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Sommersturm
Das
Fehlen von Genres wird oft bemängelt im deutschen Film. Dabei gibt es sie doch,
und eines der erfolgreichsten ist momentan sicher die Coming-of-age-Geschichte.
Das Genre hat mit Robert Stadlober auch fast so etwas wie einen Star – oder
zumindest einen prominenten Vertreter, und es gibt regelmäßig wiederkehrende
Settings und Plots. Spielte Crazy in einem
Internat, so gibt es in Sommersturm allerlei emotionale Wirrungen in
einem Zeltlager für Ruderer mitzuerleben. Tobi (Robert Stadlober) verbringt
viel Zeit mit seinem besten Freund Achim (Kostja Ullmann), und dass der ihm
mehr bedeutet als er selbst wahrhaben will, bemerkt Tobi spätestens, als eine
Frau zwischen die beiden gerät: Achim ist verliebt in Sandra (Miriam
Morgenstern), Sandras Freundin Anke (Alicia Bachleda-Curus) interessiert sich
für Tobi, der doch am liebsten Achim seine Liebe gestehen würde – ein Quartett
mit allerlei vorprogrammierten Spannungen wird hier vorgeführt. Das Zeltlager
als Ort der sexuellen Initiationsriten, abgeschottet von elterlichem Einfluß
und gesellschaftlichen Regeln wird zum fast mythischen Setting in Sommersturm.
Wenn am Ende, kurz vor den letzten Lösungen der Konflikte, dann der
titelgebende Sturm aufzieht und die Symbolik sich bis zur Plattheit
offensichtlich mit den Gefühen der Personen überlagert, muss das Camp allerdings
verlassen werden – die fallenden Bäume (ach welch subtile Phallussymbole!)
drohen die Jugendlichen sonst zu erschlagen. Im geschützten Raum einer –
eigentlich geschlossenen – Jugendherberge bringt Tobi es dann endlich über die
Lippen, sein Coming out, und der geschlossene Raum als Rahmen scheint dafür
bitter nötig gewesen zu sein – zu unsicher die Gefühle in der freien Natur, zu
ablenkend vielleicht auch die gegnerische Rudermannschaft, die gleich nebenan
campiert.
QueerSchlag
heißt sie, all ihre Mitglieder schwul, und ihr offenes Bekenntnis sorgt bei
einigen der Hetero-Jugendlichen aus Tobis Gruppe für reichlich Abneigung.
Kreuzpaintner
weiß, dass Klischees ein sicherer Garant für Humor sind, und weil er so offen
und unmaskiert mit den Klischees um sich wirft, fällt es leichter darüber zu
lachen: Die katholische Mädchen-Rudermannschaft, die mit Gitarre am Lagerfeuer
Jesuslieder singt, der bayerische Trainer und sein gefaketer bayrischer
Dialekt, die schwulen Ruderer natürlich und nicht weniger die Heteros, gefangen
in ihren Vorurteilen: Das alles sind flache Charakterzeichnungen, deren Sinn
und Zweck im Liefern der Pointen besteht, aber sie erfüllen ihn, ihren Zweck,
und zumindest Tobi macht eine Entwicklung durch, die den Film vor allzu drögen
Plattheiten rettet. Sein Schwanken zwischen Freundschaft und Liebe, die
Entdeckung der eigenen Sexualität und die Suche danach, auf wen sie sich
eigentlich richtet, das inszeniert Kreuzpaintner durchaus sensibel und
überzeugend. Wie viele andere Genrefilmer auch, bewegt er sich dabei filmisch
nicht auf allzu unerforschtem Boden, seine Regie bleibt bodenständig. Keine
Experimente, ein wenig schade ist das auch. Daniel Brühl hat auch
angefangen mit jenen Rollen des Coming-of-age, in Nichts
bereuen war er ein geringfügig älterer, aber ebenso orientierungsloser
Jugendlicher auf der Suche nach der Liebe und sich selbst. Doch Nichts
bereuen hat das alles aufregender in Szene gesetzt, plötzlich waren da
Szenen untertitelt und tonlos, und der Schnitt vollführte Saltos, die in
vergleichbaren Filmen selten sind. Vielleicht hat gerade deswegen Brühl den
Sprung geschafft, von der festgelegten Rolle zum European Shooting Star zu
werden, und man wünscht Robert Stadlober, dass auch ihm das gelänge. Er spielt
gut – manche haben ihn nach seiner Rolle in dem Kurzfilm xx sogar mit
Kinski verglichen -, aber das Genre, in dem er sich bewegt, fordert ihn
vielleicht auch zu wenig. Auf der Bühne hat er den Sprung schon geschafft, in
der Trainspotting-Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg hat
er da gespielt und danach im gleichen Haus den Romeo gegeben. Seine
Coming-of-age-Filme jedoch, sie machen zwar Spaß und tun niemandem weh, aber
sie bewegen sich viel zu oft auf immer ähnlichen Pfaden, und daran ändert auch
das – trotz des Spiels mit dem Klischee - politisch korrekt angegangene Thema
nicht viel.
Es
gibt übrigens, das sei hier noch angemerkt, einen Film, der beinahe ein Vorbild
zu sein schien für Sommersturm. Les roseaux sauvages hieß er, und
André Techine hat in ihm das gleiche Dilemma thematisiert: Ein Junge,
unerwidert verliebt in seinen besten Freund versucht mit seiner Sexualität
klarzukommen. Bei Téchine war das alles allerdings noch leichter inszeniert –
die Pointen saßen in den Dialogen statt in den Klischees, das Einweben des
Algerienkrieges gab den jugendlichen Emotionen einen ernsten Unterton und – um
hier selbst auf ein Klischee zurückzugreifen: Les roseaux sauvages war
schlichtweg wunderbar französisch. Wenn der deutsche Film jedoch so weitermacht
mit seinen Geschichten vom Erwachsenwerden und Sich-Finden, vielleicht
entwickelt er irgendwann das gleiche goldene Händchen für Beziehungen wie die
Franzosen. Sommersturm ist dabei trotz einiger Schwächen kein Schritt in
die falsche Richtung.
Benjamin
Happel
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei filmkritiken.org
Sommersturm
Deutschland 2004 -
Regie: Marco Kreuzpaintner - Darsteller: Robert Stadlober, Kostja Ullmann, Alicja
Bachleda-Curus, Tristano Casanova, Marlon Kittel, Miriam Morgenstern, Hanno
Koffler, Jürgen Tonkel - FSK: ab 12 - Länge: 98 min. - Start: 2.9.2004
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