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Spurwechsel
Am
Ende eines nervenaufreibenden Tages kommt Gavin Banek (Ben Affleck) noch einmal
in das Büro seiner Anwaltskanzlei zurück, wo ein Jobsuchender ihm
den Witz des Tages erzählt: "Ich glaube an das Gesetz. Ich glaube
an Ordnung und Gerechtigkeit. Historische Kräfte drängen uns zu immer
mehr Gesetzen, sie werden zu einem Puffer." Dann die Pointe: "Das
Gesetz hält uns zivilisiert." Banek hat einen hysterischen Ausbruch,
aber er gibt dem armen Teufel schließlich den Job in seiner Kanzlei. Der
Mann wird seine Hölle schon noch finden.
Banek
hat seine Hölle zu diesem Zeitpunkt bereits erlebt. Am Morgen hatte er
auf dem Weg ins Gericht eine kleine Kollision mit dem Wagen von Doyle Gibson
(Samuel L. Jackson). Was zunächst wie ein alltäglicher Unfall im New
Yorker Straßenverkehr aussieht, entpuppt sich kurze Zeit später als
Auslöser einer Kette von Ereignissen, die das Leben der Beteiligten grundlegend
verändern werden. Weil Banek Gibson einfach am Unfallort zurücklässt,
kommt der zu spät zu seinem Gerichtstermin und verliert das Erziehungsrecht
für seine beiden Söhne. Banek wiederum merkt zu spät, dass er
am Unfallort wichtige Unterlagen vergessen hat, die eine Multi-Millionen-Dollar-Klage
gegen seine Kanzlei entkräften sollen. Aber Gibson, der die Papiere an
sich genommen hat, ist entschlossen, nun auch Baneks Leben zu zerstören.
Das
New York in Roger Michells Spurwechsel ist
eine Welt der Einzelkämpfer und Winkeladvokaten. Der Titel ist äußerst
treffend. In einer Gesellschaft minimaler geistiger und moralischer Mobilität
löst der Ausbruch, der Crash, den Zusammenbruch einer rein symbolischen
Ordnung aus. Befindet sich diese (Familie, Karriere, Auto ... immer wieder das
Auto) erst in einer Krise, wird es scheinbar unmöglich, noch die Form zu
wahren. Dann herrschen nackte Panik und Barbarei. Der Mensch wird nicht mehr
vom Gesetz zivilisiert, es legitimiert lediglich unsere eigene Unzivilisiertheit.
Gibson schickt Banek ein Drohfax, der verpasst ihm einen Denkzettel, indem er
Gibsons Identität (seine Bankkonten) auslöschen lässt. Gibson
manipuliert daraufhin die Radaufhängung an Baneks Wagen, woraufhin der
weiter an der Zerstörung von Gibsons Familie arbeitet. Nicht einmal die
Einsicht in ihre Fehler kann sie noch vom gegenseitigen Vernichtungsfeldzug
abbringen. Banek und Gibson verkörpern in Spurwechsel keine
Einzelschicksale mehr, sondern den mentalen Status quo einer Gesellschaft am
Rande des Kollapses. In einem Klima der permanenten Anspannung werden sie zu
blindwütigen Adrenalinjunkies.
Das
Drehbuch von Chap Taylor, der bisher für Woody Allen gearbeitet hat, erreicht
mit seiner Präzision in Dialogen und Kulminationsmomenten streckenweise
die Klasse eines David Mamet. Dass Taylor weitestgehend auf eine Evaluierung
seiner gesellschaftlichen Anti-Utopie verzichtet hat, macht auch die Dichte
des Filmes aus. Die Gleichgültigkeit der Figuren ist erschütternd.
"Warum tust du das?", fragt ein Arbeitskollege Gibson, als der Banek
seine Unterlagen per Kurier zukommen lassen will. "Ich will das Richtige
tun", antwortet der. Darauf der Kollege verdutzt: "Das ist alles?"
Später
sitzt Banek im Beichtstuhl, um der Welt wieder einen Sinn zu geben, zumindest
seiner eigenen, lächerlich kleinen Welt. "Aber wozu?", fragt
ihn der Priester. "Warum braucht die Welt einen Sinn?" Den Standard
für diese Welt ohne Sinn gibt Baneks Seniorpartner Stephen Delano (Sydney
Pollack) vor. Der Standard, sagt er, sei es, am Ende eines Tages mehr Gutes
als Schlechtes getan zu haben.
Spurwechsel ist
bestes Neo-Noir-Kino im aschfahlen Schein der unwirtlichen Großstadt.
Irgendwann kommt Banek wieder am Unfallort an, an dem noch Gibsons Wagen steht.
Es sind diese Kreisbewegungen, die Spurwechsel so
zermürbend machen. Kaputte Autos sind zum Sinnbild dieser Gesellschaft
geworden. Kulissen, durch die sich die Menschen wie in Trance hindurchbewegen.
Geister ohne Körper, hat ein Freund Gibsons diesen Zustand genannt.
Andreas
Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd film
Spurwechsel
Changing
Lanes
USA
2002. R: Roger Michell. B:
Chap Taylor, Michael Tolkin. P: Scott Rudin. K:
Salvatore Totino. Sch:
Christopher Tellefsen. M: David Arnold. T: Danny Michael. A: Kristi Zea, Steven
Graham. Ko: Ann Roth. Pg: Paramount. V: UIP. L:
99 Min. FSK: 12, ffr. FBW: wertvoll. Da: Ben Affleck (Gavin Banek), Samuel L.
Jackson (Doyle Gibson), Toni Colette (Michelle), Sydney Pollack (Stephen Delano),
William Hurt (Sponsor), Amanda Peet (Cynthia Banek), Kim Staunton (Valerie Gibson).
Start:
7.11.2003 (D, CH).
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