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Stirb
langsam
Actionfilme
haben in Bestenlisten für gewöhnlich nichts verloren. Auch wenn oder
vielleicht gerade weil sie zu den profitabelsten Genres im Business Film zählen.
Tiefgehende Charakterporträts sind ihnen fremd, weil der schnelle Aufbau
eines aufregenden Plot-Motivs nach funktionalen Stereotypen verlangt, und Innovationen
in der Inszenierung hängen für gewöhnlich mit Special-Effects-Revolutionen
zusammen - weshalb auch nur Titel wie "Terminator
2"
oder "Matrix"
eine langfristige Halbwertzeit aufweisen, während die restliche Genreware
zumeist schnell wieder in Vergessenheit gerät. Doch auch im Actionbereich
gibt es - den Gesetzmäßigkeiten und Beschränkungen des Genres
folgend - eine Handvoll Ausnahmewerke, die den Actionfilm in ihrer Weise revolutionierten.
Und eines der wichtigsten ist in dieser Hinsicht ohne Zweifel "Stirb langsam".
Wie
eine Blaupause aus dem Produzenten-Handbuch für Filmhits kommt "Stirb
langsam" daher als Paradebeispiel eines "concept movie": Ein
Film, der nicht mit seiner Handlung oder seinem Star, sondern mit seiner Prämisse
lockt, dessen Inhalt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen lässt.
In der Tat ist das Mini-Konzept von "Stirb langsam" - ein Mann kämpft
in einem Wolkenkratzer allein gegen eine Gruppe Terroristen - einer der größten
Geniestreiche dieser Art: Sofort verständlich, sofort interessant, sofort
faszinierend. Und so erfolgreich, dass der Film längst zur Allgemeinfolklore
jedes Filmenthusiasten und Videofreaks zählt.
John
McClane, ein New Yorker Polizist, der zu Weihnachten seine aus beruflichen Gründen
nach L.A. gezogene Frau besucht, und statt in den erwarteten neuen Ehestreit
in eine handfeste Geiselnahme platzt, ist - auch dank zweier Fortsetzungen -
inzwischen eine der markantesten Action-Ikonen. Und das aus gutem Grund, denn
mit "Stirb langsam" wurde nicht nur die Superstar-Karriere von Hauptdarsteller
Bruce Willis eingeläutet, sondern auch ein neuer Typ des Actionhelden aus
der Taufe gehoben.
In
einem Jahrzehnt, das bis dato von den ebenso unverwüstlichen wie emotionslosen
Muskelmachos Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone und Chuck Norris beherrscht
worden war, führte Produzent Joel Silver den "accidental hero"
ins Actionfach ein - der Jedermann, der zur falschen Zeit am falschen Ort ist
und unter außergewöhnlichen Umständen über sich hinaus
wächst. Eine Figur, mit der sich die Zuschauer wesentlich schneller identifizieren
können als mit einem muskelbepackten Übermenschen. John McClane tritt
auf als Familientyp mit seinen eigenen privaten Problemen, und wird schon in
der ersten Szene als Mensch mit Schwächen portraitiert - bei der Landung
seines Flugzeuges klammert er sich nervös an seinen Sitz, um dann von seinem
Nachbarn ein gutes Mittel gegen Flugangst verraten zu bekommen: Wenn man angekommen
ist, Schuhe ausziehen und die Zehen zu Fäusten ballen. Eine Szene, die
sehr schön vor Augen führt, wie Drehbücher zu "concept movies"
wie diesem entstehen: Sie entwickeln sich rückwärts von den guten
Ideen aus, oder wie der Fachmann sie nennt: "Money shots".
"Money
shots" sind das Lebenselixier eines jeden visuell dominierten Films: Solche
Szenen, die hervorstechen, sich in der Erinnerung der Zuschauer festsetzen,
für Gesprächsstoff sorgen, im besten Falle sogar berühmt werden.
"Stirb langsam" hat eine ganze Auswahl an "Money shots"
- wie die Bürostuhlbombe, oder McClane's Flucht durch den Fahrstuhlschacht,
oder seine trockene Botschaft "Now I have a machine-gun, hohoho",
oder sein halsbrecherischer Sprung vom Dach, gesichert einzig mit einem Feuerwehrschlauch
- aber der prägendste und am besten vorbereitete ist sein von Scherben
aufgeschlitzter Fuß, nachdem McClane's einziger Ausweg aus einer Schießerei
durch einen Boden voll zersplittertem Glas versperrt war. Man kann sich den
Entstehungsprozess dieser Szene im Kopf des Autors vorstellen: Von der Idee
einer barfüßigen Flucht durch Scherben zur Erklärung, warum
der Held den ganzen Film über ohne Schuhe rumläuft, zur Szene, in
denen die Terroristen von der Schuhlosigkeit erfahren. In diesen Momenten erweist
sich "Stirb langsam" auch als ein sehr gut geschriebener Actionfilm,
der gewissenhaft strukturiert ist, mit kleinen Details geschickt Stimmung erzeugt
(als Oberganove Gruber den Konzernchef Takagi erschießt, reicht der Hacker
Theo einem Co-Terroristen einen Geldschein - nur wirklich eiskalte Gangster
schließen Wetten über eine mögliche Exekution ab), und die so
wichtigen prägnanten One-liner einstreut ("Yipiyahe, Schweinebacke!").
Besagte
Szene mit McClane's kaputtem Fuß zeigte den Protagonisten schließlich
nicht nur als unfreiwilligen, sondern auch verletzlichen Helden. War ein Schwarzenegger
unmöglich kaputt zu kriegen, ist McClane am Ende des Films fast ein Wrack:
Heftig blutend, angeschossen, das berühmt gewordene Feinrip-Unterhemd vollkommen
verdreckt - ein Protagonist, der sichtlich gelitten hat, und sich sein Happy
End wahrlich verdient. So wurde John McClane zum Prototyp des neuen Action-Helden:
Ein Macho alter Schule, aber mit Herz und Schmerz.
"Stirb
langsam" setzte indes nicht nur Akzente beim Helden, sondern auch beim
großen Bösewicht. Alan Rickman's Vorstellung als Terroristen-Anführer
Hans Gruber (im Original sind die meisten Gangster Deutsche, nur in der Synchronfassung
wurde die Truppe deutlich internationaler und der Anführer in Jack umbenannt)
ist geradezu legendär, seine absolute Eiseskälte vom ersten bis zum
letzten Auftritt so beeindruckend, dass die Rolle bis heute Maßstäbe
setzt. Einen so frostig-genialen Fiesling sucht man im Actiongenre lange, und
vergeblich. Gruber ist dabei auch eine brillante Ikone seiner Zeit: Seine sachliche
Erwiderung "Wer sagt, dass wir Terroristen sind?" als sich Takagi
wundert, dass die Gruppe lediglich hinter dem Inhalt des Tresorraums her ist,
etabliert Gruber als "essentially 80's": Sämtliche politischen
Ideale abgelegt (und dementsprechend emotionslos) ist er nur noch am schnöden
Mammon interessiert. Vielleicht ist er auch deshalb ein besserer Bösewicht
als viele, die danach kamen: Die meisten Antagonisten haben ein Motiv von entweder
ideologischer oder persönlicher Natur, und das macht sie angreifbar. Gruber
will nur Geld - und schert sich deshalb auch um nichts und niemanden.
Und
noch ein Action-Stereotyp drehte "Stirb langsam" eine Nummer weiter:
Sämtliche angeblich hilfreiche Institutionen erweisen sich in Actionfilmen
regelmäßig als vollkommen nutzlos und machen grundsätzlich immer
das falsche - große Polizeiaufgebote ebenso wie das Militär. Das
ist in "Stirb langsam" nicht anders, da hier der Polizei-Sesselfurzer
Dwayne T. Robinson (Paul Gleason, der Schuldirektor aus "Breakfast
Club",
in seinem zweiten Auftritt als essentieller Depp der 80er) einzig eingeführt
wird, um als Plotkatalysator die Lage unnötig zu verkomplizieren. Doch
die "nutzlosen guten Jungs" sind nicht nur Teil des Problems, sondern
auch Teil der Lösung: Hans Gruber kann sich so sehr auf das stupide Standardschema
zur Terroristenbekämpfung des FBI verlassen, dass sogar sein ganzer Plan
davon abhängt: Als die Agenten-Karikaturen Johnson und Johnson auftauchen
und den Strom im Nakatomi Tower abdrehen, öffnen sie damit das letzte Tresor-Schloss,
und die Gangster sind am Ziel.
"Stirb
langsam" ging neue Wege im Actiongenre, ohne dadurch irgendwie weniger
konsumierfreundlich zu werden, aber genug, um heute in filmtheoretischen Vorlesungen
Erwähnung zu finden, die sich mit "postklassischem Kino" beschäftigen.
Der Actionfilm war danach jedenfalls nicht mehr derselbe: Nicht nur hinterließ
John McClane Spuren an beinahe allen Genre-Helden, die nach ihm kamen, vor allem
das ebenso einfache wie kongeniale Konzept des Einzelkämpfers auf begrenztem
Raum (die Fachliteratur nennt es Action-Kammerspiel) erfreute sich in den Folgejahren
enormer Beliebtheit, so dass zahlreiche "concept movies" der 90er
selbst in ihren eigenen Werbekampagnen direkt auf diesen Ursprung Bezug nahmen:
"Alarmstufe: Rot" (Stirb langsam auf einem Kriegsschiff) und "Alarmstufe:
Rot 2" (Stirb langsam in einem Zug), "Speed"
(Stirb langsam in einem Bus) und "Speed 2" (Stirb langsam auf einem
Kreuzfahrtdampfer), "Einsame Entscheidung" (Stirb langsam in einem
Flugzeug), "The
Rock"
(Stirb langsam auf Alcatraz), und so weiter. Die qualitätsbewussten Cineasten
mögen "Stirb langsam" nicht als einen der großartigsten
Filme aller Zeiten akzeptieren, er ist aber (zumindest für sein Genre)
definitiv einer der wichtigsten - und besten.
F.-M.
Helmke
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Stirb
langsam
die
hard
usa
1988
132
min.
regie:
john mctiernan
drehbuch:
stephen e. de souza, jeb stuart
cast: bruce willis,
alan
rickman,
bonnie
bedelia,
reginald veljohnson,
paul gleason, u.a.
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