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iGore
Filme
mit einem „kultigen“ Ursprung sind mir suspekt. Rezensionstechnisch verlangen
sie einem ab, in höchsten Tönen von einem Roman, Computerspiel oder
Comic zu berichten, den man weder kennt noch als Kult schätzt, nur um anschließend
die Verfilmung allenfalls als annährend, nicht aber äquivalent zu
bewerten. Wenn im Vorspann von Sin
City
der Hinweis „basierend auf den Kult-Comics von Frank Miller“ auftaucht, dann
ist das ein Tribut an die Unbekanntheit der Comic-Vorlage und willkommener Anlass,
hier nicht auf selbige einzugehen.
Die Vorlage
nicht zu kennen, ist ohnehin kein Nachteil: Schon in den ersten Einstellungen
ist zu sehen, dass Robert Rodriguez neuster Film von einer eigenen, mit bekannten
Comic-Elementen angereicherten Ästhetik lebt. Im Dauerregen einer Neo-Noir
Welt bewegen sich Figuren, die eine Mischung aus 20er Jahren und Cyberpunk darstellen,
haben nur markante Details wie ein Paar blauer Augen oder ein rotes Kleid das
Privileg der Farbe, sind Brillen comictypisch zwei weiße Flächen,
umrahmen innere Monologe stakkatoartig einzelne Einstellungen. Das ist eine
befremdliche wie verfremdende Optik, deren Notwendigkeit in dem Thema von Sin
City
liegt: Amoralische, schön komponierte Gewalt.
Die drei
Episoden, die an unbedeutenden Punkten miteinander verbunden sind, künden
von einer Welt voll Dreck. Bewohnt wird sie von verachtenswerten Anti-Helden
und Schurken; selbstgerechte bad cops und schmierige Politiker, psychopathische
Berserker und klerikale Kannibalen – schillernder Abschaum. Ihre Geschäfte,
die Geschichten von Sin
City,
sind nicht minder abgründig: Kindesmord und erbarmungslose Selbstjustiz,
Serienmord und rücksichtslose Rache, verhängnisvolle Attentate und
Bandenkrieg. Auf Details wie Geschichte oder moralische Erwägungen kommt
es dabei nicht an; allein die Gewalt als Amtssprache in Sin
City
ist von Bedeutung. Alle Episoden führen zu ihr, die sich in kunstvoller
Inszenierung Selbstzweck ist.
Dabei
geht es nicht zimperlich zu, wie zerschossene Ohren, herausgerissene Genitalien
und zerfolterte Leiber demonstrieren. Die Gemeinheit und Selbstverständlichkeit
der vielen Morde entspricht der Kunstwelt, in deren Amoralität alles erlaubt
ist, solange es nur eines ist: cool. Das ist bei Rodriguez, einem Meister der
sinnlosen, aber ungemein stilsicheren Gewaltdarstellung auch nicht anders zu
erwarten. Keine Überraschung ist es, dass sein alter Kompagnon Quentin
Tarantino ebenfalls eine Szene beigesteuert hat (eine komische Extremversion
der Bonnie
Situation
aus Pulp
Fiction).
Wie zuletzt Kill
Bill
gefällt sich auch Sin
City
in einer Unmenge an Effekten, Zitaten und natürlich Blut. Ob dies dem Zuschauer
zusagt, hängt von seiner Ernsthaftigkeit ab. Wer Sin
City
als die Verwirklichung pubertärer Träume von lässig-brutalen
Kampfmaschinen, perversen creeps und drallen Lack-und-Leder-Amazonen sieht,
der wird sein ironisches Vergnügen finden. Gemacht ist der Film aber eigentlich
für all diejenigen, die sich ein echtes (jugendliches) Faible für
diese Welt und ihren Kosmos erhalten haben. Ob nun ein kränkelnder Bruce
Willis nur langsam stirbt oder Benicio del Torros Kopf in bester Gonzo-Manier
Unsinn schwafelt, immer wieder trifft der Kenner und Liebhaber auf Fragmente
seiner Filmsozialisation, zusammengehalten von ordentlich viel Comicblut.
Wer hingegen
nach Sin
City
die alte Gewalt-Debatte wieder einmal aufbrüht, dem ist entweder alle Ironie
entgangen oder er bemängelt die angebliche Tiefe der Vorlage, die um des
reinen Effekts willen verkauft worden sei. Dabei ist es ein wenig so wie mit
dem iPod, dessen wahre Bedeutung nicht die Musik sondern die Coolness ist. Und
cool ist Sin
City
durch und durch.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der filmzentrale
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Film gibt’s im archiv
USA 2005 - Regie: Robert Rodriguez - Darsteller: Bruce
Willis, Clive Owen, Jessica Alba, Rosario Dawson, Benicio Del Toro, Mickey Rourke,
Brittany Murphy, Elijah Wood, Josh Hartnett, Jaime King - FSK: keine Jugendfreigabe
- Länge: 124 min. - Start: 11.8.2005
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