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Station
Agent
Finbar
McBride (Peter Dinklage) sitzt auf einer Bank. Er blickt auf eine Brücke
und wartet darauf, den nächsten Zug beobachten zu können - der letzte
kam vor 90 Minuten. Finbars Leben besteht aus Zügen. Er beobachtet Züge,
er sieht Filme über Züge und bis vor kurzem hat er auch in einem kleinen
Spielwarenladen Modelleisenbahnen bemalt. Als sein Freund und Besitzer des Ladens
verstarb, hat er Finbar ein Haus hinterlassen: Ein ehemaliges Zugdepot, mitten
in der Ödnis New Jerseys. Dort wohnt er nun, unternimmt ausgedehnte Spaziergänge
die alten Gleise entlang - und beobachtet die spärlich vorbeikommenden
Züge. Dass er dabei am liebsten alleine wäre, ist Joe Oramas (Bobby
Cannavale) reichlich egal, denn die Gesellschaft von Fin ist für ihn besser
als keine - und die mobile Imbissbude, die Joe direkt vor dem neuen Zuhause
Fins betreibt, hat keine nennenswerte anderweitige Kundschaft.
Tom
McCarthy beobachtet seinen Helden liebevoll und einfühlsam - ohne ihn auf
seine Schauwerte zu reduzieren: Finbar ist klein, sehr klein - nicht größer
als ein Kind. Die Kamera (Oliver Bokelberg) bleibt dabei aber in allen Szenen,
die Finbar zum Mittelpunkt haben, auf seiner Augenhöhe - die Welt, die
dem Zuschauer gezeigt wird, ist so eine Welt der Riesen. Joe oder Olivia Harris
(Patricia Clarkson) sind Riesen, die sich nicht für Finbars exzentrisches
Aussehen, sondern für ihn als Person interessieren - und nach einer langen
Zeit der Annäherung bauen die drei eine intensive Freundschaft auf.
Station
Agent
bietet eine Mischung aus den skurrilen Charakteren der Filme Jean-Pierre Jeunets
und dem langsamen, lakonischen Humor aus den frühen Filmen Jim Jarmuschs.
Die Gespräche zwischen den drei Protagonisten, und mehr noch, das Schweigen
zwischen ihnen, führt zu Situationen voller Komik und Leichtigkeit. Und
der Film schafft es in der Tat, dass man nicht aufhört zu lächeln,
selbst wenn die Geschichte neben ihren Trainspottern und Zwergen einem auch
von Dingen erzählt, die jedem Melodram alle Ehre machen würden: eine
zerbrochene Ehe, ein tödlich verunglücktes Kind oder eine Überdosis
Schlaftabletten - von den Geschehnissen, die von vielen als Tear-Jerker inszeniert
würden, erzählt Tom McCarthy so, als wären sie ganz normale Ereignisse
des Alltags, die es zu überwinden gilt, wie den Kater nach dem Aufwachen.
Station
Agent
wurde sicher zu Recht bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet - darunter
so begehrte wie den Gewinn des Sundance Filmfestivals. Mancherorts wird beklagt,
aus Amerika käme kein echtes Independent-Kino mehr und Sundance sei lediglich
zu einer weiteren Filiale der Hollywoodindustrie verkommen - zusammen mit den
unabhängigen Firmen wie Miramax, die inzwischen ihrerseits hauptsächlich
mit Blockbustern ihr Geld verdienen. Station
Agent
beweist das Gegenteil: Mit kleinem Budget und ohne Stars wurde hier ein Erstlingsfilm
vorgelegt, dessen leiser Charme und Humor zeigen, dass auch in Amerika noch
eine ganze Menge Filmemacher zu finden sind, deren Kino sich auf internationalen
Festivals fernab von Cold
Mountain
oder Monster
behaupten kann. Und ganz nebenbei schafft Station
Agent
auch noch das, was man nie für möglich gehalten hätte: man entwickelt
durch den Film tatsächlich Verständnis für all jene, denen Eisenbahnen
das ganze Leben bedeuten, all jene Trainspotter und Trainchaser. Vermutlich
sind sie gar nicht so anders als die Cineasten, die sich im Kino auf die Suche
machen nach jenen Kleinoden, die nur selten vorbeikommen und auf die man trotzdem
so geduldig wartet: Kleinode wie Station
Agent.
Benjamin
Happel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Station
Agent
USA
2003 - Originaltitel: The Station Agent - Regie: Tom McCarthy - Darsteller:
Peter Dinklage, Patricia Clarkson, Bobby Cannavale, Michelle Williams, Raven
Goodwin, Paul Benjamin, Jase Blankfort - FSK: ohne Altersbeschränkung -
Länge: 88 min. - Start: 10.6.2004
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