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Später
Frühling
Inhalt:
Der
Professor Shukichi Somiya gelangt nahe seines 60. Lebensjahres zu der Auffassung,
dass seine Tochter Noriko nun bereit dafür sei, von ihm in die Ehe entlassen
zu werden. Als diese sich aber weigert, weil sie denkt, dass nach ihrem Gehen
der verwitwerte Vater niemanden mehr habe, der sich um ihn kümmert, erfindet
Somiya eine kleine Geschichte, die besagt, dass er bald wieder heiraten werde...
Kritik:
Als
ich die Entscheidung traf, eine Reihe von Rezensionen zu Filmen zu veröffentlichen,
die mich in meinem Leben und als Cineast besonders geprägt haben, war mir
von vorneherein klar, dass wenigstens ein Werk des faszinierenden und neben
Kenji Mizoguchi und Akira Kurosawa wohl größten japanischen Regisseurs,
Yausujiro Ozu, unter ihnen sein müsse. Diese fixe Idee immer im Hinterkopf,
kam ich doch bald in Schwierigkeiten ganz simpler Art: Welchen Film sollte ich
auswählen? Eine Frage, die bei Ozu sehr viel schwieriger zu beantworten
ist, als bei den meisten anderen großen Filmemachern der Filmgeschichte.
Denn selbst dann, wenn man aus dem Lebenswerk eines Regisseurs mit außerordentlich
vielen fantastischen Filmen (wie zum Beispiel bei Bergman oder Bresson der Fall)
einen bestimmten zur Besprechung auswählen muss, gibt es doch immer Kriterien,
die die Wahl erleichtern könnten: Was ist ganz besonders prägend für
den Stil des Filmemachers? Welcher seine Filme steht vielleicht in einem außergewöhnlich
interessanten sozialpolitischen Kontext? Welcher war besonders einflussreich
für eine bestimmte Strömung in der Filmgeschichte? Bei Ozu entfallen
all diese Kriterien aus dem einfachen Grund, dass der am 12. Dezember 1903 geborene
und am selben Tag des Jahres 1963 gestorbene Regisseur nicht unmittelbar als
ein Künstler im eigentlichen Sinne, sondern vielleicht eher als ein meisterlicher
"Handwerker" definiert werden muss. Paul Schrader verdeutlicht diesen
interessanten Gesichtspunkt in seinem Buch "Transcendental Style In Film:
Ozu, Bresson, Dreyer" an einer Stelle, wo er sich darauf bezieht, dass
man sich mit Yasujiro Ozu etwa über bestimmte Kameralinsen stundenlang
hätte unterhalten können, eine Frage nach der Intention hinter der
Form aber nie in die Diskussion mit aufgenommen worden wäre. Ganz im aristotelischen
Sinne gesprochen war Ozu in diesem Kontext fern von "Kunstfertigkeit",
aber perfekt in der stets repetitiven "Übung". Yasujiro Ozu wirkte
wie ein Meister des Häuserbaus, der immer wieder das im Entwurf gleiche
Haus baut, jedoch mit jeder Anfertigung ausgefeilter, vollkommener und geschlossener
werden will.
Der
Grund, warum ich nun doch noch zu einem Film gefunden habe, der Ozus Werk repräsentieren
soll, liegt darin, dass ich der Auffassung bin, dass Banshun,
vielleicht mehr noch als Tokyo
Monogatari
(Die
Reise nach Tokio,
1953), wie ein "blue-print" der sich ständig wiederholenden Themen
bei Ozu verstanden werden kann. Das 1949 uraufgeführte Familiendrama zählt
in jedem Fall zu den "reinsten" und typischsten Filmen des Regisseurs;
wie einer, in dem Grundstrukturen festgelegt werden, in dem sozusagen das Fundament
für sein perfektes Gebäude geschaffen wird. In der Tat ist Banshun
so extrem eine Urform von Ozus in seinem Leben immer wiederkehrenden Mustern
und Formen der filmischen Gestaltung, dass sich über Ozu einige Sachen
ganz im Allgemeinen sagen lassen, deren direkte Ummünzung auf den Film
Banshun
im Speziellen einmal erlaubt sei. In Yasujiro Ozus Filmwelt gibt es einen Themenkomplex,
den der Regisseur immer wieder bemühte. Sein Leben lang spiegelte er in
seinen Filmen soziologische Prozesse in der japanischen Gesellschaft wider,
die sich unweigerlich über die Jahrzehnte von Ozus Wirken hinweg entfalteten.
Unglaublich präzise berichtete er über das Zerbrechen von festen Bindungen
innerhalb der Familie, dem Heiligtum im Zentrum des japanischen Alltags. Seine
Filme fokussieren hierbei vor allem die Trennung zwischen Eltern und ihren heranwachsenden
Kindern, den damit einhergehenden Schmerz, den Näheverlust und die Endlichkeit
des Daseins. Diese Thematik steht zentral in Ozus Werk, tritt leicht abgeändert
immer wieder auf, wie die Variationen des Themas in einer großen Komposition.
Erst im Sehen von mehreren von Ozus Filmen kann man die ganze Tragweite dieser
Thematik erkennen: Ozu erscheint wie ein Dokumentar des Weltschmerzes; wie ein
strenger Beobachter von Brüchen und der daraus oftmals resultierenden,
tiefen Trauer und Einsamkeit, in einer Gesellschaft, die diese Gefühlswallungen
faktisch verbannt hat.
In
seiner filmischen Umsetzung dieser abstrakten Themen dringt Yasujiro Ozu vor
in das schlichteste Alltagsleben der japanischen Mittelschicht seiner Zeit.
Wie kein anderer Regisseur schuf Ozu ein Kino der gänzlichen Zurückhaltung,
der ruhigen Betrachtung und völligen Simplizität in der Form. Seine
Kamera bewegt sich niemals, sondern ummantelt die Szenen beinahe schaukastenartig
und oftmals sieht es so aus, als rahme Ozu das ganz normale Leben in etwa so
ein, wie man dies mit einem Bild tut - kommentarlos, beiläufig und fast
wie selbstverständlich. Nur höchst selten kommt es vor, dass Ozu auch
nur im Ansatz eine unmittelbare Identifikationsfigur oder "Identifikationsszene"
anbietet: Detailaufnahmen weinender Gesichter sucht man bei Ozu also vergeblich,
auch wenn in seinen Filmen viel, ja sehr viel geweint wird. Für Ozu stand
es nie im Vordergrund, ein Portrait von ganz bestimmten Charakteren zu zeichnen,
denn seine Filme sind praktisch allesamt eine Beschreibung von im Gegenteil
gänzlich unbestimmten Charakteren, deren Dasein nicht gebunden ist an die
Gegebenheiten durch Ort und Zeit, auch wenn sich ihr Handeln zuvorderst vor
allem aus dem strengen Werte- und Ehrenkodex der japanischen Gesellschaft nachvollziehen
lässt. Und dennoch ist ihre Situation unabhängig von Japan, von den
40er- und 50er-Jahren, von Sprache, Kultur und sozialer Zugehörigkeit:
Ozus Filme versteht jeder, weil sich seine Sprache aus den tiefsten Gefühlen
heraus definiert. Er dokumentiert die Menschheit und das, was sich in ihr und
ihrem Miteinander im unaufhaltsamen Laufe der Zeiten verändert - zum Guten,
wie zum Schlechten. Die in Ozus Meisterwerken geäußerten Gefühle
sind gänzlich universeller Natur, kann doch jeder Mensch sie ob ihrer völligen
Alltäglichkeit nachvollziehen und durchleben. Dennoch ist es hoch interessant,
ihre besondere Bedeutung im Kontext der Gesellschaft Japans aus den Augen Ozus,
dem "japanischsten aller japanischen Filmemacher", herauszustellen.
In
Banshun
folgt alles ganz den Ozu'schen Archetypen von Form und Gehalt. Im Zentrum der
sehr schlichten Erzählung steht das Zusammenleben eines Vaters mit seiner
Tochter. Der Vater, Shukichi Somiya, ein Professor, der finanziell relativ sorglos,
wenngleich auch keinesfalls reich dazustehen scheint; die Tochter, Noriko, eine
junge, hübsche Frau, deren ganze Hingabe der Instandhaltung des Haushaltes
und der Versorgung ihres Vaters gebührt, welcher nach dem Tod seiner Frau
alles daran setzt, für Noriko alle Liebe aufzubringen, die zu geben er
im Stande ist. Zwischen beiden besteht ein äußerst ausgeglichenes
Verhältnis, geprägt von Vertrauen in- und tiefer Liebe zueinander.
Als ein Freund Shukichi besucht und ihm erzählt, dass er gerade wieder
geheiratet habe, beginnt Shukichi auf dessen Nachfragen hin darüber nachzudenken,
dass es doch langsam an der Zeit sei, Noriko in den Bund der Ehe zu entlassen.
Gemeinsam mit seiner Schwester, also Norikos Tante, überlegt er sich, dass
sein junger Assistent Hattori sicherlich ein geeigneter Mann für Noriko
sei. Diese verbringt denn auch einige Zeit mit ihm, findet aber alsbald heraus,
dass er bereits verlobt ist, und somit natürlich nicht mehr für eine
Heirat in Frage käme. Norikos Tante schlägt nun einen anderen jungen
Mann vor, der ihrer Meinung nach gut zu Shukichis Tochter passen würde.
Diese aber ist aber einer Heirat ganz generell abgeneigt, da sie Angst darum
hat, dass ihr Vater dann niemanden mehr habe, der sich um ihn kümmert.
Um seiner Pflicht gleichzukommen, Noriko ein Leben als Ehefrau schenken zu müssen,
erfindet Shukichi schließlich eine Geschichte, die besagt, dass er selbst
auch bald wieder heiraten werde, und sich Noriko deshalb keinerlei Sorgen um
ihn machen müsse. Unter Tränen verabschieden sich beide voneinander
und Noriko wird zur Ehefrau - während das Leben seinen gewohnten Trott
wieder einnimmt...
Allein
die Tatsache, dass wir Norikos künftigen Ehemann auch in der Schlussphase
des Films nie zu sehen bekommen, erklärt praktisch, dass es Ozu nicht um
die Ehe geht, nicht darum, ob Noriko nun heiratet, oder doch bei ihrem Vater
bleibt, oder darum, ob sie einen sie liebenden Mann bekommen wird. Seine Thematik
ist reicher. Es geht ihm darum, die Notwendigkeit und Unaufhaltsamkeit des Zeitablaufs
darzustellen; zu verdeutlichen, dass das Leben oftmals brutal sein kann, ohne,
dass wir etwas dagegen tun könnten, weil wir uns manchmal mit einem Komplex
aus Schwierigkeiten (Noriko kann wählen zwischen dem Verlassen ihres geliebten
Vaters, oder dem Bereiten von Unehre durch ihre Nichtheirat) konfrontiert sehen,
aus dem wir zwangsläufig eine als unseren Weg auswählen müssen.
Immer wieder sind Ozus Charaktere genau diesem Dilemma unterworfen und fügen
sich schließlich mit der so typisch japanischen Contenance und größtmöglicher
Zurückhaltung und Unaufdringlichkeit in ihr Schicksal. Ozus Filmsprache
ist jene, die eben genau diesen Status, in dem das Begehren und Streben langsam
aufgegeben wird, zum Ausdruck bringen will. Seine Bilder scheinen sich den Charakteren
niemals nähern zu wollen, bleiben auf einer Distanz, die emotionale Intimitäten
verbietet. In der Schauspielerführung lässt er seine Figuren oftmals
fernbleiben voneinander (ich kann mich an kaum eine Stelle in seinen Hauptwerken
erinnern, in denen sich zwei Charaktere wirklich bewusst berührt, oder
gar umarmt hätten), gestaltet die Dialoge gerne so, dass die beiden Teilnehmer
zwar angeregt miteinander sprechen, dabei aber in gänzlich verschiedene
Richtungen schauen (ein Stilmittel, das sich nebenbei bemerkt auch in einigen
Spätwerken vom Yasujiro Ozu manchmal filmtechnisch verwandten Carl Theodor
Dreyer, besonders in Gertrud
von 1964, vorfinden lässt). Über diese Mittel versuchte Ozu eine Darstellung
der Isolation und Einsamkeit zu erreichen, die jedem Menschen an den wichtigsten
Eckpunkten seines Daseins innewohnt. Er verband diese mit einer interessant
"anti-anthropomorphen" Gegenständlichkeit der Requisiten und
Schauplätze. Anders als bei anderen großen Regisseuren, die wie Ozu
die kleinsten Geschichten verwendeten, um über das geschickte Streuen großer
Symbole, Allegorien und Metaphern auf das weitaus Höhere schließen
zu lassen, gewinnen die Gegenstände jenseits der agierenden Figuren bei
Ozu keine austauschbare Bedeutung oder "Verlebendigung", sondern wirken
durch seine Filme auf die immer selbe Weise: Sie sind die Elemente des Stillstands,
an denen der Zeitablauf, der die Charaktere über kurz oder lang vernichtet,
vorbeigeht, ohne, dass er auf sie Einfluss nimmt. Oftmals evident wird dies
in den so genannten "mu"-Einstellungen, die sich überall in Ozus
Werken finden lassen. Das "mu" ist ein Begriff aus der japanischen
Lyrik und bezeichnet Wörter, die gebraucht werden, um schlichtweg zu "füllen".
Es sind Worte, die im Kontext keinerlei Bedeutung haben, sondern für den
Leser lediglich als Ruhepunkte, als kurzes Verweilen im Stillstand dienen sollen
(zurückzuführen ist dieses Stilmittel wohl auf einen Teil der traditionellen
japanischen Teezeremonie, der vorschreibt, dass an dieser Stelle für einige
Augenblicke an nichts gedacht werden soll). Yasujiro Ozu bediente sich dieses
Mittels immer dann, wenn die ständig fortschreitenden Prozesse zwischen
seinen Charakteren eines Einhalts bedurften. Dann filmte er einfach ein Haus,
eine Straße oder einen Berg und fügte diese Sequenz an jener Stelle
für ein paar Sekunden in den Film ein (zu entdecken ist diese Idee im jüngeren
Kino vor allem in dem hervorragenden und sehr stark von Ozu beeinflussten Film
Maboroshi
No Hikari
(Das
Licht der Illusion,
1995) des Japaners Hirokazu Koreeda).
An
der besten Szene von Banshun
lässt sich dieses Stilmittel vielleicht am schönsten erklären:
Auf einer letzten gemeinsamen Reise von Vater und Tochter vor deren Hochzeit
liegen die beiden nebeneinander zum Schlafen auf dem Boden und nach einer kurzen
Diskussion, bei der der Vater einschläft, fängt die Kamera Norikos
Gesicht ein, das abwechselnd geprägt ist von lachender und weinender Mimik.
Die Szene wäre nicht so herausragend, wenn sie nicht unterschnitten wäre
durch eine zweimal wiederkehrende Einstellung einer simplen Vase im Raum. Während
sich Norikos Gesicht und Ausdruck ädern, bleibt die Vase erhalten - auch
in der zweiten, etwa zehn Sekunden langen Einstellung. Ozu verweist hier darauf,
dass die Welt immer fortschreitet und dass jeder Versuch dem entgegenzuwirken
fehlschlagen muss. Die Vase wird auch noch existieren, wenn Noriko verheiratet
ist, wahrscheinlich selbst dann noch, wenn sie bereits tot ist. Paul Schrader
geht in seinem eingangs erwähnten Buch noch erheblich weiter und sieht
in der Szene mit der Vase den ultimativen "transzendenten Stil" Ozus
in seiner finalen (der "stasischen") Form. Eine Erklärung des
nötigen gesamten Unterbaus dieser Theorie würde hier aber viel zu
weit führen.
Die
letzte Sequenz des gesamten Filmes wählt dann ein wunderschönes Bild,
das Banshun
paraphrasiert und gleichzeitig Yasujiro Ozus zentrales Thema ähnlich zentralisiert,
wie die Einstellungsfolge mit der Vase und Norikos Gesicht: Der alte Shukichi
ist nun allein. Seine Tochter ist verheiratet, fort von ihm und natürlich
wird er nicht wieder heiraten. Gedankenverloren und abwesend erscheinend nimmt
er einen Apfel und ein Messer und beginnt langsam, die Schale abzutrennen. Ein
langes Stück der Schale schneidet er ab, bevor diese an einer Stelle reißt
und herunterfällt. Während Shukichi mit einer unterdrückten Traurigkeit
etwas in sich zusammenfällt, realisieren wir, dass am Apfel ja noch immer
Schale ist, und dass das Messer ganz sicher wieder ansetzen wird.
Janis
El-Bira
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt es im filmzentralen-archiv mehrere Kritiken
Später
Frühling
(Banshun,
1949)
Regie:
Yasujiro Ozu
Premiere:
1949
Drehbuch:
Kazuo Hirotsu, Kôgo Noda & Yasujiro Ozu
Dt.
Start: 15. März 1972
Land:
Japan
Länge:
108 min
Darsteller:
Hohi
Aoki (Kasuyochi), Setsuko Hara (Noriko), Masao Mishima (Jo Onodera), Kuniko
Miyake (Akiko Miwa), Chishu Ryu (Shukichi Somiya), Haruko Sugimura (Masa Taguchi),
Yoshiko Tsubouchi (Kiku), Yumeji Tsukioka (Aya Kitagawa), Jun Usami (Shuichi
Hattori)
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