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Spider (2007)
Drin ist das Auto,
drin ist es. Mittendrin in den Adern der Stadt, wie ein Blutkörperchen
im Strom der Blutkörperchen, im australischen Irgendwo, irgendwann. Alltag
im Alltag der vertrauten Verkehrsströmung, die nun den leblosen Teerwegen
Lebendigkeit einflößt. Die Straße bedingt das Auto wie das
Auto zwangsläufig die Straße, um nicht vom rechten Wege abzukommen,
um in der Hektik der Großstadt, einem Netz des Hetzens, darin viele andere
anonyme Vehikel, geführt zu werden und dabei, natürlich, selbst ein
Partikel der Unrast zu sein. Manchen Filmen genügen wenige Blicke, um viel
zu sagen, dies in einer Beiläufigkeit, womöglich gar unbewussten Beiläufigkeit,
derentwegen alleine schon ein Blick lohnt, auf ihn selbst, diesen Kurzfilm,
der ins Auge sticht, von einem Stuntman gefilmt, der noch in seinem "Lucky",
nicht aber in seinem "Spider" ein Stuntman mehr ist.
Dem Meer der Karosserien, das unterschwelligen Zivilisationslärm absondert
wie der Lautsprecher eines Supermarkts Hinterkopfmusik, die da ist und eigentlich
nicht, diesem Meer des Rauschens steht ein Autoinnenraum gegenüber, der
Ruhe schafft, der das beiläufige Äußere filtert, sodass es noch
beiläufiger wird. Andere Geräusche wollen jetzt dominieren: Das Grummeln
des Motors, das Metronomieren des Blinkers. Allerdings weniger die Menschen
im Auto, ein Paar, das der Redseligkeit just nicht anheim gefallen zu sein scheint.
Doch auch wird viel gesagt, wo nicht viel gesagt wird. Mehr als mit dem Wort
findet eine Kommunikation über die Geste statt. Dokumentiert von Kameraeinstellungen,
welchen, die sich auf Gesichter spezialisieren, seitlich Zwischenmenschlichkeit
beobachten, Gesichtszüge, Körperhaltungen, aus denen Trotzigkeit auf
der einen Seite und Bemühen ums Brechen dieser auf der anderen herauszulesen
sind.
Und dokumentiert schließlich von einer anderen Einstellung, von uns, die
wir auf der Rückbank sitzen, dort, wo es sich bei Vollbremsungen ungern
sitzen lässt. Nicht nur die freie Sicht auf das Armaturenbrett und die
Straße ermöglicht die Postierung zwischen den Sitzen, auch die symbolträchtige
Sicht auf die Distanz der Sitzenden. Die Lücke zwischen Fahrerin und Beifahrer,
die immer da ist, ist betont, als wolle sie sagen: Kühle hier! Nichtigkeit
hat die Innenatmosphäre verunreinigt. Keine ernsthafte Krise wird beobachtet,
nur die zweisame Verstimmung des Tages, die - alles halb so schlimm - mit Schokolade
schon wieder aufzuhellen ist. Dann ist der Ernst raus aus der Szenerie, das
Mürrischsein aufgebrochen. Necken, Spielen, ein Späßchen fördert
sich zu Tage.
Ebenso ein neues Gesicht des Filmes selbst, um kurz darauf plötzlich wieder
in Ernst umzuschlagen, die aufgeblühte Heiterkeit völlig vergessen
zu lassen mit einem rohen Überraschungsakt und ganz am Ende einen mit etwas
zurückgebliebener Ratlosigkeit zu verabschieden ob des Gefühlsrätsels,
das er hinterlässt. Denn wenn "Spider" bereits über sich
hinaus ist, längst der Abspann eingesetzt hat, wendet sich das Blatt wieder
hin zum Spaße, zum deftig zynischen. Ist aber diese kleine Gefühlsachterbahn
als Stärke oder vielmehr als Schwäche auszulegen? Wäre es möglich,
in nicht einmal zehn Minuten eine von soviel zarter Mimik, Gestik und Beiläufigkeit
getragene, zwischenmenschliche Intensität zu erzeugen, emotional aufzuwühlen
und zu zerreißen, und dann nur mit der Genugtuung schließen zu wollen,
ein bloß überraschendes und krude komisches Werk gedreht zu haben?
Nash Edgerton könnte viel geleistet, vielleicht auch aber nur Wasser ins
Meer getragen haben.
Daniel Szczotkowski
Spider
Australien
2007 - Länge: 9 Min. - Produktionsfirma: Blue-Tongue Films - Produktion:
Nicole O’Donohue - Regie: Nash Edgerton - Buch: Nash Edgerton, David Michôd
- Kamera: Greig Fraser - Schnitt: Nash Edgerton - Visual Effects: Mike Seymour
- Darsteller: Nash Edgerton, Mirrah Foulkes, Chum Ehelepola, Bruno Xavier, Tony
Lynch, Joel Edgerton, Ashley Fairfield, David Michôd, Sebastian Dickins
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