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Startup
Vorwärts
in die Vergangenheit
Schon
der Filmtitel bezeugt Aktualitätsbezug. Ein Thriller zur New Economy kündigt
sich an, und das zu einer Zeit, in der dieser Wirtschaftszweig mit Massenentlassungen
glänzt. So mag schon die Ausgangssituation von Peter Howitts »Startup«
wie eine Erinnerung an »bessere« Zeiten erscheinen. Blitzgescheite
Computercracks wie Milo (Ryan Phillipe) und Teddy (Teddy Chin) können sich
da für ihren Aufbruch ins Berufsleben gar nichts Schöneres vorstellen
als ein eigenes Startup-Unternehmen für brandneue Kommunikationssoftware.
Die
arbeiten nämlich an einer wichtigen Sache – an dem Schlüssel zur Vernetzung
aller digitalen Kommunikationsmittel vom Telefon über TV bis zum Computer.
Genau dieses Ziel, digitale Konvergenz, verfolgt auch der Multimilliardär
und mächtigste Mann der Computer-Branche Gary Winston (Tim Robbins). Sein
Projekt »Synapse« steht kurz vor der Realisierung, und darum wirbt
er Milo ab, seine Ideen für das Winston-Imperium einzusetzen. Die Freunde
trennen sich, Open Source vs. Monopol: Während Teddy auf eine freie Veröffentlichung
des Schlüssels zur digitalen Konvergenz hinarbeitet, will Milo beim Mogul
und Vorbild Gary reich und berühmt werden.
»Startup«
braucht nur wenige Minuten, um diesen Konflikt zu entwerfen. Und ebenso schnell
ist aus den unterschiedlichen Möglichkeiten dieser Ausgangssituation die
einfachste aller Lösungen geworden. Der Bill Gates-Verschnitt Gary entpuppt
sich als hysterischer Alleinherrscher, der Milos Freund Teddy umbringen läßt,
um an dessen Ergebnisse auf der Suche nach der digitalen Konvergenz zu kommen.
Und wer in den letzten zehn Jahren irgendwann einmal im Kino gewesen ist, weiß,
was jetzt kommt: Milo versucht als Vertrauter seines Chefs an Beweise für
dessen kriminelle Machenschaften zu kommen, doch bevor er den Laden hochgehen
lassen kann, wird noch einiges an unliebsamen usw usw.
»Unser
Instinkt sagte uns«, erklärt Produzent Nick Wechsler, »daß
ein Film, in dessen Zentrum die Technologiewelt steht, jeden ansprechen würde.«
Vielleicht ist genau dieses Ziel, »jeden ansprechen« zu wollen,
das offensichtlichste Merkmal und Problem dieses Films. Gary Winston jedenfalls
muß immer schon alles sein: Bill Gates, eine selbstironische Reflexion
dieser Rolle, ein James Bond-Superschurke mit dazugehörigem Superschurkenanwesen
und eine mahnende Spiegelung des jungen Milo, der seinerseits irgendwo zwischen
dem Tom Cruise aus »Die Firma«, Jason Priestly aus »Beverly
Hills 90210« und einem der romantischen Langeweiler der letzten High School-Komödien
verlorengegangen ist.
Aus
dieser Panik, möglichst viel gleichzeitig zu sein, entsteht »Startup«
dabei auch ein dramaturgisches Problem: Alles passiert viel zu schnell, so daß
nicht einmal die klassische Thriller-Spannung von z.B. »Die Firma«
aufkommen könnte. Keine Figur darf sich entwickeln und niemand eine schon
gar nicht abgründige Faszination ausüben. Und so erfahren wir in »Startup«
dann auch weniger über digitale Konvergenz, Kommunikation und New Economy
als wir in »Die Firma« von den Aufgaben eines Anwalts mitbekommen.
»Dieses
Geschäft ist ein lebender Organismus!« lautet der erste Satz des
Films. Computerbildschirme flimmern, »Alles ist möglich – nur eine
Frage des kreativen Denkens.«, und Gary Winstons Betriebsphilosophie heißt:
»Es geht um 1 oder 0, Leben oder Tod!« Die andauernden Beteuerungen
des Films, irgendetwas mit dem »Informationszeitalter« und daraus
resultierenden ökonomischen oder sozialen Bedingungen zu tun zu haben,
sind ein weiterer Teil des überstrapazierten Zielgruppen-Targetings. Vorzuwerfen
wäre »Startup« dabei nicht, das Thema der New Economy als Hintergrund
für einen Thriller zu gebrauchen, sondern vielmehr, daß er es nicht
einmal als Hintergrund ernst nimmt.
Die
zentrale Spannung und das entscheidende Verbrechen entstammen hier immer noch
gewissermaßen der »Old Economy«: Ein Mord mit Baseballschlägern,
Überwachung mit Videokameras und Undercoveragenten in Behörden und
Liebesbeziehungen. Daß z.B. der größte Überwachungs-Clou
des Computersuperschlaukopfs Gary darin bestehen soll, die Tastaturen und Bildschirme
seiner Mitarbeiter abzufilmen und nächtelang von finsteren Ganoven auswerten
zu lassen, ist mehr als nur ein blöder Höhepunkt der Absurdität.
Hier wird die New Economy sowohl sicht- als auch unsichtbar: Indem in Arbeitszusammenhängen,
in denen Überwachung, Kontrolle und Ausbeutung eben ohne Anwesenheit eines
»Anderen« (z.B. einer Kamera, eines Chefs vom alten Schlag, alten
Bürohierarchien oder einer Stechuhr) möglich ist und auch geschieht,
die obsolete Big Brother-Phantasie bemüht wird, werden die gezeigten Arbeits-
und Lebensbedingungen der New Economy in ihre überholten Vorläufer
verkehrt. Anders gesagt: Die Installation eines vereinzelten »Old Economy«-Überschurken
und seiner antiquierten, »sichtbaren« Techniken verdeckt die vergleichsweise
»unsichtbaren« Kontrollverhältnisse an den Arbeitsplätzen
der New Economy.
Gerade
weil in Startup-Firmen eine neue, subtilere und komplexere Form von Überwachung
und Kontrolle über Arbeitszeiten, Flexibilität und corporate identity
greift, scheitert »Startup« dreifach. Er verschenkt nicht nur das
Thema und seine Chance als E-Commerce-Thriller, sondern leugnet genau da die
Problematik, wo er sie anzupeilen vorgibt. »Wir können die Kultur
verwandeln!«, prognostiziert Gary Winston einmal. Was »Startup«
nicht weiß bzw. nicht wissen will, ist, daß sie längst verwandelt
worden ist.
Jan
Distelmeyer
STARTUP
AntiTrust/Conspiracy.com
Regie:
Peter Howitt
USA
2001, 119 Min. mit Ryan Phillippe, Rachael Leigh Cook, Claire Forlani,Tim Robbins,
Douglas McFerran, Richard Roundtree
Start:
28.06.2001 Note: 3+
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