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Stromboli
Unnachgiebigkeit ...
"Ich ließ mich suchen von denen,
die nicht nach mir fragten.
Ich ließ mich finden von denen,
die mich nicht suchten."
(Jesaja 65, 1)
(Aus dem Vorspann des Films)
"Ich
kann die angewiderten
Mienen nicht vergessen, mit
denen gewisse Leute über das
,Weinen' der Bergman in
,Stromboli' sprachen, und
darüber, wie sie die Nase
hoch zog. Aber Rossellini war
seiner Zeit weit voraus."
(Jacques Rivette zu den Kritikern des Films)
Recht hatte Jacques Rivette (frz. Regisseur der nouvelle
vague), der mit denjenigen abrechnete, die Rossellini vorwarfen, die Reinheit
des neorealistischen Films verlassen zu haben. Dabei ist "Stromboli"
in gewisser Weise trotzdem ein neorealistischer Film - nicht nur, was eine längere
Szene des Films betrifft, in denen die Fischer etwa ein Meter lange Fische auf
ihre Boote ziehen. Aber "Stromboli" ist auch "mehr" als
Neorealismus. In dem Film ist bereits jener Übergang zu spüren zu
einer Verbindung neorealistischer Elemente mit dem modernen Drama, in dem es
nicht nur um soziale oder politische Konflikte geht, sondern in denen in solchen
Konflikten das Individuum stärker in den Vordergrund rückt, in diesem
Film in Gestalt der aus Litauen stammenden Karin (Ingrid Bergman), die in einem
jener Flüchtlingslager im Frühjahr 1948 interniert ist, in die es
Menschen aus ganz Europa durch den Krieg getrieben hat.
An den Stacheldrahtzäunen des Teils des Lagers,
in denen Frauen interniert sind, stehen Männer, die offenbar darauf hoffen,
dort eine Frau zu finden. Unter ihnen ist auch Antonio (Mario Vitale), ein Fischer
aus Stromboli, einer der liparischen (oder äolischen) Inseln weit vor der
Küste Italiens. Er hat sich in Karin verliebt und bittet sie immer wieder,
ihn zu heiraten. Karin verhält sich abwartend, weil sie sich in den Kopf
gesetzt hat, nach Argentinien auszuwandern. Doch als der argentinische Konsul
ihr Einreisegesuch ablehnt, entscheidet sich Karin, Antonios Angebot anzunehmen.
Sie heiraten noch an Ort und Stelle und fahren nach Stromboli.
Stromboli ist eine raue Insel, beherrscht von einem
Vulkan, der immer mal wieder ausbricht. Viele Einwohner haben die Insel bereits
verlassen, sind nach Amerika, Großbritannien oder in andere Länder
ausgewandert, um dort ihr Glück zu versuchen. Nur einige ältere Männer,
denen die Umstellung auf ein Leben in Amerika zu hart war, sind nach einigen
Jahren wieder zurückgekehrt. Nicht nur die Insel ist rau, auch die Menschen
von Stromboli und ihre Lebensbedingungen sind hart. Man lebt praktisch nur vom
Fischfang, und nur vier größere Fischerboote können den Männern
des Ortes, aus dem Antonio stammt, Arbeit geben.
Als Karin dort ankommt, ist sie entsetzt, verzweifelt
und voller Wut. Denn so hat sie sich das Leben mit Antonio nicht vorgestellt.
Die Tradition beherrscht die Menschen. Alles ist eingefahren, und wer sich diesen
sozialen Bedingungen nicht anpasst, wird nie heimisch hier werden. "Ich
kann nicht leben wie ihr in diesem Deck", sagt sie zu Antonio, "ich
entstamme einer anderen Schicht. Eine Frau wie ich braucht Geld." Verzweifelt
geht sie durch den Ort, kann sich noch kaum verständigen, bittet den Priester
(Renzo Cesana) um Hilfe. Doch was soll er tun? Zeitweise findet sie sich mit
ihrem Schicksal ab in der Hoffnung, irgendwann genug Geld zu haben, um diesen
Ort des Schreckens zu verlassen. Sie richtet das Haus nach ihren Vorstellungen
ein, stellt die Madonnenfigur Antonions und einige andere Dinge der Tradition
zur Seite, lässt eine große Kaktee in eine Ecke pfalnzen. Aber Antonio
freut sich über diese Art der Einrichtung überhaupt nicht.
Die Frauen des Ortes meiden Karin, weil sie nicht
bescheiden sei. Und als sie bei einer Frau, die bei den Bewohnern einen schlechten
Ruf hat, ein Kleid umändern lässt, wird sie zum Gespött der Männer.
Als sie dem Leuchtturmwärter zu nahe kommt, zerreißt man sich das
Maul über sie, und Antonio ist so wütend auf sie, dass er Karin schlägt.
Immer deutlicher lässt Rossellini sein Publikum
spüren, welche Gegensätze hier aufeinander prallen, zwischen denen
es letztendlich keine Vermittlung zu geben scheint. Da sind die Menschen von
Stromboli, für die alles fremd ist, was sich nicht ihrer festgefügten
Tradition anpasst. Wer sich dem entzieht, bekommt Kälte und Ablehnung zu
spüren.
Da ist andererseits Karin, die diese Menschen nicht
versteht, aber auch nicht versucht zu verstehen, sondern ausschließlich
einen Weg heraus aus Stromboli sucht. Karin benutzt dafür drei Männer:
Zunächst glaubte sie, über die Heirat mit Antonio ihre Freiheit zu
finden und der Internierung zu entkommen. Jetzt versucht sie, den Priester in
Stromboli dafür einzuspannen. Er erzählt ihr, ein ehemaliger Bewohner
der Insel, der vor Jahren nach Amerika ausgewandert sei, habe ihm treuhänderisch
einige tausend Dollar hinterlassen für verarmte Menschen auf der Insel.
Karin fleht und bettelt ihn an, es sei doch besser, zwei Menschen - ihr und
Antonio - das Geld zu geben, um hier weggehen zu können. Aber der Priester
lehnt ab. Schließlich versucht sie, den Leuchtturmwärter, der ein
Auge auf sie geworfen hat, zu überreden, ihr zu helfen. Er bietet ihr an,
sie mit dem Boot wegzubringen. Doch Karin will lieber Geld von ihm, um in einen
anderen Ort der Insel zu gelangen und von dort die Insel heimlich zu verlassen.
Rossellini zeichnet seine Figuren jedoch nicht negativ
oder positiv. Schwarz-Weiß-Malerei ist nicht seine Sache. Er erzählt!
Und er erzählt eine relativ einfache Geschichte, in der das Verhängnisvolle,
das sich aus der gegenseitigen Distanz zwischen den Bewohnern und Karin ergibt,
auf eine überzeugende Art dargestellt wird. Beide "Seiten" pochen
auf ihre Eigenheit und auf die Stigmatisierung des / der jeweiligen anderen
als Fremde. Am schwierigsten ist dabei die Situation für Antonio, der zwischen
der Tradition und der Eigenart Karins steht und darauf nur mit Aggression und
Hilflosigkeit reagieren kann. Als Karin ihm verkündet, sie werde weggehen,
weil sie das Kind, das sie erwartet, nicht hier bekommen wolle, nagelt er die
Tür zum Haus mit einem Brett zu.
Letzter Auslöser für Karins Flucht über
die Berge, am Vulkan vorbei, ist ein Ausbruch des Vulkans einen Tag zuvor. Alle
Einwohner des Ortes flüchten auf die Boote, fahren hinaus aufs Meer, wo
der Priester eine Art Messe hält und danach die Menschen beginnen zu singen.
Man kann ahnen, worum sie in ihren Liedern bitten.
Rauch und Gase steigen auf, den Koffer und die Handtasche
hat Karin längst stehen gelassen, als sie über felsigen Untergrund
die Berge erklimmt, um in den anderen Ort zu gelangen. Der Nebel versperrt ihr
die Sicht, der Staub, der noch immer vom Vulkanausbruch dicht durch die Luft
schwebt. Und wenn sie eine Bergspitze erreicht hat und hofft, dahinter die Küste
zu sehen, wird sie jedesmal enttäuscht. Nur weitere Berge und Felsen bekommt
sie zu Gesicht. Der Verzweiflung nahe betet sie zu Gott, weint.
Dieses tragische Ende ist in gewisser Weise die Fortsetzung
der Isolation, die nicht erst im Internierungslager auf dem Festland begonnen
hatte. Es ist jene Form der Isolation, die zweiseitig bedingt ist: durch die
Unnachgiebigkeit in der eigenen wie der fremden Mentalität. Niemand sucht
den anderen wirklich, niemand fragt nach dem anderen wirklich. Antonio versucht
ebensowenig, Karin zu verstehen, wie umgekehrt.
"Stromboli" war einer von sechs gemeinsamen
Filmen von Rossellini und Bergman, die von 1950 bis 1957 verheiratet waren (u.a.
"Europa 51", 1952; "Wir Frauen", 1953; "Angst",
1954; "Reise in Italien", 1954). "Stromboli" ist auch heute
noch sehenswert - in seiner Klarheit, unverbrüchlichen Reinheit, seinem
Naturalismus und seiner Schärfe für Realitätssinn.
Wertung: 10 von 10 Punkten.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei:
Stromboli
Italien 1950, 107 Minuten
Regie: Roberto Rossellini
Drehbuch: Roberto Rossellini, Sergio Amidei, Gian Paolo Callegari,
Renzo Cesana
Musik: Renzo Rossellini
Kamera: Otello Martelli
Schnitt: Jolanda Benvenuti, Roland
Gross
Darsteller: Ingrid Bergman (Karin), Mario Vitale (Antonio), Renzo
Cesana (Priester), Mario Sponzo (Leuchtturmwärter)
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