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Spiel
auf Zeit
"Welche
Wahrheit hätten’s denn gern?"
Von
Brian de Palma reden, heißt von Alfred Hitchcock reden. Unter Anhängern
des ersteren eine beinahe unumstößliche Selbstverständlichkeit.
Umgekehrt sieht der Sachverhalt etwas anders aus, aber das soll an dieser Stelle
nicht weiter von Belang sein. In Hitchcocks Stage
Fright
jedenfalls befindet sich eine falsche Rückblende, die sich im Verlauf des
Films dann auch tatsächlich als unwahr herausstellt. Dem Zuschauer offensiv
ins Gesicht gelogen. Ein absoluter Tabubruch, ein Skandalon. Selbst heute, gut
fünfzig Jahre später, erwarten wir, ob bewusst oder unbewusst, dass
Filme, von ihrem narrativem Konstrukt einmal abgesehen (da sind wir eher geneigt
zu verzeihen), zumindest "formal wahr" sind. Wie Hitchcock hat sich
de Palma mit diesem Diktum nie zufrieden geben können...
Ein
paradoxer Zustand: Der Zuschauer, das schließt den Verfasser ein, tendiert
dazu Filmbilder für "wahr", und damit für real zu erachten.
Allein von seinen ikonographischen und technischen Voraussetzungen her, scheint
das Kino also eher der Realität als der Lüge nahe zustehen. Das ist
zumindest der fromme Wunsch dahinter. Diese menschliche Neigung hatte Hitchcock
in seinem Film aufgenommen, um die Grenzen dieser Denkart exemplarisch vorzuführen.
Allerdings wurden die in den Köpfen präsenten, binären Oppositionen
"wahr" und "falsch" nicht bis zur letzen Konsequenz dekonstruiert.
Das konsequente Aufzeigen der filmischen Ununterscheidbarkeit von Wahrheit und
Lüge musste in letzter Instanz hinter dem "Willen zur Wahrheit"
zurückstecken. Anders de Palma: Er bedient sich einer perspektivischen
Juxtaposition der Geschehnisse, um die Illusion eines unmittelbaren Gegenwärtigkeitscharakters
des Blicks ins Groteske zu verdichten.
Eine
Juxtaposition freilich, die nicht alleine beim Visuellen bleibt, das kann sie
auch gar nicht. Vielmehr entfaltet de Palma einen komplexen Subtext von parallel
existierenden, respektive parallel agierenden Systemen. So finden sich dann
auch diverse gesellschaftliche Subsysteme im Film, die alle ihren spezifischen
Codes gemäß miteinander in Kommunikation treten. Ein Rechtssystem
(Rick Santoro), ein Politiksystem (der anwesende Minister und seine Entourage),
sowie ein Militärsystem (Commander Kevin Dunne). Sie alle verhalten sich
je nach Situation hermetisch oder offen. Ihr gemeinsames Axiom ist der Widerstreit.
Alle
Versuche des Zu-Schauers die ersehnte Omnipotenz des Blicks affirmativ heraufzubeschwören
– anders ist das obligatorische Mitfiebern, Mitraten, Mitsuchen nicht zu erklären
– werfen uns ratlos auf die eigene beschränkte Wahrnehmung zurück.
Es ist ironisch: Durch eine Vielzahl von Technologien konnte die menschliche
Wahrnehmung in relativ kurzer Zeit in bisher ungekanntem Maße modifiziert
werden. Evolution im Zeitraffer. Trotzdem erfahren wir dadurch keine Kompensation,
im Gegenteil, wir bekommen Einblick in noch komplexere Zusammenhänge, die
unsere "alten" Rezeptionsstrategien antiquiert, ja geradezu kontraproduktiv
erscheinen lassen. Für die mediale Codierung der "Wirklichkeit"
(und der damit immer verbunden Hoffnung die Wahrheit in irgendeiner Form fassen
zu können) muss der teure Preis des Wirklichkeitsverlustes gezahlt werden.
Die Rede von der Wahrheit, sie ist obszön geworden. Ein, wenn nicht sogar
das wesentliche Konstituens der Postmoderne. Und so ist es beinahe rührend
zu sehen, wie sich Nicolas Cages Detective die gesamte Technik des Casinos untertan
macht, um seinen Wahrnehmungsinsuffizienzen ein Schnippchen zu schlagen. Auf
der Suche nach dem real
thing
sieht der Mensch ganz schnell ganz alt aus.
Eindringlichstes
Bild des Films: Ein mit Kameras ausgestatteter Zeppelin in Augenform durchmisst
den Raum. Um mit Godard zu sprechen: Nicht wir haben gesehen, sondern die Kamera.
Unsere Augen? Eine Leinwand. Süße Lügen. Lehrstunden in Kino
...
e.f.
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Spiel
auf Zeit
SNAKE
EYES
USA
- 1998 - 98 min.
FSK:
ab 12; feiertagsfrei
Verleih:
Buena Vista, Buena Vista (Video)
Erstaufführung:
19.11.1998/27.5.1999 Video
Fd-Nummer:
33421
Produktionsfirma:
Touchstone Pictures
Produktion:
Brian de Palma, Chris Soldo
Regie:
Brian de Palma
Buch:
Brian de Palma, David Koepp
Kamera:
Stephen H. Burum
Musik:
Ryuichi Sakamoto
Schnitt:
Bill Pankow
Darsteller:
Nicolas
Cage (Rick Santoro)
Gary
Sinise (Kevin Dunne)
John
Heard (Gilbert Powell)
Carla
Gugino (Julia Costello)
Stan
Shaw (Lincoln Tyler)
Kevin
Dunn (Lou Logan)
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