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Soloalbum
Ganz
miese Witze
Gregor
Schnitzlers Verfilmung von Benjamin von Stuckrad-Barres Pop-Erfolgsroman „Soloalbum“
karikiert die Wirklichkeit leider viel schlechter als das Buch
Was
man im Kino per Gesetz verbieten sollte: Junge will was von Mädchen. Junge
rennt auf Brücke oder in enger Gasse hinter Mädchen her, redend, rufend.
Mädchen eilt mit starrem Blick weiter und guckt angestrengt nicht in die
Kamera, die vor ihr hergezogen wird. Der Junge kommt immer näher und redet
weiter auf sie ein. Er läuft jetzt etwas schneller, beide im Tempo von
Sportgehern. Er redet weiter, holt sie fast ein. Und so fort. Schließlich
dreht sie sich zu ihm um.
Oder
dies: Jemand kommt in ein Haus oder eine Wohnung, die Tür war offen, oder
der Summer öffnete sie. Der Betreffende beginnt ohne Punkt und Komma zu
reden, weil er erwartet, dass seine Gesprächspartnerin im Haus ist. Komik
soll nun dadurch entstehen, dass dem nicht so ist. Sie ist ganz woanders, oder
statt der Freundin ist deren Geliebter da oder so. Der dies nicht merkende Held
plappert aber munter weiter, bis seine deplatzierte Rede endlich offiziell so
peinlich wird, wie die Idee schon von Anfang an abgedroschen war.
Einfälle
wie diese, von denen man hofft, die Filmemacher möchten sie doch an einem
dunklen Abend als Sperrmüll auf die Straße stellen und hoffen, Edel
& Starck oder eine andere Privatfernsehproduktion holten sie ab, gehören
noch zu den erträglicheren von Gregor Schnitzlers Soloalbum, dem Film „frei“
nach dem Erfolgsroman von Benjamin von Stuckrad-Barre. „Frei“ steht im Vorspann
vermutlich dafür, dass auch der Autor die Verfilmung seines Werkes inzwischen
allzu babyblöd findet.
Man
könnte die vermeintliche Liebesgeschichte damit verteidigen, dass hier
den ganz Kleinen etwas über das angeblich zeitlose Gefühl des Verlassenwerdens
erzählt werden soll. Aber nicht einmal den Regeln der in den letzten zehn
Jahren sattsam zur Formel „Universelle-Liebe-vor-konkret-lebensweltlicher-Kulisse“
geronnenen deutschen Begeisterung für das, was ihre Anhänger für
den frühen Truffaut halten, wird genügt. Die versprochenen Einblicke
in die hippe Hauptstadt etwa, wo der Protagonist das vermeintlich beneidenswerte
Leben eines Musikjournalisten lebt, bleiben konsequent auf dem närrischen
Niveau abgelehnter Bi-Fi-Spots. Sie zeigen nicht die Spur eines Ehrgeizes, irgendein
reales zeitgenössisches Phänomen auch nur in die Kulisse zu schieben.
Im
Gegenteil, die Wirklichkeit ist in diesem Film nicht einmal als Karikatur gefragt:
Die Redaktionsräume sind hier größer als bei der Washington
Post, sämtliche Musikzeitschriften des deutschsprachigen Raums samt aller
Gothic-Fanzines und Fachblätter für Graffiti und Snowboard-Kultur
hätten hier, wo angeblich eine Musikzeitschrift entsteht, Platz, und –
Gipfel der Unglaubwürdigkeit – der Redaktionsleiter sieht aus wie Leander
Haußmann. Die heiße Hauptstadtparty ist ein Ähnlichkeitswettbewerb
mit so vielen Madonnas und Michael Jacksons, wie es sie auch in Cottbus und
Coburg schon nicht mehr gibt. Auf dieser Party geht dem armen Ben ein als Anastacia
zurechtgebrezeltes No-Angels-Mitglied an die Wäsche und zwingt ihn zu sexuellen
Handlungen.
Überhaupt diese Weiber: eine Geißel der Menschheit.
Vor allem wollen sie alle nur das eine. Alle sexuell aktiven Frauen werden zur
Karikatur, während die begehrte, Liebeskummer verursachende Weggelaufene domestiziert
und dämlich zwischen den Kategorien „liebes Mädchen“ und „Maus“ als
lebende Ideologie ein Dasein fristet. Wer sie zurückhaben will, kann sich
nur herrlich selbstironisch selbstbeschmunzelnden Aktivitäten hingeben,
denen sich der ewige junge Heißsporn angeblich immer schon verschrieben
hat: etwa dem Nebenbuhler ins Auto pinkeln. Da bleibt nicht nur der Schwanz
in der nicht weit genug geöffneten Autoscheibe hängen, sondern ein
noch schlechterer und ewig in die Länge gezogener Witz im Drehbuch. Watt
hamwer jelacht!
Im
Roman Soloalbum ist das Weglaufen der Freundin der Anlass zu einem schlecht-gelaunt-
schnöseligen, aber doch nicht ganz unrasanten Monolog. Eine jugendliche
Person benennt die Verlogenheiten der Älteren. Nun ja. Die schlecht gelaunte
Schnöseligkeit, nur notdürftig durch den Liebeskummer anmoderiert,
wird aber nur als Voraussetzung für den relativ ungebremsten Abrechnungston
der allseits beliebten Hier-komm-ich-Geste gebraucht.
Im
Film soll sie als Arroganz oder Lieblosigkeit irgendwie erklären, warum
die Freundin gegangen ist. Sie wird aber nicht näher begründet. Warum
ist der Kerl so stieselig? Um ordentlich auf die Kulturkacke zu hauen! Bloß:
Das tut er im Film überhaupt nicht. Ben sagt nicht einen halbwegs lustigen
Satz. Am Schluss schreibt er ein Buch, indem er schreibmaschinengetippte Zettel
an Wäscheklammern in seiner Wohnung aufhängt. Was da wohl draufsteht?
Derweil glaubt die Musik mit der prominent im Mix herausgestellten halb akustischen
Rhythmusgitarre immer noch an ein Lexikon von Sound-Zeichen, das schon in den
mittleren Neunzigern eingestampft oder in Restbeständen an die Vorabendserien
der ARD verkauft wurde. Doch akustische und halb akustische Rhythmusgitarren
sind als Sound-Zeichen jugendlich-frischer Knospenhaftigkeit nicht mehr verwendbar.
Die entsprechende Kodierung ist nun einmal ausgelaufen.
Immerhin,
es gibt tatsächlich eine wunderschöne Stelle in diesem Werk: die circa
eine Minute durchgehaltene Schlusseinstellung auf dem U-Bahnhof Eberswalder
Straße mit dem drum herum wuselndem Prenzlauer-Berg-Verkehr. Das wirkt
wie eine Erholung nach all dem leeren Gehopse.
Diedrich
Diederichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: Zeit
Soloalbum
Deutschland
2002 - Regie: Gregor Schnitzler - Darsteller: Matthias Schweighöfer, Nora
Tschirner, Christian Näthe, Oliver Wnuk, Lisa Maria Potthoff, Leander Haußmann,
Sandy Mölling, Rebecca Mosselman - FSK: ab 12 - Länge: 87 min. - Start:
27.3.2003
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