dass er sich immer an das Glück dieses Augenblicks erinnern
wird, an diese Schüssel mit Erdbeeren, an die Milch, an das Gespräch.
Das Glück ist nur im Augenblick präsent.
Seit der Rastszene
ist die Einstellung des Ritters eine andere, - und ebenso sein Verhalten zu
seinen Mitmenschen. Waren diese ihm vorher gleichgültig, so setzt er jetzt
alles daran, die Gauklerfamilie zu retten. Um den Tod abzulenken wirft er absichtlich
die Schachfiguren um. Der Tod weiß natürlich wie sie standen und
stellt das Spiel wieder her. Diese kurze Zeit genügt jedoch, dass die Gauklerfamilie
unbemerkt den Platz verlassen und sich damit retten kann. Antonius Block sieht
es mit Befriedigung, dann fragt er den Tod „Du weißt also nichts?“ „Ich
bin unwissend“, antwortet dieser. Und der Ritter insistiert nicht mehr. Er hat
sich damit abgefunden, dass er keine Antwort bekommt, oder hat er gar verstanden,
dass er keine Antwort bekommen kann, da seine Frage in die falsche Richtung
geht?
Antonius Block
hat erkannt, dass seine Frage nach dem Sinn und nach Gott falsch gestellt war.
Es gibt keine abstrakte Antwort, es gibt nur das konkrete Handeln. Antonius
Block fragte Gott und erhielt keine Antwort. Immer wenn er glaubte er könne
Gott erreichen, traf er nur auf den Tod. Ebenso wenig wie Gott antwortete dessen
vermeintliches Gegenteil, der Teufel. Jede Frage nach Sinn traf nur auf den
Tod, der keine Antwort wusste. Jetzt erkennt der Ritter, dass seine Frage nicht
auf Gott oder dessen Gegenteil zielen muss, sondern auf das Gegenteil des Todes,
- also das Leben. Das Leben selbst ist die Antwort, nach der Antonius Block
suchte. Das unverfälschte Leben, wie er es in Gestalt der Gauklerfamilie
kennen lernte, ein gelungenes und damit geglücktes Leben.
Ein solches Glück
kann nicht als Zustand erreicht oder als Antwort gewusst werden, es kann nur
im Augenblick gelebt und vollzogen werden. Dies ist die Quintessenz aus Bergmans
Film. Ein Augenblick wie jene friedvolle Rast, die immer in der Erinnerung präsent
bleibt, beantwortet die Frage nach dem Sinn des Lebens. Um solcher Augenblicke
des Einklangs willen hat das Leben seinen Wert. Dies ist ein Konzept, dass Bergman
in mehreren seiner Filme darlegt. Am eindruckvollsten in „Wilde
Erdbeeren“
oder in „Schreie
und Flüstern“.
In der letzten
Szene gelangt der Ritter endlich zu seiner heimatlichen Burg, wo seine Frau
(Inga Landgré) auf ihn gewartet hat. Hier vollzieht sich am Ende das
Schicksal, denn der Tod erscheint und nimmt die ganze Gesellschaft mit sich.
Die abschließenden Bilder jedoch gehören nochmals der Gauklerfamilie.
Jof sieht am Horizont den Totentanz, doch Mia wischt seine Bilder hinweg mit
den Worten: „Was du immer siehst“.
Siegfried König
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Das
siebente Siegel
DET
SJUNDE INSEGLET
Schweden
- 1956 - 96 min. – schwarzweiß - Literaturverfilmung, Drama - FSK: ab
16; feiertagsfrei - Verleih: Constantin - Erstaufführung: 14.2.1962/12.4.1968
ZDF - Fd-Nummer: 10900 - Produktionsfirma: Svensk Filmindustri
Produktion:
Allan Ekelund
Regie:
Ingmar Bergman
Buch:
Ingmar Bergman
Vorlage:
nach seinem Theaterstück "Trämalning"
Kamera:
Gunnar Fischer
Musik:
Erik Nordgren
Schnitt:
Lennart Wallén
Darsteller:
Gunnar
Björnstrand (Jöns)
Max
von Sydow (Antonius Blok)
Bibi
Andersson (Mia)
Bengt
Ekerot (der Tod)
Nils
Poppe (Jof)
Gunnel
Lindblom (Stumme)
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