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Der
Student von Prag
"...
und aus den Seiten stiegen die Figuren auf."
(aus
dem Vorspann)
Eine
Texttafel zu Beginn rechnet den Posten des Regisseurs Hanns Heinz Elwers zu.
Meine (etwas älteren) Quellen im Buchregal sprechen diesbezüglich
nur von Stellan Rye. Die IMDb
verteilt die Rolle auf beide Namen: Nichts Genaues weiß man nicht. Und
vielleicht macht es auch kaum Sinn, in diesem Stadium der Filmgeschichte bereits
vom "Regisseur" zu sprechen. Richtiger wäre wohl: "Autorenfilm".
Denn zusammen mit Der
Andere
begründete Der
Student von Prag
denselben. Wobei auch hier anzumerken ist, dass unser heutiger Begriff davon
sich natürlich unterscheidet: "Autorenfilme" waren damals Prestigefilme
für die Filmindustrie, die eigens von Literaten erdacht waren. Man wollte
im Feuilleton sich zunächst platzieren, und dann sich dort behaupten.
Der
Student von Prag
erweitert die horizontale Achse des vorderen Filmraumes, wo sein Geschehen in
der Regel stattfindet, um eine in die Tiefe nach hinten weg. Auffällig
oft ist die Bewegung ins Bildvordere hinein oder aber von dort nach hinten ab
Thema der Einstellung. Dies, so konnte man während der morgendlichen Seminarsitzung
beim Referat erfahren, unterscheide dann auch den europäischen vom amerikanischen
Spielfilm jener Tage: Während die USA bereits fröhlich schnitten,
herrschte in Europa die lange (und weitgehend ruhig bleibende) Einstellung vor,
in der sich das Geschehen zwischen Vorder- und Hintergrund organisierte.
Gewissermaßen
passt dies auch zu dem Film, stellt doch die romantische Annahme seine Grundprämisse,
dass sich das plane Bild - ein Spiegel (vielleicht aber, so denke ich kurz im
Saal, während dieser Szene: die Leinwand selbst) - als Fortsetzung des
diesseitigen Raums begreifen ließe, aus der Gestalten - Spiegelbilder,
Doppelgänger, Automaten - heraustreten und fleischlich werden könnten.
Meine schon seit längerem so eingeschätzte Grundannahme des Grusel-
und Horrorkinos als ein Genre, das wie kein zweites seinen eigenen Raum thematisiert
(um ihn zunächst zu entwickeln, dann zu destabilisieren, ihn "unheimlich"
werden zu lassen mit allen Mitteln, die ihm, dem Film - dem einzelnen, aber
auch ganz anonym verstanden -, recht und billig sind), findet hier bereits ein
erstes Zugeständnis von Seiten der Filmgeschichte.
*
Ein
bisschen wirkt der Film wie ein Versprechen. Dies natürlich eine rückblickende
Annahme, die Geschichte bereits strukturiert und Sinn ausgemacht hat. Ein Versprechen,
was die Kinematografie zu bieten wissen wird. Vieles wirkt noch unbeschlagen,
roh aneinandergehängt. Doch wird etwas formuliert, was über den Film
hinaus verweist. Das Gruselkino formiert, ja konfiguriert sich und lässt
erste Schauerahnungen wohlig über den Rücken gleiten. "Das ist
noch nicht alles", wird man vertröstet, "wir haben ja erst angefangen."
Der Rest: Geschichte (und Romantik).
*
Am
Ende erliegt Balduin dem Schuss, den er auf das Spiegelbild, dieses buchstäblich
kinematographische Phantasma, abgegeben hat: Die Kugel aus der aufs Gegenüber
gerichteten Pistole landet im eigenen Rumpf (der destabilisierte, unheimliche
Raum!). Eine Umkehrung dieses Motivs, zumindest innerhalb seiner Konstellation,
finden wir auch am diesseitigen Ende der Filmgeschichte, in Fight
Club.
Ob es wohl sinnvoll wäre, jenen mit diesem Film zu lesen, frage ich mich
kurz beim Verlassen des Saales. Immerhin erzählen beide vom Schauer der
fleischgewordenen Kopfgeburt. Die Distanz dazu schafft das Flächige des
Bewegungsbildes. Auf dass es flächig bleibe und die Gestalten dort bleiben,
wo wir uns aus sicherer Distanz vor ihnen gruseln!
Thomas
Groh
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Der
Student von Prag (1913)
Deutschland
- 1913 - 85/59 min. - schwarzweiß
Drama
Verleih:
Deutsches Institut für Filmkunde
Erstaufführung:
22.8.1913/6.7.1975 ZDF
Produktionsfirma:
Deutsche Bioscop
Regie:
Stellan Rye
Buch:
Hanns Heinz Ewers
Kamera:
Guido Seeber
Musik:
Bernd Kampka
Darsteller:
Paul
Wegener (Balduin)
John
Gottowt (Scapinelli)
Lyda
Salmonova (Lyduschka)
Grete
Berger (Gräfin Margit)
Lothar
Körner (Graf Schwarzenberg)
(Kurzkritik:
Um zu Reichtum und Ansehen zu kommen, verkauft Balduin, der beste Fechter von
Prag,
sein Spiegelbild an einen geheimnisvollen Fremden. Das angenehme Leben
endet
jedoch in der unheilvollen Flucht vor dem anderen Ich und schließlich
im
Tod.
Klassischer Stummfilm; er verarbeitet romantische Motive aus den Werken
von
E.T.A. Hoffmann, Chamisso und E.A. Poe zu einer düsteren
Doppelgängergeschichte,
die von dem Dänen Stellan Rye (1880-1914) als
virtuoses
Licht- und Schattenspiel inszeniert wurde. Einer der ersten
deutschen
Filme, der konsequent die vielfältigen optischen Möglichkeiten des
Mediums
nutzte und in den Dienst eines atmosphärischen Gesamteindrucks
stellte.
Ein maßgeblicher Vorläufer des deutschen Stummfilm-Expressionismus,
mit
dem Schauspieler-Regisseur Paul Wegener ("Der
Golem")
in der Titelrolle.)
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