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Spun
Der
Kollaps des White Trash
Jonas
Åkerlund lässt in Spun die Zeichenwelt des White Trash förmlich
implodieren. Vielleicht ist ja seine Vergangenheit als Schlagzeuger des schwedischen
Black-Metal-Urgesteins BATHORY in den 80ern Jahren die beste Voraussetzung hierfür.
War es doch diese, ironischerweise, wohl weißeste aller Musikspielarten,
die den erdigen, ehrlichen Rock wieder mit Metaphysik und einem Spiel mit den
Zeichen auflud und sich, für viele Anhänger, als Ersatzreligion installierte.
Es mag wirklich diesem biografischen Detail geschuldet sein, dass sich SPUN
souverän in erster Linie - auch mittels eines hektischen, nervösen
Schnitts - auf die zeichenhaften Details der Alltagskultur jenes White Trash
konzentriert.
Der
Vorspann unterstreicht dies: Anstatt nur die Namen der Darsteller aufzulisten,
ergänzt man diese - "... is ... " - mit dem Rollennamen, jeder
mit einer eigenen Schriftart versehen, dieser aber allesamt dem White-Trash-Kosmos
zuzuordnen: Anlehnungen an emblematische Schriftzüge von Def Leppard, Coca
Cola, das reaktionäre Country-Spektrum oder Striptease-Club-Logos. Keine
dieser Figuren ist Charakter im eigentlichen Sinne - schon die Namen, "Mullet
Cop" etwa oder "The Cook", kennzeichnen sie nicht als solche
-, bloß Epiphänomene eines von Personen unabhängig sich selbst
fortschreibenden Texts, der, bis ins Unendliche in sich gespiegelt, sich an
sich selbst nährend und monströs vergrößernd, nur noch
ins bloße Feedback hässlicher Übersteuerungen mündet. Dort,
wo Alltag nur noch Klischee eines Klischees sein kann, kann kein Mensch mehr
leben. Ergo ist keine der Figuren menschlich, Unsympathen allesamt.
Dieser
Übersteuerung sieht man in SPUN bei der Arbeit zu. Eine Spielhandlung im
klassischen Sinne gibt es nicht, kann es deshalb nicht geben. Gewiss, da sind
ein paar Drogenjunkies im typischen Milieu. Abgefuckte Wohnungen, Kommunen gleich,
wer hier aber wohnt und wer nur vorbeischaut ist auf den ersten Blick kaum auszumachen.
Alltagsprobleme: Wo man den Stoff herkriegt, wie man den Stoff nimmt, wer den
Stoff herstellt, was man für den tut, wie man immer weiter degeneriert.
Aber nicht, wie man ans Geld kommt, wie man in die Szene abrutscht und welche
Folgen das mit sich bringt. Diess verhindert alleine schon der kurze Ausschnitt
von gerade mal drei Tagen, der beobachtet wird. Alles halb so wichtig, das machen
andere eh schon besser. Von Interesse sind Momente, Beziehungsgeflechte, Reaktionen:
Alltag! Die Drogen - es geht vornehmlich um härtere Kaliber: Speed, Kokain
- sind nur Metapher für den weißen, pickligen Moloch der Unterklasse,
der sich selbst immer schneller reproduziert, sich selbst verschlingt, um sich
immer wieder in neuen Zusammensetzungen auszukotzen. Nach Möglichkeit aufs
vergilbte Rippunterhemd und am besten noch alles fortwährend gleichzeitig.
Ein ekelerregender Sud wird da gebraut, bestehend aus morschen Zähnen,
fusseligen Plüschhausschlappen, geschmacksunsicheren Oberteilen, schmierigen
Cowboystiefeln, schlechten Tatoos auf geschwollen, nicht aber auf Ästhetik
hin trainierten Oberarmen, fettigen Haaren, Stoppelbärten mit dickflüssigem
Speichel drin, Wohnkasernen, aufgequollenen, kalten Pizzaresten, Ernußflips
zwischen Sofapolstern,bizarrem Telefonsex, hysterischer Dauerwellen-Nagellack-Pornografie
der 80er Jahre und Trailerpark-Abschaum a la Pink Flamingos (USA 1972), der,
nebenbei bemerkt, fast schon aufdringlich zitiert wird.
Drogen
wird man nach Spun nicht unbedingt nehmen wollen. Aber: Man wird sie auch nicht
zwangsläufig meiden wollen. Ein ideologisches Projekt verfolgt der Film,
was den Drogenkonsum betrifft, zum Glück nicht. Der ideale Zuschauer verfügt
wohl wirklich über einschlägige Erfahrungen, ohne aber - Junkies gehen
eh nicht ins Kino - hängen geblieben zu sein. Diese Position verspricht
am meisten noch Souveränität in diesem hässlich-faszinierendem
Treiben. Es geht allein um den Speed, die Beschleunigung einer Zeichenwelt,
die außer Kontrolle geraten ist, in der es keinen guten Pop mehr gibt.
In der selbst die Cops, die die Junkies der Reihe nach hochgehen lassen, noch
nicht mal mehr die andere Seite der Medaille darstellen, sondern selbst schon,
mit Fliegerbrille, Schnurbart und Vokuhila versehen, Karikaturen der gleichen
Klischeewelt darstellen. Eine Welt, in der keine Befreiungsbewegung mehr möglich
ist, da nur noch die Verstärkung der Groteske als Option denkbar scheint:
Analog dazu immer wieder, wie beiläufig, Blicke auf Fernsehschirme, in
denen immer fettere und hässlichere Wrestler sich gegenseitig die Fresse
breiig schlagen.
Ein
wahrer Glücksgriff in diesem Zusammenhang die Besetzung des Films, vor
allem der Nebenrollen: Pornoikone Ron "Hedgehog" Jeremy gilt es als
Barkeeper zu entdecken, Debbie Harry alias Blondie spielt die blonde, nietenbewehrte
Kampflesbe von nebenan, Rob Halford, der schwule Sänger der Lack- und Leder-Hardrockkombo
Judas Priest spielt einen schwulen Angestellten eines Pornoladens, Billy Corgan,
der auch den Soundtrack schrieb, erhält einen Cameo-Auftritt und Mickey
Rourke findet in seiner Rolle des Drogenkochs und Bodybuilder-Cowboys "The
Cook" ein verdientes Comeback. Stimmiger hätte man diesen bemerkenswerten,
so abstoßenden wie faszinierenden Film nicht besetzen können. Die
niedrige Kopienzahl, mit der Spun hierzulande eine Kinoauswertung gegönnt
wurde, ist schlichtweg ein Skandal.
Thomas
Groh
Diese
Kritik erschien zuerst auf der Website der Zeitschrift F.LM - Texte zum Film,
http://www.f-lm.de
Zu diesem Film gibt's im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Spun
USA/Schweden,
2002
Regie:
Jonas Åkerlund
Drehbuch:
Will De Los Santos, Creighton Vero
Kamera:
Will De Los Santos, Creighton Vero
Schnitt:
Johan Söderberg, Jonas Åkerlund
Musik:
Billy Corgan, Nikki Sixx
Darsteller:
Jason Schwartzman, Mickey Rourke, Brittany Murphy, John Leguizamo, Patrick Fugit,
Deborrah Harry, Ron Jeremy, Rob Halford, u.a.
Verleih:
Tobis-Film Länge: 101 Minuten
Offizielle
Website
http://www.spun-derfilm.de
Internet
Moviedatabase
http://imdb.com/title/tt0283003/combined
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