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Sunshine
So, so, die Sonne geht mal wieder aus. Macht aber nichts, alles halb
so schlimm, denn so wie man Meteoriten mit Hilfe einer Ölbohrcrew vom Kurs
abbringen oder die Erde durch geschicktes Hinunterbohren zum Weiterdrehen bringen
kann, so kann man auch die Sonne einfach wieder anzünden. Ein bisschen
wie Glühbirnenwechseln ist das wohl, man muss nur ein bisschen länger
hinfliegen, statt auf den nächsten wackeligen Küchenstuhl zu steigen.
Weil das im Prinzip also nicht weiter schwierig ist, braucht man sich nicht
lange Gedanken darum zu machen, wen man hinschickt, rauf zur Sonne. Aber damit
das Ganze zumindest den Anschein von Demokratie und globaler Gleichberechtigung
hat, nehmen wir halt zu den weißen Jungs, die ja eh die Wichtigen sind,
noch so ein paar Asiaten mit, die können so schön Selbstmord und,
ach, zwei Mädels, ja. Was mit dem Versprechen eines Kammerspiels beginnt,
neun Menschen, seit sieben Jahren unterwegs, kurz vor Eintritt in den Funkschatten,
das entpuppt sich dann ratzfatz zur neuen Staffel aus dem Big Brother-Container.
Alle ziemlich jung, alle eher hübsch, keine echten Probleme, dafür
gewaltig Rumgezicke, keine wahre Kompetenz, kaum Verstand und weder Zweck noch
Ziel.
Dummerweise ist aber die Geschichte, die Danny Boyle zu erzählen
vorgibt, keine Vorabend-Reality-Soap, sondern ein stellares Drama über
Leben oder Tod der Erde, und deshalb gibt es in diesem Hühnerhof noch nicht
mal Sex und erkennbare Charaktere, für die man auch nur voyeuristisches
Interesse entwickeln könnte, sondern lahme Masken. Hier entscheidet jeder
mal, wie er gerade will (die Frauen entscheiden freilich
gar nichts, aber dafür hat der Computer so eine schön anzügliche
Schlampenstimme), allein, versteht sich und ohne, dass noch mal einer draufschaut
oder mitdenkt. Geht ja bloß ums Glühbirnenwechseln, kann ja nicht
viel schiefgehen. Auch deshalb hat jeder (höchstens) eine Aufgabe und kennt
sich mit den Jobs der anderen nicht aus. Für die hat er sich in sieben
Jahren Raumfahrt offenbar auch herzlich wenig interessiert, und deshalb gehen
dann der Captain und der einzige Glühbirnenauswechselexperte auf Außenmission.
Dabei geht einiges kaputt, der Captain, das Schiff, die Gruppendynamik, das
Selbstvertrauen, der Sauerstoffgarten, der Glaube des Zuschauers und die Sprenkleranlage.
Macht aber nichts. Denn außer den bisherigen drei angerissenen und nie
ernst genommenen Geschichten haben Regisseur Boyle und Drehbuchschreiber Alex
Garland noch vier bis fünf weitere dabei. Und die lassen sie jetzt völlig
unstrukturiert auf ihr wehrloses Publikum los.
Da verlässt man jetzt den richtigen Kurs und fliegt ein bisschen
herum zur ersten Sonnenentzündungsmission, macht einen kleinen Ausflug
aufs verlassene Schiff, stümpert sich weiter durch, katapultiert, sich
schützend in Alufolie eingewickelt, ein paar hundert Meter weit durchs
Weltall, verliert weitere unbedeutende Crewmitglieder, gewinnt aber einen unscharfen
Freddy-Krüger-Zombie. Die Leute spinnen, der Computer spinnt, das Schiff
geht mehr und mehr kaputt, man weiß schon gar nicht mehr, worum es nochmal
geht, es gibt nicht genug Sauerstoff, man kommt nicht mehr zurück, die
Sonne ist noch stundenweit entfernt. Die einen verbrennen, die anderen erfrieren,
dann schaut noch kurz die essentielle Frage nach Gott vorbei, und dann ist sie
auch schon wieder weg. Soundtrack und Bild aber halten wenigstens wacker den
Anschein von herzrasender, schweißtropfentreibender Dramatik aufrecht.
Weiter! Recht so, immer weiter!
Letztlich ist es dann egal, ob man noch auf den Küchenschemel
steigt und ordentlich rankommt an die Funzel, oder ob man die Glühbirne
einfach irgendwie hinschleudert, vage in die richtige Richtung, wenn sie nur
irgendwie zerplatzt, dann geht das Licht schon wieder an. Viel zu schnelle Schnitte,
unrhythmisch verwirrende freeze frames, die vor allem an schlecht justierte Digitalreceiver
erinnern, wild verschwommene CG und ein im eigenen Pathos ersoffenes Bild von
lauter schönen weißen Sternchen und einer großen Flammenwand
bemühen sich vergebens um die Illusion einer ewig raugezerrten Klimax.
Aber dann, ja dann. Dann sehen wir zum ersten Mal die Erde, dämmerig und
winterlich, vom solarschattigen Klimawandel frostig angehaucht, und auf ihren
schneebedeckten Weiten tummeln sich, ach wie rührend und wie originell,
die hübsche junge Mutter, gebärende Gewähr des menschlichen Fortbestandes,
und ihre beiden Söhne. Und weil der starke Mann so toll ins All gefahren
ist, geht doch, tatsächlich, die Sonne wieder auf.
Ach, Danny.
Christina
J. Hein
Sunshine
Großbritannien
2006 - Regie: Danny Boyle - Darsteller: Rose Byrne, Cliff Curtis, Chris Evans,
Troy Garity, Cillian Murphy, Hiroyuki Sanada, Benedict Wong, Michelle Yeoh,
Mark Strong, Paloma Baeza, Archie Macdonald - FSK: ab 12 - Länge: 107 min.
- Start: 19.4.2007
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