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Sweeney
Todd
Der Frisör
des Grauens
In Tim Burtons Moritat "Sweeney Todd"
schneidet Johnny Depp als Barbier Kehlen durch und singt mit Helena Bonham-Carter
im Duett.
Rache ist Blutwurst, oder genauer: Fleischpastete.
Als Füllung unappetitlicher Mehlspeisen endet, wer im Stuhl des Barbiers
Sweeney Todd (Johnny Depp) einmal Platz genommen hat. Der verspricht seinen
Kunden die gründlichste Rasur ihres Lebens und befördert sie nach
blutigem Aderlass postwendend in den Keller des Hauses, wo die Pastetenbäckerin
und Komplizin Mrs. Lovett (Helena Bonham-Carter) permanent den Ofen befeuert.
Was das morbide Paar zusammenhält, ist die Macht
der Liebe, allerdings unter konträren Vorzeichen: Todd verzehrt sich, trauernd
über den Verlust seiner Frau, in Racheplänen gegen eine korrupte Londoner
Gesellschaft, Mrs. Lovett verzehrt sich nach Todd, nach dessen weißer
Haarsträhne und einem gemeinsamen Häuschen am Strand. Dieses gegenseitige
Missverständnis wird im Finale des Geschehens noch für einige tragische
Verwicklungen sorgen.
Bis es soweit ist, schneiden blinkende Rasiermesser
einige Dutzend Kehlen durch, mit unterschiedlichem Ergebnis. Manchmal flieht
das Blut wie unter Überdruck in munteren Fontänen, manchmal quillt
es dunkel und träge hervor. Einen überraschten Gesichtsausdruck haben
sie alle. "Sweeney Todd" ist Regisseur Tim Burtons bislang größtmögliche
Annäherung an die Nummern-Dramaturgie des Slasher-Films. Als Vorlage der
Gruselmär mit kannibalistischem Einschlag hat Burton das gleichnamige Musical
von Stephen Sondheim adaptiert.
Die Geschichte des "dämonischen Barbiers
von der Fleet Street" ist indes älter. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts
erzählte man sich in England von einem Barbier, der seine Kundschaft aufschlitzt
und über den Backofen entsorgen lässt. Mit ihren Elementen von morbider
Romantik und spätviktorianischem Gesellschaftskorsett wirkt die Legende
des Todd wie eigens für Burtons filmisches Universum ausgedacht. Doch ist
Johnny Depp diesmal kein großäugiger Edward mit den Rasierklingenhänden.
Dieser Außenseiter mit genialischem Talent hat von Anfang an alle Unschuld
verloren.
So düster und hoffnungslos war Tim Burton noch
nie; nur in seltenen Momenten entlässt er uns aus der Rachegeschichte durch
grimmigen Humor. Selbst der Gesang, den die Schauspieler übernehmen, wirkt
wie gedämpft. Getanzt wird ohnehin nicht, das wäre in den schmalen,
schmutzstarrenden Gassen, in denen der Nebel direkt aus den Mauern dampft, nur
schlecht möglich. Die Kamera von Dariusz Wolski kämpft tapfer schwenkend
und kreisend gegen die klamme Enge an, mitunter rast sie derart hektisch durch
das von Dante Ferretti besorgte Setdesign, als hätten Kameramann und Szenenbildner
eine Fehde auszutragen. Viel Muße, sich an Ferrettis viktorianischem London
sattzusehen, bekommt der Zuschauer jedenfalls nicht, im schlickrigen Schwarzgrau
verschmieren die Details ohnehin.
So ist Burtons "Sweeney Todd" weniger große
Oper als bittere Moritat, eine an der Straßenecke zum Grusel des Publikums
vorgetragene Schauerballade, eine Reverenz an die Frühform von Exploitation.
Burton-Fans werden den Sinn für die Anarchie der Fantasie vermissen, der
seine Filme sonst auszeichnet. Allzu deutlich sieht man vielen Szenen an, dass
sie nicht in Handarbeit, sondern am Computer entstanden sind: auf befremdliche
Weise ist der Schmutz merkwürdig glatt.
Der Burtonsche Kinozauber beruhte ja auch immer auf
einer kindlichen Freude am Selbstgebastelten, an den handgemachten Animationen
von "Corpse
Bride" und der plätzchenbackenden
Fließbandmechanik im Spukschloss von "Edward mit den Scherenhänden".
Die einzige Maschine, die Sweeney Todd entwirft, ist der Friseurstuhl als Falltür
zur Höllenküche. Was in ihr angerichtet wird, hinterlässt einen
bitteren Nachgeschmack.
Dietmar Kammerer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz
Sweeney
Todd - Der teuflische Barbier aus der Fleet Street
USA 2007 - Originaltitel: Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street - Regie: Tim Burton - Darsteller: Johnny Depp, Helena Bonham Carter, Alan Rickman, Sacha Baron Cohen - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 16 - Länge: 116 min. - Start: 21.2.2008
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