zur startseite
zum archiv
Straw Dogs
Als argloser Mathematiker verteidigt
Dustin Hoffman Männlichkeit und Zivilisation gegen hinterwäldlerische
Dorfbewohner, nur muss er sie dafür erst umbringen. Straw Dogs, Sam Peckinpahs
nihilistisches Meisterwerk um instabile Geschlechterverhältnisse, ist hierzulande
jetzt erstmals ungekürzt erhältlich.
Ein Mann hantiert unbeholfen mit
einem Gewehr herum und zielt auf Rebhühner. Der Hügel, auf dem er
steht, positioniert ihn im Bild selbst als Beute, umkreist von mehreren im Dickicht
verteilten Jägern, die ihn mit abfälligen Blicken anvisieren. Zwischenschnitte
zeigen einen Geschlechtsakt, der als Vergewaltigung beginnt, sich aber in einer
erotischen Spannung entlädt, vor der die Frau schließlich kapituliert.
Zurück auf dem Hügel: Der Mann konnte in der Zwischenzeit endlich
ein Tier erlegen, betrachtet sein Opfer aber mit Reue. Hieran fehlt es dem nächsten
Vergewaltiger, den ein weiterer Schnitt zeigt, wie er die nunmehr panische Frau
missbraucht.
Die oben beschriebene, virtuos
montierte Szene aus Sam Peckinpahs Straw Dogs – Wer Gewalt sät (Straw
Dogs) sowie
dessen Klimax sorgte 1971 für die Fortführung einer Kontroverse über
explizite Gewaltdarstellungen, die bereits in den späten sechziger Jahren
mit heute gleichermaßen etablierten Klassikern wie Bonnie
und Clyde
(Bonnie and Clyde, 1967) und Peckinpahs Western The Wild Bunch (1969) begann. Straw Dogs fand sich danach in vielen Ländern auf dem Index wieder.
Seine ungekürzte Fassung wurde in Großbritannien erst 2002 zugänglich
gemacht, nun zieht der deutsche Verleiher nach.
Peckinpah beginnt seine Gordon-Williams-Adaption
zunächst mit der Festlegung einiger Oppositionen, die in ähnlicher
Form dem Westerngenre zugrunde liegen. Die Rolle des zivilisierten Vernunftmenschen
erfüllt der Mathematiker David Sumner (Dustin Hoffman), der mit seiner
Frau Amy (Susan George) in deren Heimatdorf in Cornwall zieht. Die entgegengesetzte
Bedrohung des Barbarischen manifestiert sich in den männlichen Dorfbewohnern,
sogar in der Szenerie von Cornwall selbst, die Peckinpah dem gängigen Postkartenklischee
zum Trotze als tristes Brachland darstellt. Überdies teilt Straw Dogs einige der Motive des amerikanischen
Backwoodslashers. Die Dorfgemeinde erscheint rückständig und vormodern,
größtenteils bevölkert von unheilvollen, teils debilen Gestalten,
deren Handlungen stets dem Instinkt verhaftet sind und somit in ihrer Unberechenbarkeit
bereits die Möglichkeit einer Eskalation andeuten. So ist es auch in erster
Linie ein konstanter psychologischer Terror, den Peckinpah als Unterton seines
Filmes verankert.
Es verwundert zunächst nicht,
dass David, zumal Amerikaner, im Dorf wie ein Aussätziger behandelt wird.
Dass der bekennende Pazifist am Ende einen nach dem anderen der in sein Haus
eindringenden Dörfler, die ‚reuigen Hunde’ des Titels, mit graphischem
Einfallsreichtum umbringen wird, genauso wenig. Peckinpah treibt Davids Ausbruch
und die Demontage seines Selbstverständnisses mit einer stringenten Logik
voran, die auch Horror- und Thrillerfilmszenarien unterliegt. Gegenwehr wird
hier angesichts irrationaler Vorgänge meist zur zwingenden Notwendigkeit,
und in Straw
Dogs drückt
sich in dieser Unabdingbarkeit auch die nihilistische Tendenz aus, die Peckinpah-Filmen
eigen ist. Straw
Dogs ist
aber weitaus mehr als ein pessimistisches soziologisches Experiment über
die These, Gewalt produziere Gegengewalt. Der Katalysator für Davids Wandlung
ist noch anderswo zu verorten, sieht sich ihre Veräußerlichung doch
in der Beziehung zu Amy angelegt.
Die
erste Einstellung von Amy in Straw Dogs ist ein Close-Up, eine Subjektive auf ihre Brüste, die sich
mangels BH klar abzeichnen. Ein Bild, das sie mit der Form einer liberaleren,
aber auch freizügigeren Sexualität, mit der die späten sechziger
Jahre identifiziert werden, assoziieren. Als bewusstes Objekt der Blicke und
Begierde der männlichen Cornwaller weiß sie sich auch zum Missfallen
Davids oft zu inszenieren, was viele Kritiker damals als selbsterklärende
Ermutigung einer Vergewaltigung lasen. Nach dieser Deutung erhält Amy,
und mit ihr ein bestimmtes historisches Frauenbild, die Quittung für einen
vermeintlich provokativen Umgang mit Männern.
Das Spiel der Blicke, das Peckinpah
in Straw
Dogs mit
seiner subjektiven Kamera und fließenden, dann wieder fragmentarischen
Montage immer wieder entfacht, ist jedoch ein derartig komplexes, dass es solch
reduzierte Ansätze unterläuft. Die Position von Amy im Blickfeld der
Dörfler wechselt zunehmend. Mal ist sie kontrollierende, einladende Instanz,
dann entgleitet ihr diese Autorität. Eine Tatsache, die ihre Vergewaltigung
als traurige Konsequenz erscheinen lassen muss, nur dass man Handlungshergänge
nicht mit derselben Bestimmtheit berechnen kann wie die Wahrscheinlichkeiten,
denen sich David als Mathematiker widmet. So ist es letztendlich auch ein komplizierter
Diskurs über die Idee des Opfers, den Peckinpah in Straw Dogs effektiv und gehörig ambivalent führt.
Die beiden Fronten, die in dem zaghaften David und den rohen Cornwallern
aufeinander treffen, entsprechen letztlich zweierlei Entwürfen von Maskulinität.
Überdies deutet Peckinpah anhand einer Reihe von Provokationen, die Amy
als Affront gegen Davids männliche Integrität konzipiert, schon früh
an, zu welcher Variante sie sich mehr hingezogen fühlt. Der eheliche Akt
vollzieht sich dann auch eher spielerisch, bar jeder Erotik, und steht in verstörendem
Kontrast zu der sexuell aufgeladenen Schlüsselszene des ersten Missbrauchs.
Die Ehe und Kompatibilität der Sumners werden zudem in unzähligen
Szenen von Peckinpah in Frage gestellt. Straw Dogs’ männlicher Protagonist – und hierin unterscheidet er sich
grundlegend von einer nicht nur dem Western eigenen traditionellen Figur des
patriarchalischen Helden – definiert sich lediglich über den Intellekt
und lässt zum Bedauern Amys jegliche Statur vermissen. Daran ändert
auch der Initiationsritus der Jagd zunächst nichts, dem David zum Schein
unterzogen wird.
Nach dieser Logik müsste
er im gnadenlosen Finale des Films als Held hervorgehen. Dass dies nicht der
Fall ist, liegt an der Durchlässigkeit und Ambivalenz der in Straw Dogs dargestellten Geschlechterbilder
und Wertvorstellungen, die den Film unmissverständlich zu einem Dokument
seiner Zeit machen. Davids Überschreitung der eigenen Grenzen ist absolut
und unumkehrlich. Wie es am Ende in der Bejahung einer moralischen Bankrotterklärung
heißt: „I don’t know my way home“.
Katharina Stumm
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: www.critic.de
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Wer Gewalt sät
STRAW DOGS
England - 1971 - 117 (gek. 108) min. - FSK: ab 18; nicht feiertagsfrei
(gek. 16) - Verleih: Centfox, Thorn EMI/Polyband (Video) - Erstaufführung:
30.3.1972/1982 Video - Produktionsfirma: ABC/Talent/Amerbroco - Produktion:
Daniel Melnick
Regie: Sam Peckinpah
Buch: Sam Peckinpah, David Zelag Goodman
Vorlage: nach einem Roman von Gordon M. Williams
Kamera:
John Coquillon
Musik:
Jerry Fielding
Schnitt: Paul Davies, Roger Spottiswoode, Tony Lawson
Darsteller:
Dustin
Hoffman (David Sumner)
Susan
George (Amy Sumner)
Peter
Vaughan (Tom Hedden)
David
Warner (Henry Niles)
Colin
Welland (Reverend Hood)
DVD:
Straw Dogs – Wer Gewalt sät
Länge: 112 Min.
FSK: ab 16
EAN: 4009750 242285
Erschienen bei: Euro Video
Veröffentlichungsdatum: 12.07.2007
Bildformat: 1,77:1 (16:9 anamorph)
Ton/Sprache: Dolby Digital 2.0 Deutsch, Englisch
Untertitel: deutsch (nur Bonusmaterial)
Extras: Audiokommentar von Mike Siegel, Dokumentationsauszug „Passion
& Poetry“, Featurettes, Trailer, TV- & Radiospots, Super 8 Fassung,
16 – seitiges Booklet
zur startseite
zum archiv