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Suite
Havanna
Fernando
Perez porträtiert seine Heimatstadt
Ein
Leuchtturm im Morgengrauen. Straßenschilder in gebrochenen Farbtönen.
Brandung, die sich vor einer altertümlichen Uferpromenade bricht. Und eine
ausgeblichene Säule, vor der eine sorgfältig ondulierte Dame winzige
mit Erdnüssen gefüllte Papiertüten an Vorübergehende verkauft.
In puncto Filmruhm hat Havanna New York und Paris in Deutschland längst
den Rang abgelaufen. Doch die leidenschaftlichsten Liebeserklärungen wie
Wenders' BUENA
VISTA SOCIAL CLUB
oder Uli Gaulkes HAVANA
MI AMOR
kamen bisher immer von außerhalb: Liebhaber, die ihrer Leidenschaft auch
dann noch mit touristischem Blick frönen, wenn sie sich rechtschaffen bemühen,
dies nicht zu tun.
Insofern
ist es nicht überraschend, dass auch die Idee zu SUITE HAVANNA aus Europa
kam: Es war ein spanischer TV-Sender, der vor drei Jahren bei dem prominenten
kubanischen Regisseur Fernando Perez anfragte, ob er sich mit einem Beitrag
über Havanna an einer Städteporträt-Serie beteiligen wollte.
Perez (MADAGASKAR, LA VIDA ES SILBAR) sagte erst nach einigem Zögern zu,
weil er eigentlich von ganz anderen (Spielfilm-)Projekten träumte, für
die er allerdings das Geld nicht zusammenbekam. Auch die geplante Fernsehserie
scheiterte an der Finanzierung. Der Produzent verfolgte das Projekt trotzdem
weiter, und Perez nahm die Herausforderung an. Schließlich kennt und liebt
er seine Stadt und die Menschen, die in ihr leben. Oft genug hat er sie bei
seinen Spaziergängen beobachtet und herumfantasiert, welche Nöte und
Träume sie wohl bewegen.
Jetzt
hatte Perez einen Grund, die Menschen anzusprechen. Etwa den Bahnarbeiter, der
sich abends in einen Saxophonisten verwandelt. Eine Familie mit einem geistig
behinderten Sohn. Oder Jorge Luis, ein Mann in den besten Jahren, der in die
USA auswandert. Doch - wie macht man einen Dokumentarfilm, wenn man eigentlich
einen Spielfilm drehen möchte? Die üblichen Interviews wollte Perez
jedenfalls nicht in seinem Film haben. Stattdessen lässt er seine Helden
ihr eigenes Leben nachspielen und arrangiert die Splitter nach musikalischen
Prinzipien zu einem Tagesablauf, der sich an Filmen wie Ruttmanns BERLIN-DIE
SINFONIE DER GROSSSTADT orientiert: ein Film ganz ohne Worte. Ein Dokumentarfilm,
der zwar auf ein Drehbuch verzichtet, doch mit Stativ, gesetztem Licht und durchgeplanten
Fahrten wie ein Spielfilm inszeniert ist. Eine Suite -der Titel ist programmatisch
-die über weite Strecken ganz ohne die vertrauten Kubanismen auskommt.
Drogensüchtige, Prostituierte und Dollars haben in SUITE HAVANNA ebensowenig
Platz wie der gern beschworene morbide Glanz vergangener Zeit. Hier ist das
Leben profan. Man bewegt sich mit Fahrrad und Bahn, nicht im Chevrolet. Die
ondulierte Tütchenverkäuferin ist Ehefrau eines ehemaligen Professors
für Marxismus (das erfahren wir erst am Ende).
Zu
Hause sehen sich Amanda und ihr Mann im Fernsehen fähnchenschwenkende Massenaufläufe
an. Und während Jorge Luis das Flugzeug in die USA besteigt, schneidet
Perez einen Clown dazwischen, der eine Kindergruppe mit patriotischen Zaubertricks
unterhält. Um Politik gehe es ihm nicht, betont Perez im Gespräch
immer wieder. Und man würde es ihm gerne glauben, spräche nicht die
Melancholie des Verlusts in seinen Bildern und Melodien eine andere Sprache:
Da scheint SUITE HAVANNA ein Trauergesang auf eine Gesellschaft, die zwar offiziell
noch existiert, die Zukunft aber längst verloren hat. Dass der Film letztes
Jahr beim Filmfestival in Havanna reüssierte, zeigt, dass er offensichtlich
ein sehr gegenwärtiges Lebensgefühl trifft.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Suite
Havanna
SUITE
HABANA
Kuba
2003. R
und B: Fernando Pérez. P:
Jose Maria Morales, Camilo Vives. K: Raul Perez Ureta. Sch:
Julia Yip. M:
Edesio Alejandro, Ernesto Cisneros. T:
Jorge Luis Chijona. Pg:
Nirvana/Wanda Visión. V:
Kairos. L:
80 Min. Start (D): 18.11.2004
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