SIGNALSTÖRUNG
Eine Körperstörung ist es eher, wenn Aids diagnostiziert wird. Der Zug
bleibt stehen. Ein Zustand. In Bewegung kommen die Gedanken,
Erinnerungen, Ungeduld. Bilder fließen. - Thomas Mank hat für die
SIGNALSTÖRUNG eine eigenwillige, originäre, poetische Form gefunden. Das
Genre ist nicht recht festzulegen. Das Haus 68 der Aids-Station der
Frankfurter Uniklinik wird dokumentiert: das Home Movie ist nicht fern:
die Super 8-Sequenzen sind pathetische Inszenierungen (das Kind
entblättert Rosenknospen): die Strukturierung der vielen Fahrten verweist
auf den experimentellen Film. Eine souveräne Leistung, daraus ein ganz
eigenes, überzeugendes Werk zu machen. Wie nennen wir es? Filmpoesie.
Der Stillstand ist gleich am Anfang da und hält an: ein Dauer- und
Warnton begleitet den Film, ab und an von Cello-Einsätzen überlagert.
Daran ändert sich nichts. Auch der Zuschauer wird lernen, mit der Störung
zu leben. Die Kamera ist dagegen in Fahrt, häufig zeigt sie uns Fahrzeuge
auf der Autobahn, auch Schienenverkehr. Das Tempo wechselt, die Zeiten
auch, wir gelangen unversehens in selige Prä-Aidszeiten: die sechziger,
siebziger Jahre. Die Bilder gleichen sich dem an: sie sind sauber
inszeniert. Die Erinnerung puzzelt eine Autobiographie zusammen. Den
Protagonisten können wir nicht recht identifizieren. Was die Bilderfluten
zusammenhält, ist eine Stimme im Off. Ein Erzähler, der uns den ganzen
Film hindurch begleitet, ohne daß wir ihn zu Gesicht bekämen. Das Off
wird zum Zentrum: wir finden dann Sicherheit und Geborgenheit. Erzählt
wird von Unsicherheiten der Kindheit, von der Ungeborgenheit in der
Sexualität, von homosexuellen Praktiken, vom Leben auf der
Aids-Station.
Wie also ist das Wunder zu erklären, daß diese Stimme uns nicht in die
Betroffenheit entläßt, sondern wider alle Umstände Vertrauen ausstrahlt,
gar Zuversicht? Es muß der Duktus des Sprechens sein, der den Fakten sich
nicht beugt und unbefangen, geradezu munter in die Zukunft blickt. In der
Tat: mit "Tod gibt es nicht, also es ist alles Quatsch und alles ganz
anders", endet der Film trotzig-optimistisch.
Der Sprecher (Manfred Callsen) wird uns zum Freund. Er ist der ruhende
Pol; die Bilder, die während der Signalstörung dahinströmen, beherrscht
er nicht. Die Parallelen zwischen Bild und Ton scheinen sich manchmal
näherzukommen, dann sind sie wieder weit weg. Nichts ist dafür da, das
andere zu erklären. SIGNALSTÖRUNG illustriert nicht, beschönigt nicht,
dekoriert nicht. Aber freundlich umgegangen wird mit dem optischen
Material. Zur Aufmunterung gestattet sich Mank kleine Heiterkeiten. Wenn
die Kamera in Haus 68 wie in einem Werbefilm eine lange Reihe
Tablettenschachteln abfährt, rechnet sie die Sardinenbüchse "Madeleine
rot" zur aktuellen Medikation: und sie endet auf einer Tasse Kaffee.
"Eine Schachtel Marlboro light pro Tag", hören wir im Off.
Das Bild ist farblich nuanciert bearbeitet, strukturell anspruchsvoll
rhythmisiert, aber wir heben nicht ab. Wir bleiben konkret beim
Supermarkt der späten sechziger Jahre, in der Zeit der ersten sexuellen
Selbsterkundung. In den optischen Parallelwelten sind Fundstücke
sortiert, sind zum Teil selbst found footage, sie bringen nachträglich
Ordnung und Sicherheit in das Stadium der anhaltenden Störung. Genauer
sagt es der Sprecher selbst: die Kunst selbst ist es, die ordnet und
sichert. Vom Touristenstrom zur Mona Lisa hören wir nur: konkret und mit
dokumentarischer Genauigkeit ist es die Kamera selbst, die uns
Alltagsobjekte als Exponate vorführt, immer wieder. Sie sind aufgebaut,
ihrem Kontext entrissen, aber wir wissen aus dem Off, daß sie ihre
konkrete Geschichte hatten. Wir können sie jetzt in unseren eigenen
Kontext aufnehmen.
SIGNALSTÖRUNG erlaubt und fordert die Beteiligung des Zuschauers. -
Eine Fußwaschung: eine medizinische Behandlung? Eine metaphysische
Allegorie? Rätselhaft aufblitzende Bilder, allerlei Fragmente: in der
Subjektive des Erzählers collagierte Szenen wollen assoziativ
weiterwirken. Gerade dadurch, daß die Subjektive das Zentrum ist (und
zudem auf der Tonspur) kann die Beteiligung des Zuschauers intensiv
werden. - Tröstlich ist der Film, einfühlsam, emotional stark, formal
gekonnt. Sein Geheimnis: vom Thema Aids sich nicht verstören lassen,
sondern statt dessen die Störung offensiv, kreativ und human künstlerisch
gestalten.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist erschienen Mai 1999 in:
Signalstörung
BRD 1997. R, B, P: Thomas G.A.
Mank. K: Peter Dörfler, Henner
Winckler. Sch: Karl Riedl. M und T:
Bernd Schultheis. Pg: Mank/ZDF V:
GMfilms. L: 78 Min. St: 8.4.1999.
Mit Caspar Dietrich, Bernd
Eichhorn, Robert Simon. Sprecher:
Manfred Callsen.