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Nirgendwo
in Afrika /
So weit die Füße tragen
Verdruss
der Mitte
Zwei
deutsche Filme scheitern zwischen Genre und Geschichte
Eine
Kultur, so hört man sagen, stabilisiere sich weniger durch ihre Glanzleistungen
als durch eine verlässliche Mitte. Jene ästhetische Produktion zum
Beispiel, die ein Publikum eint, statt es zu spalten, gehaltvoll, aber nicht
widerspenstig. Eine "Tradition der Qualität" nennt man das in
Frankreich. Wenn das deutsche Kino eine ökonomische und kulturelle Zukunft
haben wollte, dann müsste es wohl so eine Mitte der Geschmäcker und
Ansprüche erobern. Vielleicht müsste diese Mitte unserer Filmkultur
auch erst erfunden werden. Aber die Filme, die das bewerkstelligen könnten,
sie wollen und wollen nicht gelingen.
Caroline
Link, die mit Jenseits der Stille einen überraschenden Erfolg im Programm-
wie im Provinzkino erzielte und mit Pünktchen und Anton solides Handwerk
ohne besondere Vorkommnisse lieferte, gehört wohl zu den wenigen Filmemachern
in Deutschland, die es schaffen könnten, mittetaugliche Filme mit persönlicher
Verve und emotionaler Qualität zu liefern. Und Hardy Martins, der ehemalige
Stuntman, könnte es gelegentlich auf unseren Leinwänden herzerfrischend
scheppern lassen. Das und was dazwischen liegt, wäre dann vielleicht die
Mitte unserer Kinokultur. Hier könnte man sich unterhalten, ohne sich zu
schämen. Aber ach, die Verhältnisse, sie sind nicht so. Denn was wir
in dieser Mitte ja noch brauchen, außer handwerklichem Können, ein
bisschen Stil und den guten alten Kinogeschichten, das sind, nun ja, "deutsche
Themen".
Gegenwart
und Wirklichkeit sind, wie es scheint, in der Mitte unserer Gesellschaft nicht
besonders populär. Unglücklicherweise ist man daher auf eine Formel
verfallen, die man vielleicht am besten mit "Genre-Unterhaltung plus deutsche
Geschichte" umschreiben könnte. Und dazu hält man insbesondere
an Faschismus und Weltkrieg als allernächstliegenden deutschen Themen fest,
ungeachtet der Tatsache, dass vielleicht gerade dort die Erzählweisen von
Genrefilm und gehobener Unterhaltung ihre Grenzen finden müssen. Jedenfalls
wenn Autoren und Regisseure nicht ein entscheidendes Bisschen mehr sind als
Handwerker.
So
werden die beiden neuen Filme von Caroline Link und Hardy Martins, so wenig
man sie sonst vergleichen möchte, zu Symptomen einer Krankheit der deutschen
Filmkultur. Das ist unter anderem eine Frage der Angemessenheit von Idee und
Produktion. "Size does matter", das war das Motto eines schlechten
Films eines deutschen Regisseurs in Hollywood. Die Größe entscheidet,
gewiss, nicht nur bei Filmmonstern, aber das tut sie in verschiedene Richtungen.
Nicht nur Godzilla kommt gelegentlich durch die eigene Größe zu Fall.
Ein großes Thema will großer Film werden, aber die Geschichten und
Personen bleiben auf gewohnte Weise klein. Eine große Kamerabewegung trifft
auf ein kleines Bild, und am schlimmsten schließlich: Große Technik
trifft auf kleine Ideen.
Caroline
Link wird in Nirgendwo
in Afrika
ganz großformatig, um eine eigentlich kleine Geschichte zu erzählen,
die, zugegeben, größtenteils in einem ziemlich weiten Land spielt.
Aus dem Breslau des Jahres 1938 entflieht der jüdische Anwalt Walter Redlich
nach Kenia, wohin er dann auch seine Frau Jettel und seine Tochter holt. Jettel
ist zunächst entsetzt von der Primitivität des Lebens hier und dem
sozialen Abstieg. Aus dem Blickwinkel des Kindes erleben wir eine konfliktreiche
Ehegeschichte, eine Geschichte der Anpassung an die neue Heimat, Liebe, Freundschaft
und Verrat. Jettel schläft mit einem englischen Offizier, vielleicht doch
nicht nur, um ihren Mann aus einem Lager zu befreien; sie sieht mehr als einen
Freund in dem radikalen Emigranten Süßkind. Das mit den Gefühlen
geht ziemlich durcheinander. Und Tochter Regina, die andersherum in Afrika Heimat
und Selbstvertrauen und in dem Koch Owuor einen verlässlichen Freund findet,
muss sich ihren eigenen Weg von Empfindung und Wahrnehmung suchen. Als der Krieg
vorbei ist, möchte Walter wieder nach Deutschland, Jettel aber will nun
in Afrika bleiben, und Regine muss wieder einmal Angst haben, zerrissen zu werden.
Und weil dieser Konflikt zwischen drei Menschen, zwischen verschiedenen Erfahrungen
von Entwurzelung und Heimat, eigentlich auf Erden nicht zu lösen ist, fallen
mit einem Mal Millionen von Heuschrecken vom Himmel.
Auch
Hardy Martins geht in die Breite. Er erzählt seine Fluchtgeschichte aus
dem Zweiten Weltkrieg so horizontal wie einer dieser Fake-Breitwand-Western
der siebziger Jahre. Der Raum, der bei Caroline Link eine vollständige
Symbolwelt ausbildet, dehnt sich bei ihm zur Trotzbühne des Abenteuers:
So
weit die Füße tragen
und immer noch ein paar Meter mehr.
So
weit die Füße tragen
war einst, wir erinnern uns, einer der frühesten "Straßenfeger"
der deutschen Fernsehgeschichte. Er erzählte in bescheidenen Kulissen und
mit einer geheimnislosen high key-Beleuchtung die mäandernde Fluchtgeschichte
eines deutschen Offiziers aus dem sibirischen Straflager zurück in die
Heimat. Man konnte nicht sagen, dass diese Serie "revisionistisch"
war wie einige der Kinofilme dieser Zeit; sie brachte vielmehr das, was es zu
revidieren oder zu bestätigen gegeben hätte, einfach zum Verschwinden.
Und über so etwas Kompliziertes wie "Subtexte" haben wir uns
damals noch nicht unterhalten.
Dieses
Verschwindenlassen versteht der Kinofilm nun sogar noch konsequenter. Er beginnt
mit der Abschiedsszene zwischen Clemens Forell und seiner Frau auf dem Bahnhof,
wo der Soldat seiner Tochter verspricht, zu Weihnachten wieder zu Hause zu sein,
und springt dann schon - Schnitt auf ein überdimensionales Wandbild Lenins
- zur Verurteilung des Helden wegen seiner Vergehen im Kampf gegen die Partisanen
zu 25 Jahren Zwangsarbeit. Als politischer Hintergrund soll dann eine Szene
reichen, in der einer der gefangenen Soldaten sich stolz als SA-Mann bekennt,
was eine Prügelei unter den erschöpften Häftlingen auslöst.
Der Rest funktioniert als ein prison escape movie im B-Format, komplett mit
sadistischem Lagerleiter; dannn folgen Abenteuer, die glücklicherweise
mit dem Krieg nicht viel zu tun haben: Es gibt Wölfe, Goldsucher, Eskimos
samt besonders schöner Eskimofrau und weisem Medizinmann; orientalische
Marktplätze kommen auch vor, und ein Showdown vor nachtblauem Himmel auf
den Gleisen liefert den Höhepunkt, bevor der Film mit der glücklichen
Heimkehr enden darf.
Zweimal
also, einmal mit den Mitteln des Emotionskinos, das andere Mal mit denen des
Abenteuerfilms, haben deutsche Genrefilme Faschismus und Krieg ganz wörtlich
zum Hintergrund gemacht. Zweimal haben sie sich (mehr oder weniger vergeblich)
gegen große Vorbilder abzusetzen versucht: Jenseits von Afrika lugt bei
Caroline Link so nachhaltig über die Schulter, dass die Regisseurin immer
wieder versuchen muss, sich mit Gewalt diesem Vorbild zu entziehen. Und bei
So
weit die Füße tragen
ist die episodische Struktur der Fernsehserie nie wirklich aufgelöst. Beide
Male haben die Filmemacher populäre literarische Vorlagen verwendet, denen
man die Verantwortung für das Sujet zuschieben kann. In beiden Fällen
strengen sich deutsche Filme an, Produktionskompetenz und handwerkliches Können
zu demonstrieren. Und doch entstehen so vor allem überproduzierte Kraftakte,
die sich - size does matter - spätestens dann an ihrer Größe
verstolpern, wenn sie versuchen, in ihren Dialogen zu erklären, dass es
vielleicht um mehr ginge als um eine Ehe im Blick einer Heranwachsenden in der
Fremde, um mehr als um eine Flucht- und Abenteuergeschichte, die man genauso
gut, nein besser, als Western erzählen könnte. Wenn diese Menschen
über sich und die Welt reden, machen sie das ganze Elend des neuen deutschen
Genrefilms deutlich. Er hat zu viel vor der Kamera und zu wenig im Kopf. Er
erzählt mit großer Geste, ohne zu wissen, was er da eigentlich erzählt.
Seine Sujets sind ihm nur Vorwand, die "deutschen Themen" jene roten
Heringe, die man laut Hitchcock über die Spur zieht, um von den wahren
Absichten abzulenken.
Handwerks-
und Genrekino plus "deutsche Themen" - diese Rechnung geht offensichtlich
nicht auf. Vielleicht muss man dazu ins Gedächtnis rufen, dass Filmemacher
nicht nur ihr Metier, sondern auch ihre Sujets beherrschen sollten. Die Verdammung
des "Autorenfilms" hat offensichtlich dazu geführt, Drehbücher
als Formelsammlungen misszuverstehen, als Vorwand zum "Kinomachen".
Aber auch in der Mitte unserer Filmkultur, ob es sie gibt, oder ob sie erst
erschaffen werden müsste, zeichnet sich ein "guter Film" durch
zwei Dinge aus. Dadurch, dass er gut gemacht ist. Und dadurch, dass er etwas
zu sagen hat. Und ich meine damit nicht Dialogsätze wie "Es gibt keinen
unabänderlichen Schmerz, nur eine andauernde Hoffnung" oder "Wir
reisen eine weite Strecke miteinander, aber was im anderen drin ist, wissen
wir nicht". Ich meine damit, dass ein Film eine Idee braucht, wie und warum
aus Geschichte Unterhaltung wird. Wie story und history sich berühren.
Und wie Gefühl und Bewegung (die Essenzen des Kinos) zu etwas Drittem führen
können. Nennen wir es bescheiden: Ehrlichkeit.
Georg
Seeßlen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in der:
Nirgendwo
in Afrika
Deutschland
2001 - Regie: Caroline Link - Darsteller: Juliane Köhler, Merab Ninidze,
Matthias Habich, Sidede Onyulo, Karoline Eckertz, Lea Kurka, Gerd Heinz, Hildegard
Schmahl, Maritta Horwarth - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 -
Länge: 141 min. - Start: 27.12.2001
So
weit die Füße tragen
Deutschland
2001 - Regie: Hardy Martins - Darsteller: Bernhard Bettermann, Michael Mendl,
Anatoli Kotenjow
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