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Spider
Man 2
Call-A-Hero
Auch
Superhelden leben flexibilisiert neoliberal - Spider-Man 2 von Sam Raimi
Nachdem Peter Parker alias Spider-Man die Hornbrille
endgültig gegen den Superheldencape eingetauscht hat, schickt Regisseur
Sam Raimi den sympathischen Helden im Sequel
in die wilde, flexibilisierte Arbeitswelt. Und die ist selbst für einen
Superhelden beinahe nicht zu bezwingen. Aber eben nur beinahe.
Der
Tag eines Superhelden hat nur 24 Stunden. Auch ihm stehen in der Regel nur zwei
Arme und zwei Beine zur Verfügung. So nimmt es nicht Wunder, dass Peter
Parker (Tobey Maguire), der in den letzten Bildern von Spider-Man
(USA 2002) noch dunkel sinnierend seiner Liebe M.J. (Kirsten Dunst) den Rücken
zukehrte und sich mit ernster Miene seiner Verantwortung und, ja auch Identität
final versicherte, zu Beginn des zweiten Teils gänzlich unpathetisch jobben
geht: Call-A-Pizza, Lieferung in 20 Minuten garantiert, ansonsten geht die Lieferung
aufs Haus. Maguire also mit lächerlichem Helm auf lächerlichem Mofa,
den Boss im Nacken, quer durch Manhattan, in sieben Minuten zur schönsten
Rush Hours 40 Blocks - das schafft kein Mensch. Nur Spider-Man.
Comic
relief: Der Superheld als Pizzamann turnt akrobatisch durch die Manhattaner
Skyline. Für solche Augenzwinkereien lieben wir Spider-Man, man fühlt
sich schon etwas Zuhause in diesem Film. Doch zwei Kinder rennen da vors Auto,
der Superheld schaltet schnell, die Kinder sind gerettet, der Job hingegen,
der geht flöten: Selbst läppische Verspätungen von wenigen Sekunden
kosten schnell Job und lückenlosen Lebenslauf.
Auch
Parkers Fotografien finden beim Daily Bugle nicht mehr den früheren Anklang,
seit er sich aus offensichtlichem Grund weigert, Spidey für schmierige
Boulevard-Kampagnen abzulichten. Sein Physikstudium liegt gar völlig brach,
muss er doch andauernd der heillos überforderten Polizei unter die Arme
greifen, wenn es gilt, böse Buben dingfest zu machen. Die nurmehr freundschaftliche
Beziehung zu M.J. erschlafft zusehends, Parkers Tante May (Rosemary Harris)
wird, nach verwehrtem Kredit bei der Bank, von ihrem Landlord rausgeschmissen,
ihm selbst droht in seiner Bruchbude in Manhattan das gleiche Schicksal: "Rent!",
hört man's im keimigen Treppenhaus regelmäßig cholerisch schreien.
Der Vermieter ist ein Arschloch von Gottes Gnaden, bringt aber in einem fort
coole Sprüche, über das jämmerliche Appartement des Superhelden
verlieren wir besser keine Worte: Kein Vergleich zur subventionierten Luxusbude,
die noch in Teil 1 zur Verfügung stand. Depression allenorten.
Statt
Highschool-Problemchen mit Hornbrillen-Charme gibt nun die knallharte Arbeitswelt
im neoliberalen Zeitalter steter Flexibilisierungen und mangelnden Kündigungsschutzes
die Situation vor: "You always seem so exhausted!", meint sein Professor
tadelnd, nachdem Parker erneut die Vorlesung verpasst hatte.
Wen
sollte das wundern? Auch Spider-Man ist, so scheint es nun, letztendlich nur
einer der Abermillionen Menschen dieser Welt, deren Leben vom Working-poor-Syndrom
bestimmt wird, die für lachhaftes Geld Arbeitskraft, Freizeit und das eigene
Nervenkostüm zu Markte tragen.
Beschädigungen
bleiben da nicht aus. Spidey verliert seine Kräfte. Mitten im Flug durch
die Skyline hat sich's was gegessen mit Spinnfadenejakulationen: Buchstäblich
tiefer Fall eines Superhelden. Weil im Zeitalter der Flexibilisierung die Beziehungen
der Menschen untereinander erstes Opfer sind, weil die Liebe darin deshalb keine
Chance hat, blockiert etwas im Kopf des Helden: Was ist er eigentlich? Was will
er eigentlich?
Psychische
Kastration ist die Folge, vom Hausarzt treffsicher diagnostiziert. Spider-Man
verlässt das Schiff, Rückgriff zur altbekannten Hornbrille: Welcome
back, Peter Parker! Nicht ganz unfreiwillig im Übrigen: Das Kostüm
landet in der Gosse, der Superheld wird aus dem 24-Stunden-Tag, der 40 Stunden
haben müsste, als Wurzel allen Übels ausgemacht und kurzerhand, wie
damals in Superman 2, outgesourct.
Peter
Parker, nun wieder nur er selbst, gibt der Liebe eine Chance, doch die, M.J.,
hat sich schon anderweitig orientiert: Heirat steht an, mit dem Astronautensohn
des Bugle-Herausgebers ausgerechnet! Unterdessen ist ein Obdachloser gewillt,
das gefundene Kostüm beim Daily Bugle in bare Münze umzusetzen, der
Herausgeber - wir kennen ihn bereits als zynischen Sprücheklopfer aus dem
ersten Teil, in diesem nun ist er, zur allgemeinen Erheiterung, ganz besonders
in Form - bietet lächerliche 50 Bucks. "I'll get more for that on
Ebay!", handelt der Treber selbstbewusst und protokolliert damit, jenseits
des bloßen Lacheffekts, die "Ausweitung der Kampfzone": die
obdachlose Ich-AG.
Superheldenfilm.
War da was? Ach ja! Der Bösewicht! Wie schon in der Saga erster Teil nimmt
auch im Sequel der Schurke vergleichsweise wenig Zeit der Narration für
sich in Anspruch. Natürlich stehen sich Held und Schurke anfangs - vor
der Schurkenmutation, die, wie immer, durch wissenschaftlichen Größenwahnsinn
bedingt ist - nahe. Selbstredend auch hier der innere Zwiespalt des mad scientist,
der Gutes will und Böses schafft. Faust und Mephisto in Personalunion,
im Shakespeare-Monolog dargeboten, mit Pop gut durchgemischt: Auftritt Dr. Otto
Octavius, später dann als krakenhaftes Menschmaschinenzwitterwesen kurz
"Doc Ock" genannt, wunderbar von Alfred Molina, dem derzeit wohl wandlungsfähigsten
im Arsenal der Hollywoodmimen, verkörpert.
Doc
Ock ist das glatte Gegenteil vom zusehends von den Umständen zerriebenen
Peter Parker: Mehr Arme, mehr Beine, flexibel vom Scheitel bis zur Sohle, da
nimmt der Maschinenarm schon mal cool die Kippe aus dem Mundwinkel. Und ob man
seine Strecken nun mit Beinen klassisch oder aber unter Zuhilfenahme der Maschinenarme
zurücklegt, bleibt allein Frage der Spontaneität. Wie er seine Teufelsmaschine
bedient, mit der er Bahnbrechendes auf dem Gebiet der Kernfusion erreichen will
- aber wohl, steht zu fürchten, eher halb New York in die Luft jagen wird
-, ist der Traum jedes Unternehmers dieser Tage: Schnell, schneller, akkurat.
Der Gadget-Cyborg-Arbeitsmensch der Zukunft und somit, nicht nur auf Ebene des
Subtexts, ein mehr als würdiger Gegner für Spidey.
Doch
wie erwähnt nimmt sich der Film für diesen Konflikt bemerkenswert
wenig Zeit. Im Fokus steht der persönliche Konflikt der Titelfigur und
dessen breite Schilderung. Das mag zuweilen an den Nerven der Zuschauer zerren.
Die dramaturgische und narrative Eleganz, mit der im ersten Teil Disparates
angenähert und verwoben wurde, vermisst man hier zunächst schmerzlich
und fühlt sich an frühere schlimme Zeiten des Regisseurs Sam Raimi
erinnert, als dieser zwar einiges an effektivem Hokuspokus veranstaltete, dies
aber oft genug mit dem hohen Preis eines funktionierenden Spannungsbogens bezahlte.
Doch
dämmert einem schon bald, dass dieser Vorgehensweise ein Konzept zugrunde
liegt: Analog zur Zerreibung des Superheldenkörpers zerreibt auch der Film
sich selbst, der - Sophisterei? - nicht umsonst auf den selben Namen wie seine
Figur, bzw. deren Körper, hört. Just an jener Stelle, an der man des
Ganzen überdrüssig zu werden glaubt und der Film in ein einziges Geplänkel
um gewährte, entzogene und revidierte Liebe - stilecht kitschig in einem
Kaffeehaus europäischer Prägung - umzukippen droht, bricht das Spektakel
buchstäblich in den Film - und in das Kaffeehaus - ein: Doc Ock entführt
mit viel Getöse und noch mehr Glasbruch M.J. wie weiland King Kong. Auferstanden
aus Ruinen: Spider-Man. Das demonstrativ als Trophäe in der Chefetage des
Daily Bugle ausgestellte Spider-Man-Kostüm ist flink entwendet - ein Mann,
eine abhanden gekommene Frau, eine Aufgabe: Rückkehr der Arbeitskraft.
Es
reicht aufpeitschende Musik wie große Geste und schon ist alle vorangegangene
Langeweile vergessen. Der Film ist - wie die Figur und deren Körper - wieder
ganz bei sich, mitten drin im lautstarken Spektakel. Und hat man bereits den
ersten Teil geschätzt, kann man nicht anders, als sich nun auch diesem
lustvoll zu ergeben. Beide - Film wie Figur - vollziehen Kraftakte, die das
zuvor Erwartete um ein Vielfaches übertreffen. Wenn Spidey dann in einer
beinahe schon rührseligen Sequenz nahezu zum Erliegen kommt, die Grenze
seiner physischen Belastbarkeit erreicht und gar seiner identitätsschützenden
Maske verlustig geht, greifen ihm - wie schon einmal kurz im Teil zuvor - die
New Yorker unter die Arme und tragen den fast gefallenen Helden zärtlich
auf ihren Armen. Dem steht Doc Ock als flexibles Monster des Neoliberalismus
gegenüber, der diese Geste der Solidarität mit einem ihm eigenen Handwisch
zerschlägt.
Ein
Sequel hat es meist schwer, zumal dann, wenn es offensichtlich nur die Angel
zwischen Teil 1 und Teil 3 bildet. Und in der Tat erscheint Spider-Man 2 nach
der Sichtung als offene Schnittstelle zwischen zwei abgeschlossenen Teilen:
Der Vorspann fasst den gesamten Verlauf des vorangegangenen Films in wunderschönen
Comiczeichnungen zusammen und das breit angelegte Ende dient als Sprungbrett
für Teil 3, dessen Kinostart - wiewohl weder Script noch Team stehen -
bereits für das Jahr 2006 angekündigt ist.
Der
Konflikt zwischen Harry Osborn (James Franco), Sohn von Norman Osborn, dem Green
Goblin aus Teil 1, der manisch den durch Spider-Man verursachten Tod seines
Vaters zu rächen sucht und zu diesem Zwecke die wahre Identität des
Superhelden aufzudecken sucht, und seinem Freund Peter Parker, der somit alle
Hände voll zu tun hat, Osborn von seiner Obsession abzuhalten, wurde im
Werbetrailer noch als maßgeblicher Inhalt des zweiten Teils in Aussicht
gestellt. Er gerinnt im Film selbst dann allerdings zur bloßen narrativen
Schmiere, um einige Weichen stellen und die Erzählung des nächsten
Teils einzuläuten: Das Konzept der Vertröstung, aber auch der dramaturgischen
continuity, das Comic Serials wie kaum eine zweite künstlerische Ausdrucksform
zum Primat erhoben haben, findet hier seinen Niederschlag.
Man
darf gespannt sein, wie es Teil 3 nach dem zunächst etwas skeptisch stimmenden,
letztendlich aber doch überzeugenden Sequel gelingen wird, die einzelnen
Fäden erneut aufzugreifen, um daraus ein großes funktionierendes
Netz zu weben. Bis dahin tragen wir eines der schönsten Abschlussbilder
jüngerer Filmgeschichte im Herzen: Spidey in den Hochhausschluchten New
Yorks, das "Go get'em, tiger!" von Kirsten Dunst noch im Ohr. Jungskino,
gewiss.
Thomas
Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: telepolis
Spider-Man
2
USA
2004 - Regie: Sam Raimi - Darsteller: Tobey Maguire, Kirsten Dunst, James Franco,
Alfred Molina, Rosemary Harris, Donna Murphy, J.K. Simmons, Elizabeth Banks,
Bill Nunn, Vanessa Ferlito, Ted Raimi - FSK: ab 12 - Länge: 127 min. -
Start: 8.7.2004
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