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Der
Sohn von Rambow
Denn sie
wissen nicht, was sie tun
Der Sohn von Rambow
könnte so viel Verschiedenes sein: ein Psychogramm zum Beispiel, das sorgenvolle
Porträt eines vernachlässigten Jungen, der ohne Vater in der restriktiven
Sekte der Plymouth Brethren aufwächst, eine Studie über die desaströsen
psychologischen Auswirkungen seines ersten cineastischen Erlebnisses, als er
nach zwölf Lebensjahren in medialer Isolation ausgerechnet Rambo
zu sehen kriegt; der Film hätte auch ein Lehrfilm über die Gefahren
bei unbeobachteten Kinderspielen werden können, vor allem, wenn diese Späße
nur lapidar durchdachte Filmstunts mit Sprengstoff, Industrieschutt, Ölfässern
und Wasserwerfern beinhalten; eine Lebensstil-Doku über (Frisuren-) Mode
und Popkultur in den mittelenglischen 1980er Jahren hätte man auch daraus
basteln können; und Gott bewahre, beinahe wäre Der
Sohn von Rambow sogar ein
veritabler Kinderfilm geworden. Doch glücklicherweise bleiben all diese
Aspekte Details, die man getrost den Eierköpfen überlassen kann, denn
Der Sohn von Rambow macht erstmal nur unverschämt viel
Spaß.
Es ist einer dieser selten gewordenen Filme
ohne Marketingkonzept, die sich den traditionellen Zielgruppenzuschreibungen
bewusst entziehen: First
Blood meets Stand by Me
meets Der einzige Zeuge vielleicht?
Garth Jennings erweitert damit eine erstaunlich
sprunghafte Filmographie: Nachdem man dem britischen Musikvideoregisseur und
seinem Produktionspartner Nick Goldsmith direkt zum Einstieg ins Geschäft
die Multi-Millionen-Dollar-Verfilmung des ewigen Anarcho-Klassikers Per
Anhalter durch die Galaxis
überlassen hatte und er diese Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit bewältigen
konnte, reicht er nun einen charmanten und zutiefst originellen Indiefilm nach,
wie man ihn als Regiedebüt erwartet hätte. Der frühzeitige Ausflug
in den Mainstreamfilm ist nur noch in der leichtfüßigen Souveränität
spürbar, die in allen Bereichen vorherrscht – allen voran beim hinreißenden
Design von Joel Collins und beim leichtfüßig temperierten Schnitt
des vielseitig begabten Dominic Leung.
Eine besondere Erwähnung verdienen
sich Bill Milner und Will Poulter, die eine Energie und einen Enthusiasmus in
den Film bringen, ohne den das ganze Projekt nicht vorstellbar gewesen wäre.
Vom kindlichen Übermut bis zu den teils heftigen emotionalen Ausbrüchen
gelingt ihnen jede Szene so glaubhaft und sehenswert, dass man zu keiner Sekunde
daran denkt, hier könnten zwei 14-jährige ohne jegliche Schauspielausbildung
zu sehen sein. Jennings erklärt diese erstaunlichen Leistungen mit der
realen Freundschaft dieser beiden Jungs und mit der Tatsache, dass es ganz natürlich
wäre, dass Kinder nun mal gerne Geschichten nachspielen. Seine Bescheidenheit
vernachlässigt die Tatsache, dass gute Kinderdarsteller extrem schwer zu
finden und noch viel schwerer zu führen sind. Hier wurde meisterliche Arbeit
geleistet.
Mit Hilfe dieser beiden so unterschiedlichen
Jungs und seinen erfahrenen Technikern lässt Jennings eine magische Kindheitswelt
entstehen, in der alles noch knallbunt ist, jeder Baum noch riesengroß,
jede Enttäuschung noch schmerzt wie ein Weltuntergang – und in der man
noch nicht weiß, wovor man alles Angst haben müßte. Man holt
sich üble Schürfwunden im Wald, lässt sich mit Wippen quer durch
eine verlassene Fabrikanlage katapultieren, stellt Wilhelm-Tell-Szenen mit echten
Armbrüsten nach und ersäuft fast im örtlichen Teich. Bei so viel
Aufregung muss man erstmal eine rauchen und lernen, wie man ein altes Auto durch
einen Zaun fährt – alles nur für den Film, versteht sich. Soll noch
mal einer sagen, in der Filmindustrie lernt man nichts fürs Leben.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen
im:
Der Sohn von Rambow
Son of Ranbow. GB 2007. R,B: Garth Jennings. K: Jess Hall. S: Dominic Leung. M: Joby Talbot. P:
Hammer & Tongs, Celluloid Dreams, Reason Pictures. D: Neil Dudgeon, Bill
Milner, Jessica Hynes, Anna Wing, Will Poulter, Edgar Wright u.a.
96
Min. Senator ab 21.8.08
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