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Staub
Wann haben Sie zuletzt über Staub nachgedacht?
Staub weggewischt, okay, aber über Staub nachdenken, philosophisch, historisch,
filmisch? Der Film-Essayist Hartmut Bitomsky, der schon Lehrfilme über
politische Ökonomie („Die Teilung aller Tage“), das Kino („Das Kino und
der Tod“), Architektur („Imaginäre Architektur – Der Baumeister Hans Scharoun“,
fd 31 535) und Waffensysteme („B-52“, fd 35 564) gedreht hat, wählt den
Superlativ zum Einstieg in seinen Film, wenn er aus dem Off ankündigt:
„Staub ist das kleinste Objekt, von dem ein Film handeln kann.“ Entscheidend
ist dabei die Grenze zur Sichtbarkeit, die übrigens auch die Beziehung
zum Film stiftet: „Film, das ist Staub, der in der Dunkelheit des Kinos aufleuchtet!“
Anschließend schreitet Bitomsky den Themenkomplex
ab – und wer zuvor dem Staub höchstens beim Hausputz Aufmerksamkeit geschenkt
hat, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, weil offenkundig Millionen Jobs,
Passionen, Forschungsprojekte sich weltweit mit nichts anderem als dem Staub
in seinen vielfältigen Ausprägungen beschäftigen. „Staub zu entfernen
ist eine Arbeit und ein Geschäft!“, lautet Bitomskys lakonischer Kommentar.
Und wenn die Reinigungskräfte nach Dienstschluss oder kurz vor Arbeitsbeginn
andere Arbeitsplätze in den Büros vom Staub befreien, dann ähnelt
ihre unsichtbare Arbeit dem Objekt. Im Folgenden geht es um die Beseitigung
von Staub, um die Erforschung der Gefahren des Staubs (Stichworte: Asbest, Feinstaub)
und über die Schönheit, die durch Staub erst möglich wird, wenn
Pigmente produziert werden oder farbiger Wüstenstaub von seiner Herkunft
erzählt. Man sieht auch, dass in Kunstmuseen ebenso gegen den Staub gekämpft
wird wie in mikroelektronischen Industrien – und erfährt, dass Mensch und
Staub in Symbiose leben. Die Arbeit am, der Kampf gegen den Staub kommt niemals
zu einem Ende.
„Staub“ handelt von einer Sisyphos-Erfahrung, nämlich
von der Erfahrung der Unmöglichkeit, Staub restlos zu entfernen. Und Bitomsky
zitiert mit diesem Widerständigen durchaus sympathisierend den Schriftsteller
Raymond Queneau, der sagte: „Es bleibt immer ein Rest und ein Rest vom Rest!“
Bilder vom aussichtslosen Kampf gegen den Staub findet der Filmemacher überall:
Sei es die Hausfrau, die sich selbst als „Putzteufel“ bezeichnet und die die
Rückwand ihres Fernsehers abschraubt, um auch im Innern des Gerätes
den Kampf mit Pinseln fortzusetzen, seien es die im Sandsturm die Orientierung
verlierenden Reiter, die Bitomskys in Viktor Sjöströms „Der Wind“
(1927) entdeckt hat, seien es die technologischen Innovationen der Staubsauger-Produktion,
deren Credo noch immer lautet: „Wir müssen wegkommen vom Hausstaub!“
Man kann den Kampf gegen den Staub aber auch aufgeben
und anfangen, ihn zu sammeln, zu katalogisieren und ihn als Blindgänger
der Evolution, angesiedelt zwischen Biologie und Physik, bewundern lernen. Weil
Mensch und Staub so eng miteinander leben, kommen Themengebiete wie Krieg, Geschichte
und Ökologie ins Spiel; so erinnert Bitomsky an die „Dust Bowl“-Katastrophe
der 1930er-Jahre in den USA, die ihrerseits wieder zu Kunst wurde – in der Fotografie,
in Romanen und Filmen. „Ich hatte vorher keine Ahnung, wie viele Leute sich
mit Staub beschäftigen“, erzählt eine Künstlerin, die eines Tages
begann, sich für Staub zu interessieren – und heute mit einer Kollegin
schrulligen Staub-Surrealismus malt oder Staubfänger kreiert, die theoretisch
für 16.500 Jahre Staubgenerationen reichen müssten.
Ob Gebäudereinigung, Wissenschaft, Kunst oder
Science Fiction: Hat man „Staub“ gesehen, könnte man denken, die ganze
menschliche Existenz, ja das ganze Universum kreise um den Staub. Sterne entstehen
durch Staub, der Abriss von Gebäuden produziert Staubwolken: „Der Staub
ist der Bodensatz der Schöpfung“, heißt es an einer Stelle, aber
das scheint da schon eine Untertreibung. Und Hartmut Bitomsky wäre nicht
Hartmut Bitomsky, fänden nicht auch ein Ausschnitt aus John Fords „Westlich
St. Louis“ (fd 14 146) etwas Countrymusik und hintergründiger Humor den
Weg in diesen Versuch, das nahezu Unsichtbare sichtbar zu machen. Irgendwann
sieht man kurios vermummte Menschen beim Säubern eines Reinraums, dessen
von Staub befreite Luft für die Produktion von Mikrochips und Kleinstmaschinen
notwendig ist. Die Menschen, die hier fast meditativ ihrer Arbeit nachgehen,
sind die Träger der neuer Verschmutzung. Bitomskys luzider Off-Kommentar
arbeitet die Pointe seines Films anschaulich heraus: „Die Menschen sind hier
unerwünscht. Ihre Anwesenheit gefährdet die Produktion.“ Um dann mit
dem Blick auf diesen (fast) sterilen Arbeitsplatz zu sagen: „Noch ist dies nicht
der letzte Arbeitsplatz. Aber er sieht jetzt schon so aus.“
Gegen diese Dystopie hilft nur ein Gang ins Kino,
am besten in einen Western, wo sich die Menschen nach langen Ritten durch staubige
Steppen nach etwas Wasser sehnen. Darüber ein blauer Himmel, aber der stammt
nicht von John Ford, sondern von Hartmut Bitomsky. Staub – la lotta continua.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: film-Dienst
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Staub
Deutschland / Schweiz 2007 - Regie: Hartmut Bitomsky - Darsteller: (Mitwirkende) Cornelia Hoepfner, Marga Beck, Ayni Iloar, Srecko Kekec, Martin Schacht, Michaela Preuss - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 90 min. - Start: 21.2.2008
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