Der Sturm (The Perfect Storm)
Sturm
und nichts außerdem
Wolfgang
Petersen geht wieder ins Wasser
Hochhausmächtig
türmen sich die Wellen auf, grauschwarzes Wasser, pfeilschnell peitschende
Windböen, schäumende See - dies ist das Szenario eines "perfekten
Sturm", des unangefochtenen Hauptdarstellers in diesem Film. Den Zuschauer
zieht es rasch hinein in die Waschküche der Natur. Hektisch wird die Kamera
hin und hergeschüttelt, das Gebrodel der vielen Geräusche untermalt
von pathetischer Musik verbindet sich zu einem eineinhalbstündigen Lärmteppich,
nicht weniger gewaltsam als die Bilder.
Mit
spontanem Dogma-Stil hat diese "Authentizität" freilich nichts
zu tun. Durchkalkuliert und computerberechnet ist jede Einstellung und der allergrößte
Teil des schweren Wetters kommt aus den Labors der Trickexperten. Manchmal glaubt
man das zu bemerken, doch zumeist gelingen die Effekte überraschend gut.
Und wenn man sich nicht prinzipiell und sofort sträubt gegen die leicht
durchschaubaren Überwältigungsstrategien - die als "synthetisch"
zu brandmarken eher billig ist - kann man sich für eine Weile gefangennehmen
lassen von dem Erlebnis, das einem Wolfgang Petersens THE PERFECT STORM bereitet,
und das als Katastrophenthriller funktioniert.
Hier
bewegt sich der deutsche Filmemigrant ganz auf den Spuren großer Vorbilder.
Schon immer suchte Hollywood auch eine Darstellung für das bisher Ungesehene,
wollte man faszinieren mit immer perfekteren Illusionen, immer authentischeren
Darstellungen von Objekten und Ereignissen, die in natura nicht (re-)konstruierbar
sind. Und immer ist dabei auch das "Es war einmal" der unausgesprochene
Imperativ dieser Gefühlsmaschine namens Kino. Ob einst der US-Bürgerkrieg,
ob Spielbergs Saurier oder Camerons TITANIC immer bezauberte man die Zuschauer
mit der Verbindung aus mehr oder weniger prägnantem "so ist gewesen"
und modernen Märchen.
Auch
Petersen hat ein reales Vorbild. 1991 verwüstete ein "Jahrhundertsturm"
die US-Küste. Ihm fiel auch das Fischerboot "Andrea Gail" mit
sechs Seeleuten zum Opfer. Die wahre Geschichte dieser Ereignisse verarbeitete
der Autor Sebastian Junger zu einem preisgekrönten Sachbuchbestseller,
auf dem THE PERFECT STORM fußt.
Eine
entscheidende Differenz liegt allerdings darin, dass der Regisseur den trockenen
Fakten des Buches, das über die letzten Tage der "Andrea Gail"
nichts wissen kann, eine "emotionale" Rahmenhandlung und die Nachempfindung
der persönlichen Schicksale hinzufügt. Das sich Petersen für
diesen Rahmen kaum interessiert, dass dieser für ihn nur ein Zugeständnis
an das "Popcornpublikum" bedeutet, verleugnet er keine Sekunde. Zu
schematisch, zu klischeehaft, zu oberflächlich wird hier vom ersten Augenblick
an alles gezeichnet. Rechtfertigen läßt sich dies zwar als taktischer
Schachzug des Regisseurs, damit wir Zuschauer nicht gar zu sehr leiden, wenn
es ihnen am Ende dann - gluckgluck - den Garaus macht. Doch wie sie sterben
- "wir haben das Richtige getan"-, und wie sie zuvor gelebt haben
- "Seid ihr Schwertfischer?!" - das kann man nicht ernst nehmen, das
geht auf keine Walfischhaut.
Dabei
wird andererseits doch so vieles angedeutet: George Clooney spielt den Skipper
nicht als besessenen Käptn Ahab, sondern als Westernheld am falschen Ort,
ein verkniffen schweigsamer, lone rider auf hoher See. Überhaupt beschwört
THE PERFECT STORM Männermythen um sie ad absurdum zu führen: der schweigsme
Führer ist dann irgendwo doch der Depp, der den entscheidenden Fehler gemacht
hat, und wer nicht auf die Frauen hört, lernen wir gleich mehrfach, muss
untergehen. Leicht schält sich aus der Story armer "Worker",
die gegen bessere Ahnung, von wirtschaftlicher Not und Produktionsverhältnissen
getrieben wieder aufs Meer fahren, auch ein Stück Kapitalismuskritik. Und
Schuld an allem Unglück trägt letztlich nur das Versagen der Kühlmaschine
- unbewußter oder ironischer Fingerzeig auf den american way of life.
So
ließen sich noch viele Zeichen entziffern. Doch zu lieblos, zu blass und
schematisch bleibt das ganze Drumherum. Und am Schluß geht es wieder einmal
um nichts mehr, als darum, aufrecht sterben zu lernen, und leider tun sie das
auch alle. Kein Geflenne, keine Krise, keine Klaustrophobie im Sturmchaos -
wie sie Petersen doch in DAS
BOOT
ganz ordentlich dargestellt hatte. Nur amerikanische Klischeemänner, nicht
von dieser Welt. Die Welt hier ist Sturm und nichts außerdem.
Rüdiger
Suchsland
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
artechock : FILM- UND KUNSTMAGAZIN
Der
Sturm – The Perfect Storm
USA
2000 - 129 Minuten -
Regie:
Wolfgang Petersen
Kamera: John Seale
Drehbuch:
William D. Wittliff, Sebastian Junger
Besetzung:
George Clooney, Mark Wahlberg, Diane Lane, John C. Reilly u.a.