Songs from the Second Floor
"Songs
from the second floor" erinnert in seiner beissenden Gesellschaftskritik
an Achternbusch, beschwört mit surreal-komischen Bildern Buñuel
herauf und ist dabei ganz viel Roy Andersson; der schwedische Regisseur, der
sich nach seinem letzten Spielfilmfiasko vor gut 25 Jahren ausschließlich
im Werbefilmbereich ausgetobt hat.
Andersson
läßt die Kamera immer wieder unverändert in den Raum starren,
in dem sich seine skurrilen Figuren wie durch ein Gemälde bewegen. Diese
sorgfältig austarierten Szenen bilden die Eckpfeiler eines Films, der zunächst
unbedarft harmlos-durchgeknallt daherkommt, im Lauf der Dinge jedoch zu einer
höchst subjektiv-verzerrten Abrechnung mit der schwedischen Gesellschaft
wird. Von einer Handlung kann kaum gesprochen werden; es dominieren Bilder,
Beobachtungen, lakonisch hingeworfene, in sich abgeschlossene Absurditäten,
tragikomisch bis dramatisch. Ein Angestellter wird auf erniedrigende Weise entlassen,
ein Immigrant brutal auf der Strasse zusammengeschlagen, ein Magier begeht während
einer Show einen verheerenden Fehler. Eine Figur, Karl, dessen Gesicht mit Asche
bedeckt ist, schält sich aus dem Chaos heraus. Er hat gerade seinen Möbelladen
angezündet, um die Versicherungssumme zu kassieren.
Anderssons
Stil ist erfrischend anders, schafft Raum für die angesprochenen tragikomischen
Situationen, durch die er seine Figuren stolpern, oder soll man vielmehr sagen,
schleichen lässt. Da gibt es zum Beispiel den senilen ehemaligen Oberleutnant,
dessen Krankenbett an einen Laufstall erinnert, an dem er zerrt und reißt,
unterbrochen vom Hitlergruß. Stellvertretend für eine dem Untergang
geweihte Ordnung, die eine Gesellschaft ökonomisch wie spirituell gegen
die Wand fährt, sind es die Alten, soll meinen die Mächtigen, die
immer wieder als Reibungsfläche dienen. Beim Leichenschmaus nach der Hinrichtung
eines Kindes, das vor den Honoratioren von einer Klippe gestürzt wird,
kotzt ein Greis beiläufig den Brandy über den Tresen, während
sich unter ihm eine Frau mittleren Alters windet und nicht mehr auf die Beine
kommt. Diese wütende Raserei ist es, die Anderssons Film auszeichnet. Auch
wenn das mitunter bemüht wirkt, die Bilder danach schreien, auf ihren Symbolgehalt
hin abgeklopft zu werden, wird die Leinwand in eben diesen Momenten in Brand
gesetzt.
Thomas
Reuthebuch
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mehrere Texte
Songs from the Second Floor (Schweden 2001)
Regie: Roy Andersson