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Straw
Dogs
„Dies ist mein Haus. Gewalttaten in diesem Haus lasse
ich nicht zu.“ ruft David Sumner (Dustin Hoffman) dem aggressiven und trunkenen
Pulk entgegen, der sein Anwesen belagert, um den hierin beherbergten und des
Mordes verdächtigten Henry Niles (David Warner) zu lynchen. Wenige Minuten
später, nachdem er seiner Frau Amy (Susan George) ins Gesicht schlägt
und so unwissentlich Assoziationen an die Vergewaltigung hervorruft, die zwei
der fünf draußen tobenden Männer an ihr verübten, wird
David selbst der Gewalt Einkehr in sein Heim verschaffen. Keiner der fünf
Belagerer verlässt lebend den Schauplatz. Die Gewaltspirale hat eine derartige
Eigendynamik entwickelt, dass an ihrem Ende nur die absolute Eskalation zu erwarten
war. Welche Mechanismen dazu vonnöten sind, um ihrer destruktiven Kraft
eine solche Geltungsmacht zu verschaffen und wie der Weg dorthin beschaffen
ist, das sind die Fragen, die Peckinpah in seiner so konzis anmutenden wie differenzierten
Studie verfolgt und dabei scheinbar seine Westernsujets spezifiziert.
Denn so archetypisch der Konflikt zwischen Ratio
und animalischem Impuls auch auf den ersten Blick erscheinen mag, wie er sich
in der dichotomen Beziehung des intellektuellen Astro–Mathematikers David zu
den rüpelhaften Dorfbewohnern des namenlosen englischen Städtchens,
in welches es das frisch vermählte Ehepaar verschlägt, bereits in
der Exposition einschreibt, so wenig dürfte Peckinpah daran gelegen sein,
dieses alteingesessene Western-Motiv in die Gegenwart zu verlegen. Augenscheinlich
sind sämtliche Ingredienzien vorhanden: der pazifistische Held will in
der Kleinstadt Ruhe für seine Arbeit finden. Die Bewohner beäugen
ihn mit Skepsis und verunmöglichen jedweden Integrationsversuch. Die Situation
spitzt sich zu: auch wenn unser Held nichts davon erfährt, finden die Attacken
in der Privatsphäre ihren Höhepunkt. Mit der Vergewaltigung seiner
Frau wird die (sexuelle) Integrität des Körpers und der gemeinsamen
Intimität zerstört. Mit dem Versuch, sein Haus, also seinen Besitz,
also sein Land, also seine Grenze samt der ihr eingeschriebenen Prinzipien zu
okkupieren, folgt die blutrünstige Verteidigung der Manifestation seiner
Würde und seines Glaubens. Zwar ist die Ordnung wieder hergestellt, sie
trägt aber irreversible Risse davon.
Diese Lesart (und mit Blick auf die Zensuranfechtungen,
die der Film – nicht nur in Deutschland - zu erdulden hatte, war sie stets die
dominierende) unterschlägt in Gänze den Anteil der Rolle Susan Georges.
Auf sie fokussiert, ließe sich die Inhaltsangabe auch folgendermaßen
formulieren: die Heldin kehrt mit dem frisch angetrauten Ehemann in ihre englische
Heimatstadt zurück. Ihre stetigen Bemühungen, David die unvertraute
Umgebung schmackhaft zu machen, bleiben fruchtlos. Seine intellektuelle Arbeit
überschattet das Eheverhältnis und fördert zunehmend die gegenseitige
Entfremdung. Gelangweilt von seinem Desinteresse und von Beginn an lebenslustiger
als er, schlagen die Versuche, David aus der Reserve zu locken, in Frustration
über. Im Gegensatz zu ihm hat Amy bereits erkannt, dass hinter seinem verhaltenen
Wesen der Unwille steckt, klar Position zu beziehen. Mit diesem Wissen, sowohl
David als auch die Interaktionsgepflogenheiten des Dorfes betreffend, schärft
sich ihr Blick für die drohende Gefahr, die von seinen Bewohnern ausgeht.
Gleichzeitig aber auch der Wille, dem Ehekorsett zu entfliehen. Enttäuscht
von seiner defensiven Haltung und den damit einhergehenden Kränkungen,
die indes nur sie bemerkt, bemüht sie selbst bei ihrer Vergewaltigung die
letzten Kräfte (denn einer der beiden Männer scheint ein ehemaliger
Beziehungspartner zu sein), um eigenmächtig Lustgewinn aus der Gewaltsituation
zu kitzeln. Der Versuch schlägt fehl. Traumatisiert und gebrochen verbleibt
ihr einzig zu beobachten, wie David alles darauf verwendet, sein Haus zu verteidigen
und dabei selbst vor grausamster Selbstjustiz nicht zurückschreckt.
Man mag es drehen und wenden, doch das Bemühen
dem Plot eine Hauptfigur zu unterstellen, unterschlägt das mehr oder weniger
verborgene Gewaltmoment der hier präsentierten Ehekonstellation. Diese
Ehekonstellation wiederum birgt von Anfang an soviel unausgesprochenes Konfliktpotential
in sich, dass es nicht einer abweisende Umgebung bedurft hätte, um ihren
Bruch zu befördern, zumal uns, etwa wenn Peckinpah unmittelbar in das Resultat
eines Streits hineinschneidet und uns die Elemente seiner Genese vorenthält,
zu viele Informationen fehlen, um die gemeinsame Geschichte der Charaktere,
wie so oft üblich und drum gewohnt, über Informationsanreichungen
der Tonspur zu erfassen. Wer die Charaktere sind, erfahren wir vornehmlich durch
ihre Interaktionen. Da wir darüber hinaus über ihre soziale Situierung
unterrichtet sind, liegt der Verdacht nahe, dem Verhalten von Typen beizuwohnen.
Alles in dieser zurückgezogenen Welt scheint merkwürdig disparat zu
sein, keine der Figuren auch nur einen Hauch des Vertrauens würdig. Die
kontemplative Idylle der Natur ist nebelig und von einem abweisenden Grau durchzogen.
Kein Kontrapunkt zur entflohenen Hektik der Großstadt. Die Bewohner reagieren
nicht nur auf die Fremden mit Abweisung und vorgetäuschter Freundlichkeit,
sondern scheinen auch untereinander zu keiner freundschaftlichen Bindung fähig.
Ein junges Geschwisterpärchen hegt innige Zuneigung füreinander, und
selbst in der ersten Einstellung, in der eine Gruppe Kinder zu sehen sind, die
um einen verwirrten Hund laut singend herumtänzeln, wird nicht ersichtlich,
wie die Grenzen zwischen Spiel und Qual beschaffen sind (das Œuvre Peckinpahs
indes lässt erahnen, dass es sich um Tierquälerei handelt).
In dieser Welt ist die Gewalt omnipräsent. Sie
entlädt sich eruptiv, aber sie brodelt nicht im Verborgenen, allenfalls
im Unausgesprochenen. Aus diesem Grunde ist das letzte Drittel des Films weniger
das Resultat einer kausalistischen Rekonstruktion jener Mechanismen, die es
braucht, um auch den Unbedarftesten zur Gewalt zu treiben. Dafür besitzt
die Figur Davids doch eine zu exponierte Stellung: ob er beständig seine
Frau mit seinem passiv–aggressiven Verhalten traktiert und zu keiner zärtlichen
Regung fähig ist oder ob er gegenüber der Dorfintelligenz mit dezenten
Provokationen und einem süffisanten Grinsen präsentiert, dass seine
intellektuellen Fähigkeiten dem Narzissmus nicht fern sind, weiß
er doch beim richtigen Anlass seine Kenntnisse zu nutzen, um als Sieger hervorzugehen.
Es ist auch dieser Rationalismus, der ihm dazu beihelfen wird, die Verteidigung
seines Heims siegreich zu koordinieren. Der Schlüssel hierzu ist seine
Vernunft bzw. ihre gewaltsame Instrumentalisierung, und diese Instrumentalisierung
hat er den gesamten Film über erprobt. In diesem Sinne bebildert Peckinpah
weniger eine negative Anthropologie des Menschen, als die adornitische Skepsis
gegenüber der Aufklärung: in einer unzivilisierten, gewaltdurchdrungenen
Welt ist auch die Vernunft selbst vor dieser Gewalt nicht gefeit und führt
ihr Wesen unter umgekehrten Vorzeichen fort. Das ist der unbequeme Tenor des
Films: Straw Dogs sind überall zu finden.
Zur DVD: Die Edition lässt keine Wünsche
offen und kann schon jetzt gerne als Veröffentlichung des Jahres gehandelt
werden. Das Booklet aus der Feder Mike Siegels informiert über die Produktionsbedingungen
des Films und ist reichhaltig mit Werbematerial aus verschiedenen Ländern
illustriert. Der ebenfalls von ihm eingesprochene Audiokommentar changiert aufschlussreich
zwischen Anekdote und Analyse.
Das Material der Bonus-DVD besteht aus einem Teil
der Dokumentation „Passion & Poetry: The Ballad of Sam Peckinpah.“ Als Ergänzung
finden sich nicht verwendete Interviews sowie Trailer und die Super 8 Fassung
des Films.
Da Eurovideo es geschafft hat, nicht nur die langjährige
Indizierung durch eine Neubewertung aufzuheben, sondern auch eine 16-er Freigabe
zu erreichen, kann endlich jeder Interessierte auf dieses Meisterwerk stoßen,
ohne verschämt das Gefühl erdulden zu müssen, mit halblegaler
Ware zu hantieren, wenn sich der Händler gen Giftschrank bewegt.
Sven Jachmann
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Wer
Gewalt sät
STRAW
DOGS
England
- 1971 - 117 (gek. 108) min. - FSK: ab 18; nicht feiertagsfrei (gek. 16) - Verleih:
Centfox, Thorn EMI/Polyband (Video) - Erstaufführung: 30.3.1972/1982 Video
- Produktionsfirma: ABC/Talent/Amerbroco - Produktion: Daniel Melnick
Regie:
Sam Peckinpah
Buch:
Sam Peckinpah, David Zelag Goodman
Vorlage:
nach einem Roman von Gordon M. Williams
Kamera: John
Coquillon
Musik: Jerry
Fielding
Schnitt:
Paul Davies, Roger Spottiswoode, Tony Lawson
Darsteller:
Dustin Hoffman
(David Sumner)
Susan George
(Amy Sumner)
Peter Vaughan
(Tom Hedden)
David Warner
(Henry Niles)
Colin Welland
(Reverend Hood)
DVD:
Straw
Dogs – Wer Gewalt sät
Länge:
112 Min.
FSK:
ab 16
EAN:
4009750 242285
Erschienen
bei: Euro Video
Veröffentlichungsdatum:
12.07.2007
Bildformat:
1,77:1 (16:9 anamorph)
Ton/Sprache:
Dolby Digital 2.0 Deutsch, Englisch
Untertitel:
deutsch (nur Bonusmaterial)
Extras:
Audiokommentar von Mike Siegel, Dokumentationsauszug „Passion & Poetry“,
Featurettes, Trailer, TV- & Radiospots, Super 8 Fassung, 16 – seitiges Booklet
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