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Sonatine
Takeshi Kitano als Gangster ohne Beschäftigung -
Irrsinn, Tod, Meisterwerk.
Murakawa (Takeshi Kitano ), aufmüpfiger Yakuza,
wird von seinem Syndikat nach Okinawa geschickt, um dort einen Streit zwischen
den Clans zu schlichten. Doch kaum angekommen, entpuppt sich der Auftrag als
Falle. Ein Bombenanschlag, eine Schießerei - mit den paar Überlebenden
beschließt Murakawa unterzutauchen. Die Gruppe versteckt sich in einem
Verschlag an einem idyllischen Strand - und sehen sich plötzlich mit dem
schlimmsten aller Probleme konfrontiert: Langeweile. Das kompensieren sie durch
Spiele, die immer irrwitziger werden. Noch dazu taucht bald ein Killer auf,
der den Gangstern ans Fell will - Murakawa beschließt, die wahren Drahtzieher
hinter der Affäre herauszufinden...
"Es gibt Zeiten, in denen man ernsthaft darüber
nachdenken sollte, wie man stirbt, anstatt daran, wie man lebt. Ich bin psychologisch
darauf vorbereitet, zu sterben, jederzeit. Daher beginne ich darüber nachzudenken,
wie man lebt. Man könnte glauben, ich mache mir das nur vor und alles,
was ich täte sei fruchtlos, aber ich will nicht in einem Zeitalter leben,
in dem es keine Träume mehr gibt." - Takeshi Kitano
Ein knallblauer Fisch vor rotem Hintergrund, Jô
Hisaishi
wunderbarer, repetitiver Score setzt
ein. Schon die Credits eine fremde Welt. Sonatine steht zu lesen, Buchstaben
verschwinden, es steht nur mehr San, schließlich nur mehr das a. Verschwinden,
Aussparen, Deformieren: Takeshi Kitano, berühmt geworden als einer der
erfolgreichsten japanischen Komiker, wurde 1989 eher zufällig Regisseur.
Violent Cop hieß der Film, und er gilt als Anbeginn der sogenannten Yakuza-Trilogie,
deren Abschluss Sonatine darstellt. Den Zusammenhang gibt dabei nur die Kunstfigur
"Beat" Takeshi (wie sich der Regisseur als Schauspieler und Komiker
nennt), die in allen drei Filmen wieder auftaucht. Ein maulfauler, verschlagener
Misantroph, dessen würdige Ahnengalerie bis W.C. Fields zurückreicht.
Murakawa, die Figur hier, ist vielleicht die ausgefeilteste unter den Kreationen.
Zwar lässt er schon mal zahlungsunwillige Spielhallenbesitzer durch mehrfaches
Eintauchen ertränken und raucht als einziger ganz ungeniert neben dem Boss,
aber noch stärker als in Takeshis anderen Filmen scheint auch die Kehrseite
durch: Eine Sehnsucht nach Ruhe, Ewigkeit (daher auch immer wieder das Bild
des Meeres in Takeshis Filmen), auf gewisse Art also eine Sehnsucht nach dem
Tod.
Zugleich, er ist ja eigentlich Komiker, sind Takeshis
Filme aber bei aller Schwere, die das Thema mit sich bringt (oder bringen sollte),
federleicht, wunderschön und schwer witzig. Auf keinen anderen Regisseur
dieser Zeit trifft Welles ´ legendärer Ausspruch am Set von Citizen
Kane
so sehr zu wie auf ihn. Regisseur
sein heiße, die größte Spielzeugeisenbahn aller Zeiten zu besitzen:
der Wunschtraum jedes Kinds. In Takeshis verblüffender Welt, sind immer
wieder Szenen die wie aus dem Nichts zu kommen scheinen, wie eine plötzliche
Eingebung wirken: Gegen Anfang fährt die Kamera parallel zu einem Auto
auf der Straße durch eine Bar - erst als sie durch die Tür ins Freie
gleitet, hört man aber das Motorengeräusch. Das Resultat ist Takeshi
in der kleinsten Einheit: Ein ungeahnter Moment, wunderschön und schmerzhaft
(erst im Nachhinein erkennt man die Trennung, das Zerschneiden von Ton und Bild)
zugleich. Und es löst immer wieder die Frage aus: "Warum hat das keiner
vor ihm schon so gemacht?"
Takeshi, der alte Scherzbold, kennt die Antwort: "Ich
bin ein sehr schlechter Schauspieler. Aber als Regisseur, glaube ich, bin ich
ein Genie." Abgesehen von der tiefstaplerischen ersten Hälfte des
Zitats (Takeshis Nicht-Spiel liegt genau auf halbem Weg zwischen Clint Eastwood und Buster Keaton ) gibt es schon etwas von der größenwahnsinnig-obsessiven
Gestalt von Kitanos Filmen wieder. Geeint sind sie durch den Stil (ruhige, oft
fragmentierte Szenen, aus denen immer wieder stilisierte Gewalt hervorbricht;
Schauspieler, die schmähstad dirket in die Kamera, auf den Zuschauer starren;
minimalistischer Dialog), getrennt durchs Thema, dass dann doch wie bei allen
großen Autorenfilmern in jedem Opus durchscheint. Der Tod spielt (nicht
zuletzt dank vieler Arbeiten im Gangstergenre) eine große Rolle in Takeshis
Werk. Sonatine, der Film, der ihn zum Hauptthema hat, ist nicht zuletzt deswegen
unter allen seinen Filmen der reinste und schönste.
Drei Männer stehen am Strand und spielen Russisches
Roulette. Murakawa hält die letzte Kammer an den Kopf und lacht übers
ganze Gesicht, während er abdrückt. Die Kammer ist leer, alles nur
ein Scherz. Aber nachts wird er diesen Moment wieder träumen, und er wird
noch immer lächeln, während eine Blufontäne aus dem Kopf spritzt.
Vor dem Tod gibt es kein Entkommen, nur die Zeit. Aber auch die muss man wieder
totschlagen: Das Zentrum von Sonatine, der Mittelteil, in dem sich die Yakuza
mit Spielen, allesamt nicht weniger wahnwitzig als das Russische Roulette, die
Zeit vertreiben, handelt nur vom Warten (und ist dabei so kurzweilig wie kaum
ein anderer Film, der vom Gegenteil erzählt). Das Kindische schlägt
wieder durch, ebenso wie die Freiheit. Vor einer berauschenden Naturkulisse
spielen die Männer, ihres Daseinsgrundes beraubt, Frauen (Geisha-Tanz!),
Kinder und Männer (die dann doch nur Kinder sind, aber dabei töten
dürfen) und die Frau schaut ihnen dabei zu. "Es ist großartig,
dass du keine Angst hast zu sterben", sagt sie zu Murakawa. "Es ist
großartig, dass du keine Angst hast, deine Brüste zu zeigen",
antwortet der. Die Punchline bei Takeshi ist oft absurd und zeigt an den Anfang
zurück. Der Grund warum seine Filme am Meer spielen, sagt Takeshi, ist,
dass es den alten Traum des Menschen symbolisiert, an den Anfang zurückzukehren:
Zurück in die Ursuppe, warm wie der Mutterschoß. Wenn seine Helden
aber im Paradies ankommen, wissen sie nichts anzufangen damit. Eher deswegen,
hat man den Eindruck, nicht so sehr wegen Rache, geht Murakawa dann auch wieder
weg aus dem Garten Eden: Der Tod, der sich vorher schon wie die in Zeitlupe
gleitenden Rosenblätter über den Strand gelegt hat, will zurück
in die Welt.
Die Welt bei Takeshi, auch wenn man das schwer beschreiben
kann, ist übrigens bei allem Pessimismus ein Ort endloser, tiefschwarzer
Komik. Kaum ein Mord, den nicht ein absurdes Detail auch ins Lächerliche
wenden würde (Kitano bevorzugt übrigens gern elliptische Gewalt: Der
große Showdown, vermutlich eine Massentötungsorgie, erschließt
sich in absoluter Dunkelheit nur über Blitze von Mündungsfeuer), kaum
ein Witz, der nicht einen brutalen Beigeschmack hätte. Auf unsagbare Weise
legt Takeshis Inszenierung aber auch eine bewegende Melancholie über dieses
zynische und herzzerreißend verzweifelte Bild der Menschheit. Vermutlich
darum ist der Takeshi-Witz auch immer so trocken, dass es staubt: Einen höflichen
Scherz hat sich dieser Planet noch nicht verdient.
Es gäbe noch viel zuviel zu sagen über "Sonatine":
Wie da ganz unbeschreiblich die Figuren zu menschlichen Papierboxern werden,
wie ein plötzlicher Regenguss zum Knackpunkt höchst komischer Badehierarchien
wird, wie der Film vielleicht auch nur eine Doku darüber ist, wie Takeshi
mit seiner treu ergebenen Truppe am Strand herumblödelt und sich dabei
filmt. Ich habe Sonatine jetzt schon über zwanzig Mal gesehen, aber er
wird jedes mal anders, reicher, schöner, tiefer (besser kann man gar nicht
mehr sagen). Und bleibt unergründbar, so wie die Sonnenblumen, die nach
dem Nachspann noch immer auf dem verlassenen Strand blühen, den nur noch
eine vergessene Tasche als den Ort ausweist, an dem die Figuren eine kurze Zeit
ihres Wartens auf den Tod überbrückt haben.
Fazit: Weniger ein Gangsterfilm als eine Komödie,
eine Tragöde, eine zutiefst kunstfertige und poetische Auseinandersetzung
mit dem Tod. Und der beste Film der 90er, sowieso.
Christoph Huber, 06.12.2000
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Sonatine
SONACHINE
SONATINE
Japan
- 1993 - 94 min. - Verleih: Rapid Eye Movies - Erstaufführung: 21.5.1998/15.6.1998
arte - Produktionsfirma: Right Vision Entertainment/Bandai Visual/Shochiku Daiichi/Office
Kitano, Produktion:Masayuki Mori, Hisao Nabeshima, Ritta Saito
Regie:
Takeshi Kitano
Buch:
Takeshi Kitano
Kamera:
Katsumi Yanagishima
Musik:
Jo Hisaishi
Schnitt:
Takeshi Kitano
Darsteller:
Takeshi
Kitano (Murakawa)
Aya
Kokumai (Miyuki)
Tetsu
Watanabe (Uechi)
Masanobi
Katsumuru (Ryoji)
Susmu
Terashima (Ken)
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