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Der
Sizilianer
Salvatore
Giuliano mag zunächst als der „klassische rebellische Volksheld des Mittelmeerraumes"
gelten, wie ihn der Autor des berühmren Buches »Mafia e Politica«.
Michele Pantalone, noch 1962 bezeichnete. Er war aber gewiß, in einer
politischen Situation, die komplexer und auswegloser nicht zu denken ist, auch
seine Denunziation. Der „König von Montelepre", ein Beinahe-Analphabet,
wie es sich für den Volkshelden gehört, konnte aus eigener Kraft kein
politisches Ziel, nicht einmal eine moralische Linie finden. Er reagierte verwirrt
auf die Kräfte, die auf ihn einwirkten, und auch darin war er dem Mythos
des Volkshelden verpflichtet, daß seine Handlungen nicht ohne Verzweiflung
zu denken sind. Zwischen seinem bäuerlichen Hintergrund (in dem es eine
positive Tradition des Banditentums gab) und den Zeichen einer neuen Zeit, zwischen
der Mafia und der EVIS (der geheimen Armee der sizilianischen Separatisten),
zwischen seinen Interessen und seinen Träumen konnte er keinen Weg finden.
Giuliano
konnte nur Ausdruck, nie auch nur im kleinsten Überwinder der Zerrissenheit
Siziliens sein. Seine Gedanken waren flüchtig wie seine Taten, unentschieden,
nur halb symbolische Handlung, halb auch nur konkreter Machtkampf. Sein Kampf
gegen Rom war von sonderbar verzerrten reaktionären Mythen geprägt
- er stand in engem Kontakt mit monarchistischen Gruppierungen - und mußte
schließlich, aufgrund psychischer ebenso wie materieller Gründe,
zum Werkzeug der politischen und sozialen Reaktion und des organisierten Verbrechens
werden: Überleben konnte Giuliano nur, indem er die Anzahl seiner Verbündeten
erhöhte, womit er aber auch Stück für Stück seine Autonomie
verlor. Er mußte sterben, als die Vielzahl seiner politischen Beziehungen
ihn als terroristisches Instrument unbrauchbar machte. In seinen letzten Jahren
war es Giulianos Aufgabe, im Dienst der „neuen Mafia“ die Reste der alten, obsolet
gewordenen Mafia zu liquidieren. Was mit und in Giuliano geschah, war archaisch,
insofern es aus den Mythen einer vorliterarischen und vorlegalistischen Gesellschaft
herrührte, und es war modern, insofern es als gezieltes Instrument der
Desinformation der Offentlichkeit diente.
War
Giuliano für das Massaker von Portella della Ginestra am 1. Mai 1947 verantwortlich?
Hat sein Mitstreiter und Neffe Gaspare Pisciotta ihn am 14. Juli 1950 im Auftrag
der Mafia getötet'? Und hat diesen ein Tod durch die Hand der neuen Mafia
ereilt? Es kommt nicht darauf an; Salvatore Giuliano lebte und starb im Kampf
gegen die Veränderung, gegen das, was eine sizilianische Revolution hätte
werden können.
Francesco
Rosi hat in seinem Film aus dem Jahr 1962 diesem unglückseligen Reaktionär
seine Widersprüchlichkeit gelassen; er war nur zu fassen in einer historischen,
ökonomischen Maschine, die ebenso perfekt funktionierte wie sie keine Mittel
zuließ, durch die sie wirklich zu verstehen wäre.
Mario
Puzo und Michael Cimino haben den genau entgegengesetzten Weg eingeschlagen.
Sie wollen uns den Helden zurückgeben, als wäre das so einfach. Spiegelverkehrt
zu Rosis Arbeit lassen sie die politischen Bezüge vage und behaupten statt
dessen, ihren Helden und die Menschen, mit denen er zu tun hat, gut zu kennen.
Was sie da aber kennen, ist nur das Echo des Volkshelden in der popular culture.
Cimino liefert uns einen melodramatischen Italo-Western.
Das
ist zugegeben opulentes Kino, fast episch, exzellentes story telling und eine
Regie, die sich in ihrer verhaltenen Selbstverliebtheit auch vor dem Kitsch
nicht scheut: eine wunderschöne Räuberballade. Es ist alles drin,
von Robin Hood über Cartouche zu Jesse James, und daß man den „edlen
Wilden" der achtziger Jahre, Christopher Lambert, für die Rolle ausgewählt
hat, war kein schlechter Griff. Der empfindsame Rebell gegen die falsche Zivilisation,
der zunächst nichts anderes als Essen für die Hungernden, dann Gerechtigkeit
und Land, dann die Macht zur Veränderung haben will, um schließlich
am Anspruch der eigenen Person, der eigenen Imitation der Macht zu scheitern,
hat eine unzweifelhafte Kino-Magie. Und da ist die Frau der Oberschicht, die
sich dem Volkshelden hingibt (Barbara Sukowa als nackter roter Hering); da ist
das hingebungsvolle Mädchen aus dem Volk, das den Helden stets (und stets
vergebens) vor dem Schrecken der Macht und dem Verlust der eigenen Wurzeln warnt
(singend marschieren muß sie ins Feuer von Giulianos Leuten, der das so
aber gar nicht gewollt haben soll), da ist die böse Vater-Gestalt, der
Boß der Bosse (der an Giulianos Grab weint), da ist der Freund, ein zuckender
Gaspare Pisciotta, der zum Verräter werden muß, der ewige Mörder
von Jesse James und allen wie er, da ist der Freitod des Volkshelden. Wir haben
dieses Märchen wieder und wieder gehört, gelesen, gesehen. Aber wir
sind klüger geworden in jüngster Zeit. Zu sehr hat das Kino seine
betrügerischen Absichten offenbart.
Salvatore
Giuliano hätte dieser Film gefallen. Die Armut, die Schönheit, die
Perversität Siziliens - alles auf einer Postkarte nach Amerika. Verzweifelt
(weil Cimino so spürbar nach Erfolg um jeden Preis fischt), dumm (weil
Cimino unsere Fähigkeit unterschätzt, mit Fragen aus dem Kino zu kommen),
eitel (weil Cimino nahezu jede Szene anpreist, wie um seiner Geschichte den
Rest von Lakonie auszutreiben) und selbstgerecht (unter anderem, weil Cimino
seinem sizilianischen Banditen eine Amerika-Sehnsucht unterstellt, ohne uns
nur einen Augenblick deren groteske Momente zu offenbaren) - das ist DER SIZILIANER.
In
diesem Film gibt es in der Tat einiges zu sehen, aber nichts zu begreifen. Der
Süden wird zu einem neuen Märchenland. Nicht eine Sekunde kann Cimino
zeigen, was das wirklich ist: Armut, Schmerzen, Furcht und Haß. Nur so,
nicht durch kindische Erfindungen und aufgewärmte Mythen, wäre Giuliano
näherzukommen, diesem geschundenen Schinder, der nur, wo er scheinbar sinnlos
gewalttätig war, ganz er selber war.
Georg
Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film 1/88
Der
Sizilianer
THE
SICILIAN
USA
1987. R: Michael Cimino. B:
Steve Shagan nach dem Roman von Mario Puzo. K:
Alex Thomson. Sch:
Francoise Bonnot. M:
David Mansfield. T.: David Crozier. Ba:
Wolf Kroeger. A:
Stefano Ortolani. Ko:
Wayne Finkleman. Pg: Gladden Entertainment. Gl: Sidney Beckerman. P:
Michael Cimino, John Carelli. V.:
Senator. L: 146 Min. St: 14.1.1988. D: Christopher Lambert (Salvatore Giuliano),
Terence Stamp (Prinz Borsa), Joss Ackland (Don Masino Croce), John Torturro
(Aspanu Pisciotta), Richard Bauer (Hector Adonis), Barbara Sukowa (Camilla,
Herzogin von Crotone).
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