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Liebestoll
im Abendrot - Tasogare
Götter
des Glücks und des Unglücks
"Tasogare" ist ein Porno. Keine
Frage. Man sieht Sex, gar nicht wenig, und der Sex soll erregen. Es ist ein
Softporno, denn die Zeigbarkeitsregeln des "pinku eiga" sind, dem
Horror der japanischen Kultur vor dem Schamhaar entsprechend, recht streng.
"Pinku eiga" ist der Name für ein einzigartiges Genre des japanischen
Films: billig gemachte Softpornos, von den Studios - einst auch den großen
- seriell ausgestoßen: kaum Budget, keine Stars, wenig Drehzeit, auch
die Filme selbst sind in aller Regel nicht länger als sechzig Minuten.
Das allermeiste davon ist - aus cineastischer Perspektive - wirklich nicht sehenswert.
Zugleich war der "pinku eiga"
immer ein Experimentierfeld, auf dem, neben und unter den zu bedienenden Softporno-Regeln,
vieles ging und geht, das in reputierlicheren, teureren, offizielleren Filmen
nicht möglich war. Das Genre hat seine eigenen Stars hervorgebracht (etwa
Masaru Konuma in den Siebzigern, in den Neunzigern neben anderen Takahisa Zeze),
aber auch mancher später auf Festivals reüssierende Regisseur (zum
Beispiel Kyioshi Kurosawa) hat erst einmal abseits der großen Produktionen
die Chancen genutzt, die sich da boten, wo die Geldgeber einerseits sehr genaue,
ästhetisch aber kaum festgelegte Vorstellungen davon haben, wie ein Film
aussehen muss.
Die große Zeit des "pink film"
ist längst vorüber, das größte "pinka eiga"-Studio
Nikkatsu musste 1993 seine Pforten schließen; hier wie andernorts im Pornobereich
verdirbt das Internet endgültig manch lange Zeit sehr einträgliches
Geschäft. Nach wie vor aber werden diese Filme gedreht und nach wie vor
gibt es Regisseure, deren Ambition übers bloße Füllen der Szenen
zwischen den einschlägigen Stellen hinausgeht. Nur leicht ironisch werden
die Meister der jüngsten Generation der Softporno-Auteurs unter dem Gruppennamen
"Sieben Glücksgötter" zusammengefasst. Shinji Imaoka, der
Regisseur von "Tasogara - Liebestoll im Abendrot" ist einer von ihnen.
"Tasogare" startet nicht zufällig
in derselben Woche wie Andreas Dresens "Wolke 9" in den deutschen
Kinos - als vermutlich erster japanischer Pink-Film mit regulärem Kinoeinsatz
in Deutschland. Auch in "Tasogare" nämlich geht es um Liebe und
Sex im fortgeschrittenen Alter. Das Milieu, die Anmutung, die ästhetischen
Mittel könnten freilich kaum weiter entfernt sein von Dresens ostdeutschem
Sozialrealismuskino. Auf den ersten Blick scheint Funakichi (Masaru Taga), der
stark hinkende Mann fortgeschrittenen Alters, den der Film sich zum Helden erwählt,
nichts weiter als ein lüsterner Greis. Einen großen Teil seiner gut
einstündigen Laufzeit verbringt "Tasogare" jedoch damit, diesen
ersten - und nicht gänzlich falschen - Eindruck zu differenzieren.
Die Mittel des Regisseurs sind und bleiben
so einfach wie oft genug krude. Und frech und grotesk. In den Rückblenden
in die Jugendzeit lässt er seine Figuren keineswegs von jungen Darstellern
spielen, sondern setzt seinen alten Herrschaften einfach Perücken auf.
Mit Ausstattungsrealismus hat er wenig im Sinn. Vielmehr reiht er Szenen mit
Modellcharakter aneinander, umgibt und konterkariert die Sex-Episoden mit anderen
Episoden, malt also Form in Form. Imaoka scheut dabei vor wenig zurück.
Das erste und einzige Mal in ihrem Leben spricht Funakichis Ehefrau das Wort
"Muschi" auf dem Sterbebett aus; "berühr meine Muschi",
flüstert sie ihm, immer noch schüchtern, zu. Er wundert sich, er berührt
ihre Muschi, er befriedigt sie. Kurz darauf ist sie tot.
Was folgt, ist die Geschichte einer späten
Liebe. Bei einem Klassentreffen begegnet Funakichi der einst von ihm verehrten
und mächtig begehrten Kazuko (Yasuko Namikibashi) wieder. Sie kommen sich
nach dem Tod seiner Ehefrau näher und näher. Und als gäbe es
da keinen Unterschied, ersetzt Imaoka, der Glücksgott des Pink, die zuvor
pflichtschuldig eingefügten Sexszenen zwischen jungen Paaren durch eine
ganz selbstverständliche, von einer außerordentlich komischen Rückblende
unterbrochene Sexszene zwischen den beiden. Es gelingt dem Regisseur so ohne
jeden Aufwand an Tabubrecherei, was der Pornografie sonst so selten gelingt:
Er macht die Objekte des Blicks lüsterner Betrachter zu Subjekten ihres
eigenen Blicks auf sich selbst. Das ist und bleibt, als Softporno, der es ist,
nicht jedermanns und nicht jederfrau Sache. Ein ganz erstaunlicher kleiner Film
ist "Tasogare" aber doch.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
am 3.9.2008 in: www.perlentaucher.de
Liebestoll
im Abendrot - Tasogare
Regie:
Shinji Imaoka. Mit Masaru Taga, Yasuko Namikibashi, Kyoko Hayami, Kenji Yoshioka,
Kanako Kotani, Yoshiharu Fukuda, Kuniichi Takami. Japan 2007. 64 Minuten.
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