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The
Stratosphere Girl
"Every
line leads to somewhere" - "In a comic everything is possible."
- "Every comic has a hero on a mission. Hero is a word for what you think
is right." Mit
Sätzen wie diesen charakterisiert die jugendliche Angela (Chloé
Winkel) zu Beginn (und im weiteren Verlauf) von The
Stratosphere Girl
ihre Comiczeichnungen. Sie gibt damit auch eine Anleitung preis, wie diesem
Film, der von Anfang an klar ersichtlich als entweder fertiger Comic oder aber
als dessen Schaffungsprozess angesehen werden darf, zu folgen ist: Kohärenz
des Plots ist nebensächlich, es zählt die Kraft der Phantasie, die
wiederum freilich dann doch gewissen Genrekonzessionen verpflichtet ist. Angela
ist Zeichnerin wie Heldin der Geschichte und genießt somit das Privileg,
sich selbst nützliche Ratschläge geben zu können, die indes nicht
immer auch beachtet werden. Ein charismatischer DJ aus Tokio (John Ng) zieht
sie in einer jener magischen Nächte, in denen alles möglich scheint
und also somit Lebensentwürfe neu konzipiert werden, in seinen Bann. Und
dann sitzt sie auch schon im Flugzeug nach Tokio, wo sie Yamamoto, so sein Name,
wiedersehen will, wozu er sie auch eingeladen hat, sie könne ja dort in
der Metropole ihren Lebensunterhalt als Hostess eines, wie sich erst später
rausstellt, eher zwielichtigen Abendbegleitungsservice verdienen. Doch die Stadt
ist fremd, Yamamoto nicht erreichbar, und die WG mit lauter nicht nur wohlgesonnenen
Kolleginnen, in der sie landet, eng und überfüllt. Alsbald stößt
sie auf ihrem ziellosen Weg durch die neonlichtilluminierte Stadt auf Spuren
einer seit kurzem vermissten Hostess, Larissa, deren Schicksal aufzuklären
sie sich als Heldin zur Mission macht. Als sich hinter den Fassaden eine Unterwelt
auftut, deren Zusammenhänge sie in ihrem Comic beschreibt, welcher natürlich
den dubiosen Gestalten in die Hände fallen wird, scheint sie, nachdem sie
Larrisas Schicksal aufgeklärt zu haben meint, ihres Lebens in der Stadt
nicht mehr sicher. Letzte Hoffnung bleibt ein einziges Comic-Regularium: "Heroes
can't die, `cause who would then complete their missions"?
Zwei
Filme kommen beim Zuschauen unentwegt in den Sinn: Sofia Coppolas traumähnlicher
Lost
in Translation
(USA 2003) und David Lynchs Blue
Velvet
(USA 1986). Nicht gerade die besten Karten für einen Film, der sichtlich
darum bemüht ist, eine eigene Semantik zu entwickeln, um die aus hochsubjektivierter
Perspektive erzählte Geschichte ästhetisch aufzulösen. Gerade
zu Beginn, wenn das dichte Tokio, nach knapper Exposition in Europa, zur bestimmenden
Kulisse wird, ähnelt man in seinen traumwandlerischen Streifzügen
per Auto oder per pedes durch die Stadt doch recht frappant Sofia Coppolas jüngstem
Film. Der Vorwurf des bloßen Plagiats zielt zwar ins Leere - beide Filme
wurden in etwa zeitgleich produziert -, doch schafft es The
Stratosphere Girl
zu diesem Zeitpunkt kaum, aus dem Schatten (und der Klasse) des anderen Films
zu treten. Erst als der Plot sich zunehmend wandelt und weg kommt von der Poesie
aus Neonlicht-Fassaden und Exotismus, wenn er sich mehr und mehr als Thriller
zu erkennen gibt, bekommt man Lost in Translation aus dem Kopf, nur um dann
wiederum wenig später bloß Lynchs bizarres Meisterwerk der 80er Jahre
vor Augen zu haben (auch wenn allzu Schmieriges in Obergs Film bestenfalls angedeutet
wird, nie aber im Bildkader so etwas wie Repräsentanz erfährt). Etwas
verhalten, beinahe schon verträumt naiv entfaltet sich hinter den Oberflächen
von gediegener Abendclubatmosphäre, mehr oder weniger offenem Rivalinnentum
um die reichsten japanischen Geschäftsmänner und der Glitzerplastikatmosphäre
eine kleine, abgründige Welt, in der Zuhälter böse tun, Yakuza-Bosse
böse kucken und Sex böse aussieht (letzten Endes aber alles nie wirklich
glaubhaft böse und somit abgründig ist).
Die
Auflösung dieses, zumal für Genrekenner eher leicht gestrickten Knotens
entspricht dann auch den Vermutungen des geschulten Zuschauers von gleich zu
Beginn: Könnte alles ja auch ganz anders sein. Vielleicht sehen wir nur
Assoziationen eines mit dem Discman durchs Zimmer tanzenden Mädchens, welches
vielleicht gerade zuvor einen spannenden Film gesehen hat. So erklärt sich
denn auch final, mit eben diesem Bild im Abspann, die immer etwas seltsam verschämte
Atmosphäre des Films: Eigentlich ist das alles nur Mädchenkitsch aus
dem Jugendzimmer. Das ist an sich noch gar nichts Schlechtes. Sofia Coppolas
Filme sind schließlich auch nichts anderes. Nur beide Jugendzimmer sind
dann eben doch unterschiedlich eingerichtet: Bei Coppola finden wir orangefarbene
Plastikplattenspieler, verkratzte Vinylsingles auf einem fusseligen Flokati
und dann noch Lackschuhe, deren abgeplatzte Stellen hastig mit schwarzem Filzer
übermalt wurden. In The
Stratosphere Girl
indes riecht alles nach Dachzimmer mit Schräge, Ikea-Nachttischlampe, Bravo-Hits-CDs
und einem Blick in den sauberen Garten, wo Muttern gerade die Hecken schneidet.
Etwas Abenteuerkolorit für's Reihenhaus, wie schade um die teils ja sogar
wirklich sehr schönen Bilder.
Thomas
Groh
Diese
Kritik wurde zuerst veröffentlicht im:
The
Stratosphere Girl
(Deutschland 2003)
Regie/Drehbuch:
Matthias X. Oberg
Darsteller:
Cloé Winkel, John Ng, Tara Elders, Mette Louise Holland, u.a.
Länge:
85 Minuten
Ab
9.9.2004 in deutschen Kinos
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