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Solaris
Inhalt:
Nach
der Ankunft auf einer sich im Orbit eines Ozeanplaneten befindlichen Raumstation
entdeckt ein Psychologe, dass der Commander einer Expedition zum Planeten umgekommen
ist. Bald passieren merkwürdige Dinge, wie das Auftachen bereits gestorbener
Crew-Mitglieder.
Kritik:
Welches
Motiv könnte jemanden wie Steven Soderbergh dazu bewegen, einen Roman wie
"Solaris" mit jemandem wie George Clooney in der Hauptrolle zu verfilmen,
und dies, obwohl es schon vor etwas mehr als dreißig Jahren eine Adaption
des Stoffes gab, die zudem auch noch als einer der wichtigsten Filme des Genres
gilt? Ich möchte nicht abstreiten, mir diese Frage bis zum Erscheinen von
Soderberghs Solaris
eifrig gestellt zu haben - verbunden mit nicht geringer Skepsis, viel Sarkasmus
und einer nicht zu verschweigenden Belustigung über das scheinbar in seinem
Gelingen hoffnungslose Unterfangen. Ohne jeden Zweifel bin ich zudem kein Freund
der Filme Soderberghs; halte ihn mehr oder minder für einen der Effekthascherei
nicht immer gänzlich abgeneigten "Form"-Regisseur, dessen gelegentliches
Winden um die herausfordernden Themenkomplexe und Subplots seiner Filme herum,
diese zuweilen zu einem Ärgernis werden lässt. Dass ich Solaris
letztlich mögen würde, dafür standen die Aussichten also denn
auch denkbar schlecht, und gerade in diesem Kontext kann ich dem Film - auch
wenn ich ihn nicht für gelungen halte - letztlich doch nicht absprechen,
mir über rund einhundert Minuten zumindest meine Aufmerksamkeit entlockt
zu haben.
Außer
Frage steht, dass er irgendwo Anerkennung verdient, für das, was er getan
hat, dieser Steven Soderbergh; Regisseur von doch oftmals so gänzlich anspruchsfernen
und dafür umso mehr publikumsnahen Werken wie Ocean's
Eleven
(2001) oder Erin
Brockovich
(2000): Einen Roman zu adaptieren, dessen sich schon einmal ein Regisseur angenommen
hat, beinhaltet für den Neuinterpreten immer die "Qual des Vergleichs"
und das besonders scharfe Urteil von Zuschauern und Kritikern. Wenn dieser Regisseur
dann aber auch noch ausgerechnet Andrei Tarkovsky, fraglos einer der am meisten
bewunderten Künstler in der Geschichte des Films, war und seine Interpretation
zudem als Meisterwerk gilt, dann ist die Aufgabe gerade für einen Filmemacher
wie Steven Soderbergh fast von vorneherein zum Scheitern verdammt. Weniger aufgrund
seiner eigenen Person als vielmehr aufgrund der natürlich außergewöhnlich
hohen Erwartungen und nicht zuletzt auch wegen der immensen Anzahl Messer wetzender
Skeptiker, die nur darauf warten, dass das endgültige Produkt schließlich
nur mittelmäßig ist, um es möglichst großartig und weithin
sichtbar in der Luft zu zerreißen und zu einem der lächerlichsten
Filme des Jahres zu erklären. Mut muss Soderbergh also reichlich gehabt
haben, als er sich Solaris
vornahm, wohlwissend, dass er nicht in einer Liga mit einem Andrei Tarkovsky
spielt, und eine nicht geringe Anzahl veritabler Gegner vor sich hat, die es
irgendwie von der Brauchbarkeit seines Filmes zu überzeugen gilt. Folglich
verdient das Unterfangen als solches auch unseren uneingeschränkten Respekt
- der Film selber aber nur sehr bedingt.
Als
Solaris
Ende des vergangenen Jahres in die amerikanischen Kinos kam, spaltete er die
Kritiker in zwei doch recht deutlich voneinander distanzierte Lager. Am Beispiel
der beiden vielleicht bekanntesten Kritiker des Landes (dessen "Kritikerlandschaft"
sowieso weitaus besser einsehbar und - trotz der enormen Zahl an Rezensenten
- überschaubar ist, als etwa die unsrige), Roger Ebert (Chicago Sun-Times)
und Jonathan Rosenbaum (Chicago Reader), lässt sich dies vielleicht am
besten veranschaulichen: Ebert, fernab davon, ein sonderlich großer Anhänger
der russischen Filmkunst zu sein, lobte Soderberghs Solaris,
seinen ruhigen Rhythmus und die Dichte seiner Ideen. Rosenbaum hingegen, ein
im Weltkino wie kaum ein zweiter beheimateter strenger Analytiker und scharfer
Gegner des amerikanischen Studiosystems, hasste den Film, empfand konkret seine
ihn an hohle Hollywood-Filme gemahnende Ikonographie (ein schwitzender George
Clooney; eine über seine Nase laufende Träne) als geradezu abstoßend,
machte sich lustig über die Art, wie der Film inszeniert wurde. Obwohl
ich mich erfahrungsgemäß eher zu Rosenbaums Ansichten hingezogen
fühle und seine akribischen Versuche, klarzumachen, dass das Kino der absolut
ganzen Welt (und eben nicht nur den USA) zu eigen ist, aufs höchste schätze,
sehe ich im Fall von Solaris
den Film weder so negativ wie er, noch könnte ich ihn loben, wie Ebert
es tat. Meine eigene Einschätzung von Soderberghs mutigem Versuch liegt
relativ genau zwischen den Meinungen dieser beiden Kritiker und ist gleichzeitig
ungemein weit entfernt von der Haltung des amerikanischen Kinopublikums, das
den Film als schlichtweg "langweilig" abtat, und ihn an den Kinokassen
zu einem Debakel werden ließ.
Liest
man Stanislaw Lems Roman, oder schaut man eine der Verfilmungen (fast gleich,
ob nun Tarkovskys oder Soderberghs), so stellen sich dem Zuschauer jenseits
aller Science-Fiction-Gedanken und Zukunftsvisionen vor allen Dingen (mindestens)
zwei der vier essentiellen Fragen der Philosophie nach Kant: "Was kann
ich wissen?", und "Was soll ich tun?". Die Handlung von Solaris,
ein geniales Konstrukt der Ununterscheidbarkeit zwischen Wirklichkeiten und
Scheinwahrnehmungen, gibt schon in ihrer Anlage vor, in welche Richtung die
Gedanken des Leser bzw. Zuschauers wandern sollen, wo er sich selbst und seine
Umwelt hinterfragen soll: Der Psychologe Chris Kelvin, trauernd über den
Selbstmordtod seiner Frau Rheya, wird als Spezialist auf eine irgendwo im All
fast verloren erscheinende Raumstation beordert, die seit Jahren den rätselhaften
Planeten Solaris
untersucht. Seltsame Dinge passieren hier an Bord: Der Leiter der Mission ist
bei Kelvins Ankommen bereits tot, irgendetwas scheint die Crew zu verstören
- allen scheint klar zu sein, dass dieser seltsame Planet Solaris
ihre Gegenwart "bemerkt", dass er sie zu verändern, zu beeinflussen
sucht. Es kommt schließlich dazu, dass die Mitglieder der Mission von
"Gästen" besucht werden - keine Außerirdischen, wie wir
sie uns vielleicht vorstellen, sondern Menschen, die den Crewmitgliedern auf
irgendeine Weise nahe stehen. Kelvin wird schließlich von seiner toten
Frau besucht und obwohl er weiß, dass sie nicht "seine" Rheya
sein kann, kann er es nicht verhindern, dass er mit ihr umgeht, als sie sie
es. Beide sprechen über die Beziehung, die sie hatten, lassen ihre gemeinsamen
Tage auf der Erde noch einmal vor ihnen aufleben. Doch Rheya ist nur eine Projektion
dessen, was Kelvin noch von ihr in seinem Gehirn gespeichert hat. Eine Reflexion
exakt jener Dinge, durch die sich Rheya in Kelvins Geist definiert. Sie ist
ein Produkt seiner Sichtweise auf sie. Erstellt von Solaris,
unsterblich und doch gewillt, vernichtet zu werden, wenn sie herausfindet, dass
sie nur ein "Klon" ist.
Es
sind einige der quintessenziellen Fragen der Erkenntnistheorie, die Solaris
aufwirft: Was ist Wirklichkeit? Was ist Wahrheit? Wo enden die Möglichkeiten
des Wissens? Rheyas Klon ist eine perfekte Reflexion von Kelvins Vorstellung
von ihr - keineswegs nur körperlich, sondern die "falsche" Rheya
existiert gänzlich durch Kelvin hindurch, stellt all das dar, was Kelvin
über sie weiß, und was er meint, zu wissen. Der unweigerliche Gedanke,
dem wir uns gegenüberstellen müssen, ist: Was, wenn dies nicht das
Resultat von Science-Fiction und Phantasie, sondern eine mögliche Vision
der Wahrheit (Wahrheit, nicht Wirklichkeit) ist? Ist es nicht so, dass die Menschen,
die wir jeden Tag um uns herum sehen, letztlich auch bloß eine Reflexion
dessen darstellen, was wir von ihnen denken; was wir von ihnen sehen können;
was wir von ihnen wissen können? Der menschliche Geist ist groß und
so ist es uns möglich, eine Vielzahl von Informationen zu speichern und
zahllose Eigenschaften einer bestimmten Person aus unserem Leben zuzuordnen.
Komplexe Portraits mit einer Unmenge an "Graustufen" können sich
in unserem Gehirn bilden - aber wenn es zur Endgültigkeit und Vollkommenheit
des Wissens über den anderen kommt, kennt kein Vater seinen Sohn, und keine
Mutter ihre Tochter. Ultimativ wird unserem menschlichen Denken hier eine unüberwindbare
Grenze aufgewiesen; das Wissen endet hier und wir müssen uns nur allzu
oft zur Fehlbarkeit und Unvollständigkeit unserer Reflexionen bekennen.
Es ist eine weitere, jedoch ethische Frage, die sich beim Anschauen von einem
Film wie Solaris
auf fast unangenehme Weise in unser Nachdenken über die Erkenntnis "einschleicht":
Wenn wir davon ausgehen, dass die Menschen, die uns umgeben, für uns nur
Reflexionen einiger ihrer Teile sein können, wo liegt dann der Unterschied
zwischen Rheya und ihrem Klon? Dürfen wir uns eine Unterscheidung in der
Behandlung dieser beiden Lebensformen anmaßen?
All
das verbirgt sich in Steven Soderberghs Solaris
- und auch nicht. Ein Gedanke, der meine Einschätzung des Films für
mich fast zu einem Dilemma werden lässt, ist, dass Soderbergh alles andere
als der erste war, der diese Gedanken aufwarf, sondern, dass sie noch nicht
einmal erst seit Lems Roman existieren und diskutiert werden. Im Vorfeld zur
Veröffentlichung des Films sprach Soderbergh sich immer wieder vehement
dagegen aus, ein "Remake" von Tarkovskys Klassiker machen zu wollen.
Es sei eine "Neuinterpretation" der literarischen Vorlage Lems - wahrscheinlich
wäre er mit dem erstgenannten Begriff besser gefahren, denn von einer veritablen
neuen Interpretation, die dem Gedanken des Romans neue Dimensionen aufweisen
könnte, ist Soderbergh noch weiter entfernt, als von einem tatsächlichen
"Remake" von Tarkovskys Film. Vielmehr scheint seine Verfilmung eine
Form von "Zusammenfassung" der wichtigsten Gedanken der beiden vorherigen
Behandlungen der Thematik zu sein - obwohl wir uns wohl noch nicht einmal sicher
sein dürfen, dass diese Gedanken tatsächlich vom Film selber bewusst
evoziert werden, oder, ob sie nur durch unsere Kenntnis von Lems Buch und Tarkovskys
Film hervorgerufen und durch unser eigenes Nachdenken jene Komplexität
erreichen. Abstrahiert man diesen Gedanken enorm, so könnte Soderberghs
(!) Solaris
beinahe als gesamtes Projekt, als Film in seiner absoluten Gesamtheit und vor
allem in seiner Ausführung ein Ausrufezeichen unter die Unvollständigkeit
unserer Erkenntnisvorstellungen setzen wollen - eine Idee, die jedoch sicherlich
niemals tatsächlich intendiert gewesen sein kann.
Dass
sich Soderbergh ganz offensichtlich nicht um eine neue Akzentuierung weiterführender
philosophischer Gedanken in der Solaris-Thematik
bemüht, mag noch nicht Grund genug für das letztliche Scheitern des
Films sein. Viel verstörender ist aber, dass man sich während des
Films des Gefühls nicht erwehren kann, all diese Ideen würden Soderbergh
nur peripher interessieren. Immer wieder scheint es, als wolle Soderbergh die
Aufmerksamkeit seiner Zuschauer in eine andere, weitaus weniger interessante
und altbackene Richtung lenken: Die Unsterblichkeit und Tragik der Liebe zwischen
Chris und Rheya; das Verhalten gegenüber einer neuen, jedoch nur scheinwirklichen
Chance. Immer wieder legt Soderbergh das Hauptgewicht seiner Interpretation
auf diese doch schon viel zu oft erzählte Geschichte, bedient sich einer
sterilen, an Modephotos gemahnenden Hochglanzästhetik hinter der Kamera
(Soderbergh übernahm die Kameraführung unter einem Pseudonym selbst)
und lässt seine beiden Hauptdarsteller davor möglichst attraktiv und
aufmerksamkeitsträchtig nackt auf einem Bett liegen. Ich möchte mich
nicht allzu sehr Jonathan Rosenbaums Meinung annähern und behaupten, dass
ich diese doch teils etwas aufdringlich formalistische Bildgestaltung gänzlich
verachten würde (schön anzusehen ist sie zweifelsohne), doch sie lenkt
anders als Tarkovskys weitaus schlichter gehaltene Film ab von den Gedanken,
die der Zuschauer schneller und vor allem tiefer gehender zu entwickeln scheint,
als der Film es tut. Denn eines der Hauptprobleme liegt nach meinem Dafürhalten
selbst bei diesem von vielen wohl als extrem langsam empfundenen Film in seiner
viel zu kurzen Lauflänge: Mit mehr als einer Stunde weniger Spielzeit als
Tarkovskys Film sie hatte, erbringt Soderbergh fast selbst den Beweis dafür,
dass ihn die philosophischen Konstrukte der Vorlage weniger interessieren, als
seine immer wieder hervorgehobene, belanglose Liebesgeschichte: Während
man in Tarkovskys endlosen Einstellungen (ich möchte da an die legendäre
Szene in der Schwerelosigkeit erinnern) die Möglichkeit hatte, lange über
seine eigenen Gedankenansätze nachzudenken, sie zu vertiefen und mit neuen
Eindrücken allmählich zu verbinden, wirkt Soderberghs Film beinahe
überhastet; der Zuschauer bekommt kaum Gelegenheit zur Ruhe, wird "zugeschüttet"
mit ständigen Weiterentwicklungen in der Handlung. Tarkovsky war sich der
inhaltlichen Vielschichtigkeit und Gewichtigkeit seines Filmes bewusst - Soderbergh
allem Anschein nach nicht.
Solaris
hätte ein doch recht unkomplizierter "Fehlschlag" werden können,
hätte er nicht das Ende, das er hat. Die letzte Sequenz, die ich gar nicht
verraten, sondern lediglich andeuten möchte, offeriert aufs Extrem gebracht
zwei Sichtweisen auf den Film, die die gesamte Problematik des Werkes zusammenfassen
können. Während eine von beiden ein typisches, lebloses Hollywood-Ende
darstellt, manifestiert sich die andere gänzlich an einem einzigen, entscheidenden
Wort - das "Egal" in Rheyas Satz "Egal. Jetzt gibt es nur noch
uns beide". Nehmen wir doch nur einmal für einen kurzen Moment an,
dass Soderbergh in diesem Moment ausnahmsweise einmal mehr über das "egal"
als denn über das "uns beide" nachdachte. Wo wir ankommen, wenn
wir das annehmen, ist zum einen eine veritable Erkenntnis, nämlich Sokrates'
Ausspruch "Ich weiß, dass ich nichts weiß", und zum anderen
das in Nietzsches Streben nach dem "Ja-Sagen" ausgedrückte Flehen
nach dem reinen Definieren, dem "Ausschalten" des Denkens. Für
einen einzigen Moment bekommen wir noch einmal den Eindruck, Soderberghs Solaris
sei tatsächlich ein Film über den Zwang zur Definition aufgrund der
Unvollendetheit unseres Wissen und unserer mangelnden Erkenntnis. Als hätte
der Film so angestrengt nachgedacht, dass er sich nun doch zum menschlichen
Versagen bekennen muss. Kann es sein, dass Solaris
dieser Film ist? Ich zweifle daran.
Janis
El-Bira
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibt's im archiv mehrere Kritiken
Solaris
(USA,
2002)
Regie:
Steven Soderbergh
Premiere:
27. November 2002 (USA)
Drehbuch:
Steven Soderbergh
Dt.
Start: 06. März 2003
FSK:
ab 12
Länge:
93 min
Darsteller:
George
Clooney (Dr. Chris Kelvin), Natascha McElhone (Khari Kelvin), Jeremy Davies
(Snow), Viola Davis (Dr. Helen Gordon), Ulrich Tukur (Gibarian), Donna Kimball
(Gibarians Frau), Shane Skelton (Gibarians Sohn)
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