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Sommer
wie Winter
Es
wird nach wie vor den meisten Zuschauern ungewohnt scheinen, zwei sich küssende
Männer auf der großen Leinwand zu sehen. Und um so wichtiger ist
es auch, daß sich immer mehr Regisseure dem Thema der homosexuellen Liebe
annehmen. Dennoch bleibt ein schales Gefühl zurück, wenn man das Kino
nach Presque
Rien
(Sommer
wie Winter),
dem neuen Film von Sébastian Lifshitz verläßt. Dies schale
Gefühl resultiert aus der merkwürdigen Distanz, die der Film zwar
nicht zu seinen Personen, dennoch aber zur Beziehung des zentralen Liebespaares,
Mathieu (Jérémie Elkaim) und Cédrik (Stéphane Rideau)
hält. Warum, fragt man sich, bleibt die Überzeugung, dass dieser Film
gänzlich anders inszeniert worden wäre, es ginge um eine heterosexuelle
Beziehung? Warum schafft es auch dieser Film nicht, die zentrale Liebesbeziehung
lediglich als solche zu beleuchten, ohne dabei so problematisierend auf ihre
Homosexualität einzugehen? Wie angenehm wäre es doch, ein Film könnte
es schaffen, gleichgeschlechtliche Beziehungen auf der Leinwand wirklich gleichberechtigt
zu heterosexuellen darzustellen. Warum bleibt die romantische, die zärtliche
Liebe nur den heterosexuellen Paaren vorenthalten, warum wird die Liebe in Presque
Rien
als Fortführung einer pubertären Jungenfreundschaft dargestellt? Zärtlichkeit
wird in einigen, wenigen Bildern, meist Großaufnahmen der beiden nebeneinander
liegenden, schlafenden Männer zwar behauptet, in den Handlungen der beiden
jedoch selten eingelöst. Nicht nur jedoch, daß Presque
Rien
in der bereits angesprochenen Problematisierung klischeehaft bleibt (auch eines
der Probleme von Fucking
Amal),
auch dass leider alteingesessene Klischees der Homosexualität aufgewärmt
werden, in diesem Fall hauptsächlich die Nähe zur Prostitution und
die Konzentriertheit der Partner auf ihre Sexualität.
Trotz
dieser Probleme leistet Lifshitz in seinem Film in gewisser Hinsicht Außergewöhnliches:
Die Narration ist auf ungewöhnliche Weise einfühlsam. Erzählt
wird vom Treffen der beiden Protagonisten im Urlaub, und erzählt wird -
parallel dazu geschnitten - von der Erholung Mathieus in einem Krankenhaus von
einem Selbstmordversuch nach dem Scheitern der Beziehung zu Cédrik. Die
eigentliche Beziehung Mathieu und Cédriks wird dabei lediglich implizit
erzählt. Klar wird, daß Mathieu nach dem Urlaub mit den Eltern nicht
mit diesen nach Hause zu Studium und Freundeskreis zurückkehrt, sondern
mit Cédrik in dessen Heimatstadt ein neues Leben beginnt. Auch erfährt
man, ebenso allerdings lediglich implizit, daß diese Beziehung fern der
Heimat für Mathieu alles andere als glücklich verläuft. Die Details
hierzu bleiben jedoch im Dunkeln, und diese Dunkelheit hinterläßt
eine markante Leerstelle im Empfinden des Zuschauers. Eine Leerstelle, die auf
sensible Weise verständlich macht, mit welcher Leere die gescheiterte Beziehung
Mathieu erfüllt haben muß. Es bleiben, und dies sowohl bei Mathieu
als auch im Zuschauer, die Erinnerungen an das Verlieben am Meer, an die Sexualität
in den Dünen, an die ersten Küsse, und es gibt die schmerzvolle Erfahrung
der Rückkehr in eine einsame Realität nach dem versuchten Suizid.
Mathieu
und Rezipient werden in eine vergleichbare Situation gesetzt, sie erinnern dasselbe,
erfahren dasgleiche. Und die Leere, die bleibt, die Leere der nicht erzählten,
weil in ihrer enttäuschenden Emotionalität nicht erzählbaren
Beziehung der Protagonisten, diese Leere verfolgt einen hinaus aus dem Kinosaal
bis lange nach dem Film. Dies ist eine Leistung, die nur wenige narrative Konstrukte
in dieser Gewalt, in diesem Ausmaß vermögen.
Was
von Presque
Rien
des weiteren in positiver Erinnerung bleibt, ist die hervorragende schauspielerische
Darstellung von Mathieus Mutter (Dominique Reymond). Sie spielt ihre Rolle der
tieftraurigen Mutter, die ihr jüngstes Kind an den Krebs verloren hat und
über der Trauer langsam den Kontakt zu ihren beiden anderen Kindern Sarah
(Laetitia Legrix) und eben Mathieu verliert, zutiefst überzeugend und emotional.
In Reymonds Augen, in ihrer Mimik liegt all die Trauer, die ihre Rolle vorgibt,
offen, ihre Präsenz in dem Film, trotz ihrer eigentlich kleinen Rolle ist
bemerkenswert. Presque
Rien
bleibt vor allem aufgrund seiner außergewöhnlichen Narration ein
sicherlich bemerkenswerter Film, zeigt jedoch auf, ein wie großes Problem
es für das Kino - entgegen anderslautender Behauptungen der jeweiligen
Regisseure - noch immer bleibt, mit Themenfeldern wie Liebe und Sexualität
auf eine Weise umzugehen, die sich von der Konvention des heterosexuellen Paares
befreit und dabei nicht problematisiert, sondern einfach nur von der Liebe erzählt.
Benjamin
Happel
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Presque
Rien
Presque
Rien (Sommer wie Winter)
Sébastien
Lifshitz
Frankreich
2000
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