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Spurlos
...
ohne Spuren zu hinterlassen
Manchmal
stimmt es: Nomen est Omen. Der Name ist Schall und Rauch. Was George Sluizer
dazu veranlasst hat, seinem eigenen französisch-niederländischen Film
„Spoorlos”
aus dem Jahr 1988 fünf Jahre später in einem US-amerikanischen Remake
den Garaus zu machen, kann ich nicht beurteilen. „Spoorlos” war ein exzellenter,
düsterer Thriller, der durch ausgezeichnete Charakterdarstellung und ein
beklemmendes Ende Frösteln verursachte. „Spurlos” ist nichts anderes als
ein geschmäcklerisches Hollywood-Remake, das so offensichtlich auf Mainstream
getrimmt ist, dass man sich fragen muss, ob die Produzenten das hauseigene Publikum
für dämlich halten.
•
I N H A L T •
Diane
Shaver (Sandra Bullock) und ihr Freund Jeff Harriman (Kiefer Sutherland) sind
unterwegs on vacation. Sie hatten eine Auseinandersetzung, sich aber gerade
wieder versöhnt, als Diane an einer Raststätte aussteigt, um auf die
Toilette zu gehen und Bier zu holen. Sie kehrt nicht zum Auto zurück. Jeff
sucht sie vergeblich. Drei Jahre später hat er die Suche noch immer nicht
aufgegeben. Inzwischen hat er Rita Baker (Nancy Travis) kennen gelernt und lebt
mit ihr zusammen. Noch immer sucht Jeff nach Spuren, die zu Diane führen
könnten. Rita gegenüber verheimlicht er dies, doch sie kommt dahinter
und versucht, Jeff davon abzuhalten, sein Leben und ihrer beider Beziehung durch
seine Besessenheit zu zerstören.
Da
taucht ein Brief auf, in dem ein gewisser Barney (Jeff Bridges) Jeff ein Treffen
vorschlägt; er wisse, was mit Diane passiert sei. Als Barney bei Jeff auftaucht,
entlädt sich Jeffs ganze Wut gegen den Kidnapper, der Jeff ein einmaliges
Angebot macht: Wenn er mit ihm komme, würde Jeff erfahren, was mit Diane
geschehen sei – unter einer Bedingung: Jeff müsse das gleiche durchmachen
wie Diane. Nur dann werde er ihn zu ihr führen.
Rita,
die Jeff kurz zuvor verlassen hat, weil Jeff seine Suche fortsetzt, erfährt
von einer Nachbarin Jeffs das Autokennzeichen Barneys und versucht, die beiden
zu finden. Sie ahnt Schreckliches ...
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I N S Z E N I E R U N G •
Sluizers
Remake folgt im wesentlichen der Originalstory aus dem Jahr 1988. Zwei Dinge
wurden allerdings grundlegend geändert. Der Schluss wurde zum üblichen
kommerziellen Trash ausgestaltet und die Figur der neuen Freundin Jeffs, Rita,
zur Drehbuch-Marionette zwecks Funktionsfähigkeit dieses Schlusses ausgestaltet.
Die
Geschichte selbst ist einfach und klar gehalten. Im Mittelpunkt steht ein Universitätsprofessor
der Chemie, Barney Cousins, der nach außen ein stinknormales Leben mit
Frau Helen (Lisa Eichhorn) und Tochter Denise (Maggie Linderman) führt,
aber insgeheim von schwerwiegenden psychischen Problemen mit gefährlichen
Folgen für andere geplagt wird. Als Junge war er – ohne für andere
ersichtlichen Grund – vom Balkon des Elternhauses gesprungen. Cousin will „testen”,
was freier Wille bedeutet. Für ihn ist „freier Wille” eine Herausforderung.
Seiner Tochter gegenüber beweist er den „guten Vater”, der einmal ein kleines
Mädchen vor dem Ertrinken rettete. Aber kann er auch das Gegenteil – ein
böser Mensch sein? Diese pathologische Disposition bringt ihn auf die Idee
des Kidnapping.
Während
auf Grundlage dieser Ausgangssituation Sluizers Film aus dem Jahr 1988 eine
kompakte und in sich logische Geschichte, in die sich das Ende nahtlos einfügt,
erzählt, musste das Remake diese Homogenität anscheinend unbedingt
destruieren. Während in der Originalversion die dortige neue Freundin Rex
(Jeff) verlässt, weil sie dessen Besessenheit nicht ertragen kann, muss
Nancy Travis einen Showdown sichern, der so abgeschmackt und sattsam bekannt
ist, dass er nicht nur die Grundidee des ersten Films gnadenlos zerstört,
sondern auch die Sluizers erstem Film inhärente Zivilisationskritik mit
Füßen tritt. Da ich hier über den Showdown nichts verraten will,
sei nur so viel gesagt: Nancy Travis Rita muss das avisierte Ende des Bösen
und Sieg des Guten sichern helfen.
In
„Spoorlos” hingegen visualisierte Sluizer die Nähe von Normalität
und Schrecken, von Pathologischem unter der hauchdünnen Fassade des bürgerlichen
Anstands, Anonymität und Gleichgültigkeit anderer bezüglich des
Schicksals von Saskia (Diane). Noch etwas: „Spoorlos” zeigte auch die Ähnlichkeit
im Verhalten des dortigen Entführers Raymond Lemorne und des Saskia (Diane)
suchenden Rex. Beide werden getrieben von einer maßlosen, grenzenlosen
Suche nach Gewissheit. Dieser schier unstillbare Wissensdurst beider als Prototypen
der „modernen” Gesellschaft ist Ausdruck einer Form von „Wissen”, die ausschließlich
dazu dient, sich des anderen zu bemächtigen.
Von
alldem findet sich in dem Remake: absolutely nothing. Sutherland, Travis und
Bridges sind lediglich Marionetten eines auf Mainstream maßgeschneiderten
Drehbuchs. Die teilweise wörtlich übernommenen Dialoge bekommen damit
eine fast völlig andere Bedeutung in einem Thriller, der üblichen
Klischees des Genre entsprungen ist. Bridges spielt für meinen Geschmack
Barney Cousins „over the top”, das heißt, er drängt den Psychopathen
so richtig auf psychopathisch. Die von Jerry Goldsmith komponierte Musik passt
über weite Strecken überhaupt nicht zur Handlung, sondern suggeriert
etwas, was der Film nicht hergibt: Spannung. Schon die Eingangssequenz bis zum
Verschwinden von Diane und selbst die Handlung danach bis zum Eintreffen des
Briefes von Cousins bei Jeff lässt Langeweile aufkommen. Eine Dreiviertelstunde
muss dafür herhalten, was in knapp zwanzig Minuten aufgehoben gewesen wäre.
Der Showdown ist absoluter Trash, hundertfach schon gesehen und nicht einmal
besonders spannend inszeniert.
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F A Z I T •
„Spoorlos”
hinterließ ein Frösteln, „Spurlos” hinterlässt keine Spuren.
So könnte man den fundamentalen Unterschied beider Filme zusammenfassen.
Wertung:
3 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Spurlos
(The
Vanishing)
USA
1993, 109 Minuten
Regie:
George Sluizer
Drehbuch:
Todd Graff, nach dem Roman von Tim Krabbé
Musik:
Jerry Goldsmith
Director
of Photography: Peter Suschitzky
Schnitt:
Bruce Green
Produktionsdesign:
Jeannine Claudia Oppewall
Darsteller:
Jeff Bridges (Barney Cousins), Kiefer Sutherland (Jeff Harriman), Nancy Travis
(Rita Baker), Sandra Bullock (Diane Shaver), Park Overall (Lynn), Maggie Linderman
(Denise Cousins), Lisa Eichhorn (Helene Cousins), George Hearn (Arthur Bernard),
Lynn Hamilton (Miss Carmichael)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0108473
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