zur startseite
zum archiv
Skidoo
Hier
werden alte Jugendträume wahr: Selbst der wohlbeleibte Spießerpapa
muß im (unfreiwilligen) halluzinogenen Rausch erkennen, daß nur
love
& peace
ins wahre Glück führen, die frustrierte Gattin (Sängerin Carol
Channing) emanzipiert sich unversehens und lädt die ganze happy Hippie-Family
aus Töchterchens Freundeskreis zum Love-in ins gutbürgerliche kalifornische
Wohnzimmer. Und dann wird zwar nicht ganz L. A., wie es Oberhippie Abbie Hoffman
(oder war es ein anderer?) einmal vorschwebte, mit LSD-angereichertem Trinkwasser
auf den kollektiven Trip geschickt, doch immerhin die Gefängnisinsel Alcatraz
komplett mitsamt Insassen und Bewachern dank selbiger Droge in ein fröhliches
Tollhaus verwandelt.
1968,
auch Hollywood konnte am Umbruch der Lebensstile nicht länger vorbeigehen,
hat Otto Preminger diese skurrile Hippiekomödie in Eigenproduktion realisiert
- ein Amalgam aus Gangsterstory und Familienmelodram, natürlich mit viel
Musik. Da wird mal wieder ein braver Brüger, der wohlbeleibte Tony Banks
(Jackie Gleason), von seiner gar nicht so bürgerlichen Vergangenheit eingeholt
- einen letzten Dienst soll er den alten Kumpels von der Mafia noch erweisen:
Mord an einem Aussteiger. Und auch Tochter Darlene (Alexandra Hay) mit glattgebügeltem
Blondhaar, vorher eher wegen ihrem langweiligen Hippie-Lover im elterlichen
Visier, gerät unweigerlich in die Fänge der Herren von der Firma.
Doch dann kommt alles ganz anders...
Hollywood
goes on trip - und kann nichts Rechtes damit anfangen. Zwar sollen die Filmhippies
echt sein und Preminger sich eigens zur Vorbereitung des Films einem Selbstversuch
mit der Droge ausgesetzt haben (unter ärztlicher Aufsicht selbstverständlich!).
Doch umsonst: Flower-Power, Bewußtseinserweiterung, freie Liebe - nicht
mehr als modische Versatzstücke in einem mäßig komischen und
als Gesamtfilm nicht besonders gelungenen gigantischen Comic strip; und für
den schon reiferen Regisseur - Preminger war damals 62 - auch ein bereitwillig
wahrgenommener Anlaß, viel blanke Damenhaut zu zeigen.
Viel
spannender als dies sind die funkelnden Glanzstückchen am Rande, die Details
und Seiteneffekte. Wie fast jedes Modeprodukt vergangener Zeiten fasziniert
SKIDOO heute durch verfremdende Distanz und bizarre Einblicke in verflossenen
Zeitgeist: ein Augenschmaus die (fantastisch ausgeleuchteten) abenteuerlichen
Muster kleinbürgerlicher Wohnungsdekoration (angeblich Hauptdarsteller
Gleasons eigene Heimstatt). Das High-Tech-Apartment von Nachwuchsgangster Angie
(Frankie Avalon), das sich auf Knopfdruck in ein multifunktionales (und -personales)
Liebesnest verwandeln läßt, stellt alle Gadgets von 007 weit in den
Schatten. Groucho Marx (auch George Raft und Mickey Rooney sind mit von der
Partie) darf in seiner letzten Rolle beweisen, daß es „Gott" doch
gibt, und zwar viel smarter und erotischer als je vorgestellt. Und mit seinem
Abspann, in einem Zug gesungen von den Hauptdarstellern bis zu den Copyrightbestimmungen,
stellt Preminger selbst Godard in den Schatten - zumindest in puncto Humor.
Hier allerdings verdichtet sich das vorher nur leicht nagende Unbehagen an der
zeitgenössischen Synchronisation zu tiefer Trauer über entgangene
Originalfassungsgenüsse.
Auch
wenn der Versuch des Verleihs, SKIDOO als Pilotfilm einer neuen „Kultfilm"Reihe
im Verleihprogramm durch entsprechende Vorabwerbung mit Kultfilmstatus aufzuladen
in Konfrontation mit der Banalität des Gezeigten eher lächerlich wirkt,
Gründe genug gibt es trotzdem, sich mit SKIDOO auch ganz ohne Drogen einen
vergnüglichen Abend zu bereiten - garantiert ohne höheren Wert.
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd film
6/94
SKIDOO
USA
1968. R und P: Otto Preminger. B: Doran William Cannan. K: Leon Shamroy. Sch:
George Rohrs. M: Harry Nilsson. A: Robert E. Smith. Pg: Sigma/Paramount. V:
Prokino. L:
97 Min. FSK: 12, ffr. DEA: 11.7.1969. St: 24.3.1994. D: Jackie Gleason (Tony
Banks), Carol Channing IFIo Banksl, Alexandra Hay (Darlene Banks), Mickey Rooney
(Blauauge), Frankie Avalon (Angie), Groucho Marx (Gott), Austin Pendleton (Professor),
John Phillip Law (Stash), Fred Clark (Turmwächter), Michael Constantine
(Leech).
zur startseite
zum archiv