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Sophiiiie!
Das
kleine Biest
Ein
Motorrad rast durch einen schmalen Tunnel, dem gleißenden Licht entgegen,
mit unglaublicher Geschwindigkeit - schneller als Michael Hofmanns neue Regiearbeit
"Sophiiiie!" kann ein Film kaum beginnen. Die Titelheldin hat ihrem
Freund die noch nicht abbezahlte Maschine geklaut; nun fährt sie mit geschlossenen
Augen - sie spielt mit ihrem möglichen Tod, wobei ihr der mögliche
Tod der anderen so gleichgültig scheint wie der jüngste Tag.
Sophie
(Katharina Schüttler) ist um die 20 Jahre alt, hübsch, durchtrieben
und schwanger. Sie weiß nicht, wer der Vater des Babys ist; in besagter
Nacht hatte sie zu viel getrunken. Ihr Freund kommt mit Sophies exzessivem Lebenswandel
zurecht, er würde das Kind gern mit ihr großziehen - es ist nur so,
dass Sophie liebe- und verantwortungsvolle Menschen für langweilig hält,
während der Regisseur Sophies spätpubertär entgrenzte Lebenstollwut
für radikal und furchtlos ausgibt. Das scheint keine gute Basis für
einen Film, der von Grundsätzlichem sprechen will: davon, ob man es schafft,
sich für die Verpflichtungen der Zukunft zu entscheiden oder nicht. So
schafft es "Sophiiiie!", der Film, denn auch nur auf das Ego-Level.
Im
Anschluss an die Motorrad-Episode schickt der Regisseur Michael Hofmann (u.
a. "Der Strand von Trouville") seine Titelfigur im Taxi auf eine dunkle
Reise durch die Hamburger Nacht, in deren Verlauf Sophie zu sich selbst und
zu einer Entscheidung bezüglich ihrer Schwangerschaft finden will, am nächsten
Vormittag wartet für alle Fälle ein Abtreibungstermin. Doch Hofmann
lässt seine Sophie ohne Geschichte; er will einen Zustand beschreiben -
erzählen will er nichts.
Das
Problem des Films liegt nicht zuletzt in der Redundanz der Beschreibung. Hofmann
entscheidet sich für die Körpersaft-Perspektive; um dem Zuschauer
Sophies seelischen Ausnahmezustand recht eindrucksvoll nahe zu bringen, zeigt
Michael Hofmann die Heldin ausgiebig beim Kotzen, Bluten und Pissen, doch ungeachtet
dieser existenzialistischen Bemühungen erscheint Sophie weniger als radikale
Zweiflerin und Glückssucherin (oder - wie der Film behauptet - "professionelle
Städterin", die zwischen fetten Hausmeistern und "Spiel verboten!"-Schildern
vagabundiert) denn als ein olles kleines Biest, das sich in dumpfen Kneipen
und Bordellen betrinkt, lügt und stiehlt und auch nichts gegen einen kleinen
Überfall einzuwenden haben würde. Sophie legt sich mit ganzen Männerkneipen
an und zeigt sich verblüfft über die gewalttätigen Konsequenzen.
Sophie nimmt sich alle Freiheit der Welt, auch gegenüber dem ungeborenen
Kind; sie tritt allen zu nahe, will aber die Folgen nicht tragen. Kurz vor Ende
des Films sieht man sie heulend, mit blutverschmierten Händen (denn das
Baby hat sie verloren) durch Hamburg irren.
Was
will man mit einer solchen Figur anfangen? Wir haben den Film nicht gern gesehen.
Das Überangebot an Hysterie seitens der Hauptfigur hat uns, offen gesagt,
nicht sonderlich interessiert, und so sehr wir uns auch bemühten: wir können
Sophies Dummheit, ihren Egozentrismus nicht mit Radikalität verwechseln.
Diese Befangenheit mag uns den Blick verstellt haben auf die kinematografischen
Qualitäten von "Sophiiiie!", aber auch das Umschlagen von Ratlosigkeit
und galoppierender Mutwilligkeit in Augenblicksgewalt haben wir im Kino schon
triftiger erlebt. "Sophiiiie!" - das ist die analfixierte Kinoversion
des so genannten scheißschönen Lebenswunders. Eine herrliche Szene
gibt es aber doch in diesem Film: als die junge Frau wieder einmal in ein Taxi
steigt, um den Fahrer mit ihren Ansprachen zu belästigen, wird sie zurechtgewiesen:
"Ich hatte heute schon vier Verrückte", sagt er sehr müde.
"Sagen Sie, wohin Sie wollen. Bezahlen Sie bei Ankunft den Fahrpreis. Erzählen
Sie mir nicht Ihre Probleme." Als Sophie nicht aufhören will, lässt
der Mann sie aussteigen.
Anke
Westphal
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: www.berlinonline.de
Sophiiiie!
D
2002. Regie: Michael Hofmann, Darsteller: Katharina Schüttler, Alexander
Beyer, Martin Brambach, Ercan Durmaz, Josef Ostendorf, Gerd Wameling, Robert
Stadlober u. a.; 107 Minuten, Farbe.
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