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Rupert,
übernehmen Sie!
Ned
Kynaston hat alles, was eine große
Schauspiel-Diva im London des 17. Jahrhunderts braucht: Eine gesunde Verachtung
für das launische Publikum, ein regelmäßig in den Größenwahn
hinüberschwappendes Selbstbewußtsein und eine heimliche Affäre
mit einem adligen Gönner. Nur leider ist Ned Kynaston ein Mann. Sein Job
besteht darin, auf der Bühne mit größtmöglicher Affektiertheit
tragische Frauenrollen herunterzuschmieren, und inzwischen ist sein Ruhm so
groß, dass männliche wie weibliche Verehrer nichts lieber tun, als
sich persönlich von der intakten Männlichkeit des androgynen Beaus
zu überzeugen.
Das hört sich spritzig, amüsant
und kontrovers an, und in seiner Einführung und durch weite Teile des zweiten
Aktes hindurch weiß die (was sonst?) Theaterverfilmung des Kostüm-
und Fernsehroutiniers Richard
Eyre auch durchaus mit prachtvoller Atmosphäre und spritzigem Drehbuch
zu gefallen. Zwar schleppt die Musik von Beginn an ein wenig und die Kameraarbeit
von Andrew Dunn, der sonst als Spezialist für britische period
pieces
eher getragene Atmosphäre verbreitet, fällt ungewohnt hektisch aus,
aber das Potential wäre da - sowohl für eine Komödie als auch
für ein Geschlechterdrama.
Spätestens
nach einer Stunde aber zerfällt der Film. Anstatt nach der Legalisierung
von weiblichen Theaterdarstellern eine symetrische Umkehrung der Verhältnisse
zu vollziehen (Kynaston wird über Nacht zum Habenichts, während seine
vormalige Assistentin und heimliche Schauspielerin zum ersten gefeierten weiblichen
Bühnenstar aufsteigt) und dann auch konsequent auszuwerten, schlingert
das Drehbuch in unsichere Gefilde – und Regie und Schauspieler gleich mit. Die
Geschichte verliert ihren Fokus, mäandert zwischen den Genres umher, unentschieden,
ob am Ende dann eine Kostümposse oder eine Passionstragödie draus
werden soll, weswegen einige blasierte Fürsten zugleich als Bösewichte
und als comic
relief
herhalten müssen, was sich leider dann im Effekt gegenseitig neutralisiert.
Zudem werden unübersichtliche und unnötige Umwege durch den intriganten
Adel gemacht, der ansonsten doch so charmante Billy Crudup überdreht sein
Martyrium an einigen Stellen doch arg, Claire Danes bleibt in den Fesseln einer
schlicht uninteressanten Figur gefangen, und zu allem Überfluss kommt es
schließlich gar zu prätentiösen Momenten des emotionalen Ausdruckstanzes.
Am
schwersten aber wiegt vermutlich, daß die angerissenen Themen, von Bisexualität
über Schauspieltechnik bis zu Gender-Fragen, einfach nicht befriedigend
abgeschlossen werden. Sicher, eindeutige Antworten in solch ambivalenten Themenfeldern
hätten dem Film auch nicht gut getan, aber das halbherzige und irgendwie
unentschiedene Hetero-Happyend mit zeitgleicher Erfindung von Method Acting
und modernerer (deswegen keineswegs wenig affektierter) Schmink- und Schauspielkunst,
das ist dann doch ein wenig dick aufgetragen. Und kann trotzdem nicht übertünchen,
dass man sich an Themen überhoben hat, denen der Stoff einfach nicht gewachsen
war.
Und
so passiert, was in solchen Fällen von mangelnder kreativer Kontrolle eben
passiert: In reinem Schauspieldarwinismus gehen die schwächeren Rollen
und Akteure unter, während ein starkes Alphatier die Show einfach an sich
reißt. Das szenenstehlende Raubtier hört in diesem Film auf den Namen
Rupert Everett und gebärdet sich mal wieder als äußert ungezogener
Junge – was die beste Nachricht dieses letztlich leider verschenkten Films ist.
In seiner Rolle als König Charles II. darf er eine schreiend dekadente
Vorliebe für beschleifte Hündchen und vulgäre Mätressen
ausleben, während seine horrenden Frisuren sowohl für den Todesmut
des Schauspielers als auch für die kompromisslosen Unterhaltungswillen
der zuständigen Maskenbildner bürgen. Dank seiner gibt es dann doch
noch einzelne Momente wahrer Bühnenschönheit.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im Schnitt
USA
2004. R: Richard
Eyre. B: Jeffrey
Hatcher. K: Andrew
Dunn. S: Tariq
Anwar. M: George
Fenton. P: Tribeca. D: Billy
Crudup, Claire
Danes, Rupert
Everett, Tom
Wilkinson u.a. 110 Min. Senator ab 29.9.05
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