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Solino
Wie
der 2004 prämierte und gefeierte „Gegen
die Wand“
thematisierte auch Fatih Akins dritter Spielfilm „Solino“ die Fragen nach Leben
und kultureller Identität von ehemaligen „Gastarbeitern“ und/oder deren
Kindern in Deutschland. Der Versuch, diese Seite der bundesrepublikanischen
Geschichte wahrzunehmen, erhielt (verdientermaßen) das Prädikat „Besonders
wertvoll“. Denn allzu wenig erfahren wir Deutschen, auch die Deutschen südeuropäischer
Herkunft selbst über ihre eigene Vergangenheit. Es scheint oft, als wäre
Integration gleichbedeutend mit dem Vergessen der eigenen Wurzeln, und als erschöpfe
sich interkulturelle Differenz und Kommunikation in Fastfood-Symbolik: Bratwurst,
Döner, Pizza. Wo zu wenig memoriert, reflektiert, kommuniziert wird, entstehen
Stereotypen. Obwohl sicherlich in bester Absicht gelangt auch „Solino“ – und
das unterscheidet ihn auffallend von „Gegen die Wand“ - nur selten darüber
hinaus.
In
den sechziger Jahren verlässt die glückliche italienische Familie
Amato ihr freundliches Heimatdorf Solino, um ihr Glück im grauen und tristen
Deutschland, sprich in Duisburg, zu suchen. Schon der Beginn ist rätselhaft,
denn zwingende wirtschaftliche Not ist bei den Amatos nicht auszumachen, eher
folgt man dem Trend der Zeit: Gastarbeiter in der BRD werden. Über die
Stationen siebziger und achtziger Jahre behandelt der Film den familiären
Werdegang (sie eröffnen die erste Pizzeria im Ruhrgebiet), aber speziell
den der beiden ungleichen Brüder Gigi (Barnaby Metschurat) und Giancarlo
(Moritz Bleibtreu). Deren Aufwachsen im Spannungsfeld von (mäßig
überzeugendem) italienischem Patriarchat (Gigi Savoya), antiautoritärem
Rebellentum (Sex, Drogen, Ton Steine Scherben, The Can) und Kunst (Gigi will
Filmemacher werden) steht im Mittelpunkt, ist so in den besten Momenten Aufbereitung
von Zeitgeschichte, in den schlechtesten aber leider eine Karikatur dessen,
was wir immer schon über unseren Pizzabäcker an der Ecke gedacht,
jedoch nie hinterfragt haben.
Bitte
auf keinen Fall die auf der DVD (neben Italienisch/Deutsch mit UT) enthaltene
völlig überflüssige deutsche Version ohne Untertitel anschauen.
Der gravierendste Schwachpunkt dieser Synchron-Fassung besteht darin, dass man
in diesem Film-Italien genauso deutsch spricht wie in Deutschland. Da wirkt
es dann sehr seltsam, wenn Mama (Antonella Attili) das Deutsch der Deutschen
plötzlich nicht versteht und es sich vom Sohn ins (bis dahin nicht gesprochene)
Italienische übersetzen lassen muss. Das Angebot eines Verzichtes auf die
Originalsprache war wohl ein Zugeständnis an den Mainstream-Zuschauer.
Irgendwie aber scheint ein solcher unnötiger Kompromiss symptomatisch für
das Ganze: Der Film krankt an der Vereinfachung seiner Bestandteile. So ist
beinahe jede Figur deutlich überdeterminiert: Ein dutzendmal muss Gigi
wiederholen, dass er Filme machen will (der Film erklärt: er ist ein sensibler,
geborener Künstler), ein dutzendmal stellt Bruder Giancarlo seine kriminellen
Tendenzen unter Beweis (der Film erklärt: er ist ein schwacher, grober
Mensch), latent blass und müde leidet die Mutter an der deutschen Kälte
im Doppelsinn (der Film erklärt: sie sehnt sich nach Italien zurück),
und so weiter und so fort. Weil der Film zu wenig an seine Figuren (und an das
Reflexionsvermögen der Zuschauer) glaubt, überzeichnet er sie so lange,
bis sie zu Klischees werden. Ein weiterer Schwachpunkt dabei mag aber auch die
Wahl der Darsteller gewesen sein, von denen als einziger Moritz Bleibtreu ein
bisschen Leben in die Bude bringt, auch wenn seine forcierte Italo-Gestik doch
hin und wieder zu bemüht erscheint. Überhaupt ist ziemlich unverständlich,
warum nicht echte Söhne von Italienern Söhne von Italienern spielen
sollten?
„Solino“
endet – auch da eine Parallele zu „Gegen die Wand“ – mit einer Rückkehr
in die Heimat. Selbst ein Land kann zum Abziehbild werden: Italien ist hell,
Deutschland ist dunkel, Italien ist warm, Deutschland ist kalt, und wenn Gigi
nicht Filmemacher geworden ist, so hat er doch sich selbst finden können
– da wo er geboren ist, da wo die Menschen einfach und freundlich sind, da wo
seine Jugendliebe auf ihn immer gewartet hat, da wo er hingehört? Löst
„Solino“ das Problem Multikulti, indem er das Projekt Multikulti einfach rückgängig
macht?
„Solino“,
und deshalb wäre der Film Teil eines interessanten Lehrbeispiels, ist trotz
des sehr verwandten Themas in seiner Realisation beinahe das genaue Gegenteil
von „Gegen die Wand“, obwohl der Regisseur beider Filme derselbe ist. Was „Solino“
falsch macht, macht „Gegen die Wand“ richtig. Seine Kraft bezieht „Gegen die
Wand“ vor allem aus dem Vertrauen in seine Geschichte und in seine Figuren -
die wiederum von starken Darstellern gespielt werden. Die Protagonisten in „Gegen
die Wand“ sind faszinierend, weil sie widersprüchlich und geheimnisvoll
bleiben dürfen, die Handlung bleibt spannend, weil sie unvorhersehbar ist.
Die Protagonisten in „Solino“ - und die Länder „Italien“ und „BRD“ zählen
dazu - sind ermüdend, weil ihre Geheimnisse allzuschnell gelüftet
sind. „Solino“, leider überwiegend, ist die Verfilmung von „Pizza“ und
„Bratwurst“.
Andreas
Thomas
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der filmzentrale
Solino
Deutschland
2002. R: Fatih Akin. B:
Ruth Toma. P:
Ralph Schwingel, Stefan Schubert. K: Rainer Klausmann. Sch:
Andrew Bird. M:
Jánnos Eolou. T:
Kai Lüde. A:
Bettina Schmidt. Ko: Lucia Faust. Pg: Wüste/WDR/Arte/Bavaria/Multimedia.
V:
X Verleih. L: 124 Min. FSK: 12, ffr. Da: Barnaby Metschurat (Gigi), Moritz Bleibtreu
(Giancarlo), Antonella Attili (Rosa), Gigi Savoia (Romano), Patrycia Ziolkowska
(Jo), Tiziana Lodato (Ada), Lucas Gregorowicz (Hajo), Christian Tasche (Jos
Vater).
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