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Stranger on the Third Floor
Hawks
sagte, ein guter Film bestünde aus drei guten Szenen und keiner einzigen
schlechten. Der B-film
noir Stranger on the Third Floor hat
eine großartige, die eine oder andere schwache, aber eine ganze Menge
hübscher kleiner Momente. Auch fair, möchte ich behaupten.
Sollte
jemand den Versuch unternehmen, eine ausführliche Physiogonomie des amerikanischen
Films zu erstellen, dann käme er im Kapitel "Loser" am traurigen
G’schau zweier verwandter Gesichter nicht vorbei: an William H. Macy (der gehörnte
Affektmörder seiner Frau in Boogie
Nights,
der rührend unfähige Intrigant in Fargo,
der hilflose hitman
in Panic)
und an Elisha Cook jr. (der gehörnte Affektmörder seiner Frau in The
Killing,
der rührend unfähige Intrigant in The
Big Sleep,
der gedemütigte gunsel
in The
Maltese Falcon).
Der
eine arbeitet in den "Independent"-Außenbezirken des Hollywood-Kinos
überwiegend im Fachgebiet des melancholischen, erniedrigten Weichlings,
ausgerüstet mit profundem Dackelblick und den anrührenden Gesichtszügen
eines vergreisten (oder zumindest ver-midlife-cris-ten)
Kindes. Der andere war im Hollywood der 40er und 50er dessen (den Anforderungen
des film
noir entsprechend)
überhitztes, glubschäugiges Pendant.
An
beider Erscheinungen lässt sich etwas Gemeinsames an diesen beiden Filmzyklen
ablesen: Ihre gequälte Präsenz, ihr unglamouröses (wenn auch
oft melodramatisches) Leiden und ihr nicht selten unrühmliches Ende lassen
eine Ahnung von etwas zu, das den Abstand dieser beiden Lesarten der Welt zum
Prinzip Hollywood ausmacht: eine Ambivalenz, eine innere Spannung der Welt,
die sich nicht mit den Handlungsknoten wieder auflöst.
Hier,
in Stranger
on the Third Floor, darf
Cook als unschuldig zum Tod verurteilter junger Herumtreiber mit panisch aufgerissenen
Augen "I didn’t do it! I didn’t do it!!!" in den Gerichtssaal kreischen.
In der überglücklichen Schlussszene gibt sich der Film zwar ordentlich
Mühe, ihn und uns für derlei Strapazen zu entschädigen. Nutzt
aber alles nicht mehr viel, wenn man vorher so vergnüglich in Abgründen
gestochert hat: Ein junger Journalist sagt zu seinem finanziellen Vorteil in
einem Mordprozess als Schlüsselzeuge bloß aus, was er gesehen hat,
und damit bringt er einen Unschuldigen in die Todeszelle. Peter Lorre zieht
als Mörder im Auftrag des Freud’schen Es durch den Film. Dem Journalisten
dräut inzwischen, wie viele Gründe er hätte, seinen Nachbarn
umzubringen, und schließlich erlebt er in einer hinreißend vulgär-surrealistischen
Wahnphantasie seine eigene Fehl-Verurteilung zum Tode.
Man
sollte die integrative Kraft des klassischen Hollywood-Kinos natürlich
nicht unterschätzen, die das alles in geordnete narrative Bahnen leitet,
psychologisiert und befriedet. Aber dass es Konflikte gibt, die sich durchs
Handeln nicht auflösen lassen, dass es eine Schuld gibt, die nicht durch
klar definierte Übertretung verursacht ist, dieses beunruhigende Wissen
bohrt hier trotzdem am Selbstverständnis des amerikanischen Erzählfilms.
Das ist es auch, mehr als all die dick aufgetragene expressive Beschattung oder
das Zersplittern der Zeit- und Realitätsebenen, was Stranger
on the Third Floor
dieses 1940 von RKO produzierte, 64-minütige B-Filmchen als Vorhut des
film
noir
ausweist.
Der
Verdacht, dies wäre tatsächlich der allererste amerikanische film
noir,
wie er seit den späten Siebzigern gerne geäußert wird, will
freilich nicht nur auf eine kleine historische Korrektur (1940 als Anfang der
Ära des klassischen amerikanischen film
noir,
statt 1941 mit John Hustons The
Maltese Falcon)
hinaus, sondern auf eine grundlegende Revision der Filmkanonisierung, wie sie
sich an diesem Film eben recht gut nachvollziehen lässt: Der film
noir,
dieses Cinephilen- und Auteuristen-Genre par
excellence,
diese wunderbare Möglichkeit (wie es Marc Vernet sarkastisch auf den Punkt
bringt), "die USA zu lieben, während man sie kritisiert, oder genauer:
zu kritisieren, um sie lieben zu können", erscheint hier nicht mehr
als der Zögling eigensinniger auteurs
(John
Huston, Billy Wilder) inmitten einer konformistischen Industrie, sondern als
Produkt eben dieser Industrie. Stranger
on the Third Floor ist
zum Herausfiltern einer individuellen vision
du monde ebenso
ungeeignet wie Boris Ingster, sein Regisseur, zur auteuristischen Mythenbildung.
Nicht einmal ein profilierter Spielleiter vom Schlage eines Michael Curtiz oder
Vincente Minnelli ließe sich machen aus diesem Handwerker in mehreren
Disziplinen, dessen filmhistorisch zweitwichtigster Beitrag nach diesem Film
wohl die Mitarbeit am Drehbuch zu Fritz Langs Spionage-Nebenwerk Cloak
and Dagger
ist.
Nicht,
dass Ingsters Regie negativ auffällt, aber die Reize dieses Films verweisen
hier nicht mehr dringlich auf die Hand eines Meisters zurück. Wo Stranger
on the Third Floor gut
ist (und das sind nicht wenige Stellen), da aufgrund kleiner Attraktionen, die
sich nur bedingt in eines großes Ganzes einfügen: der erwähnte
Albtraum das Protagonisten; Elisha Cooks gequälter Blick; Peter Lorres
zu Beginn kryptisch dämonisches Auftreten; eine kleine, hübsch formalistisch
aufgelöste (oder eher: verdichtete) Sequenz, in der die Geliebte des Protagonisten
den wahren Schuldigen sucht; das sich konsequent steigernde chiaroscuro
von Beschattungs-Fachkraft Kameramann Nicholas Musuraca (The
Magnificent Ambersons,
Cat
People,
Out
of the Past);
und die Perfidität, mit der die Handlung die schlimmsten paranoiden Ängste
seines Protagonisten bestätigt. Hier setzt es so lange (nicht ununterbrochen,
aber sehr effektiv) routinierte, variantenreiche Abwegigkeiten, bis der Fluss
sinnstiftenden Erzählens nur mehr sehr bedingt mit der allenthalb eskalierenden
Überspanntheit mithalten kann.
Und
diese entsteht hier nicht aus dem Kopf eines subversiven Künstlers, der
Hollywoods Erzählstrategien heraus- und überfordert. Bastard aus deutschem
Expressionismus, Val Lawtons Suggestiv-Horror, Krimidrama und einem Schuss Journalistenkomödie,
ist dieser Film zielsicher auf seine Verwertung als B-Movie mit klar differenziertem
Profil hinkonstruiert: Auf eben diese preisgünstige wie am damaligen amerikanischen
Markt ungewohnte Expressivität und Abgründigkeit nämlich, die
Stranger on the Third Floor
noch heute bemerkenswert macht.
Wir mögen, wenn wir ihn mögen, an diesem Film nicht bloß seine Abweichung von unserer Vorstellung von Hollywood, sondern auch einen Professionalismus, eine immense Ansammlung an organisiertem (und natürlich auch in einem künstlerischen Sinn oft vergeudetem) Talent, die es ermöglichte, solche Filme in kurzer Zeit mit wenig Aufwand zu drehen. Und wir sollten bloß nicht glauben, Hollywood hätte uns als Zielgruppe übersehen...
Diese Kritik
ist zuerst erschienen in:
Stranger
On The Third Floor
USA
1940
64
Minuten
Regie:
Boris Ingster
Drehbuch:
Frank Partos
Darsteller:
Peter
Lorre .... The Stranger
John
McGuire .... Michael 'Mike' Ward
Margaret
Tallichet .... Jane
Charles
Waldron .... District Attorney
Elisha
Cook Jr. .... Joe
Briggs
Charles
Halton .... Albert Meng
Ethel
Griffies .... Mrs. Kane, Michael's Landlady
Cliff
Clark .... Martin
Oscar
O'Shea .... The Judge
Alec
Craig .... Briggs' Defense Attorney
Otto
Hoffman .... Charles Evans, the Police Surgeon
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