zur startseite
zum archiv
The
Happening
Blieben Hunderte von Menschen im Central
Park plötzlich wie angewurzelt stehen, dann würden die New Yorker
wohl erstmal mit den Achseln zucken. Wie etwa zur spektakulären Stillstehminute
in der Grand Central Station, zu der sich Massen von Gelegenheitsperformern
im Februar 2008 per Handy verabredeten. Vom sogenannten „Flashmobbing"
hat sich M. Night Shyamalan offenbar inspirieren lassen. Statt von Aktionskunst
kündet sein Intro allerdings vom blanken Horror: Normale Parkbesucher reden
unvermittelt wirres Zeug, erstarren, gehen ein paar Schritte rückwärts,
dann bringen sie sich massenhaft um. Bauarbeiter lassen sich wie Lemminge von
Gerüsten fallen, psychisch sonst unauffällige Bürger klettern
in Löwenkäfige oder lassen sich von Mähdreschern zermalmen, wobei
Shyamalan den Schrecken einmal mehr klug dosiert - um ihn umso nachhaltiger
in unsere Köpfe zu pflanzen.
„The Happening" ist schnörkellos
und rasant inszeniert, in Momenten wirkt er fast dokumentarisch. Ingredienzien
früherer Shyamalan-Werke wie Wundertaten, Geister oder Fantasyfiguren sind
wie weggeblasen. Inhaltlich und stilistisch hat der in Indien geborene Amerikaner
offenbar Kurskorrekturen vorgenommen, nachdem „Das
Mädchen aus dem Wasser"
an den Kinokassen Schiffbruch erlitt. Diesmal versucht er auch nicht, Genrekonventionen
auf den Kopf zu stellen, wie es ihm mit „Signs" (UFO-Invasion) und „The Village" (Kostümdrama) glückte
und im Fall des schwer überzüchteten „Unbreakable" (Superheldencomic)
misslang. „The Happening" orientiert sich ziemlich straight an Katastrophenthrillern,
wobei er vor allem dem Horrorfilm „Die
Vögel" verpflichtet
ist, ohne den Klassiker indes billig nachzuahmen. Ließ Hitchcock einst
Singvögel zu Mordmaschinen mutieren, bläst diesmal die Flora zum Angriff.
Zwar bleiben abschließende Erklärungen für die Selbstmordwelle
aus, die über den Osten der USA fegt, aber in Bildern von verstörender
Poesie legt Shyamalan nahe, dass sich Bäume, Gräser und Sträucher
der Menschheit entledigen wollen. Die filmische Umkehrung gelingt maliziös:
Wenn der Wind sanft bis kräftig durch Blattwerk und Büsche streicht,
wird das urromantische Bild zum Bedrohungssignal. Chlorophyll killt. Es ist,
als sehnte sich die Natur nach Frieden - ohne Menschen, die bereits scharenweise
an den Ästen hängen. „The Happening" ist der bislang furchterregenste
und gleichzeitig subtilste Beitrag zu Hollywoods derzeitigem Modethema Ökologie.
Bei Shyamalan stirbt die Hoffnung freilich
nie, und so wird die allgemeine Katastrophe mit einer Liebesgeschichte veredelt,
die nicht zuletzt dank der warmherzigen Hauptdarsteller Mark Wahlberg und Zooey
Deschanel bestens funktioniert. Die Jungverheirateten Elliot und Alma stecken
in einer mittleren Ehekrise. Aus der Millionenstadt Philadelphia muss das Paar
fliehen. Umständehalber „adoptieren" sie die Tochter eines Freundes,
weitere Klein- und Großfamilienkonstellationen werden genreüblich
durchgespielt. Keine Notgemeinschaft ist auf der Flucht durch Pennsylvanias
Felder und Wiesen (und vor ihnen!) von Dauer, nur das Vater-Mutter-Kind-Trio
hält bis zum Schluss durch. Da sich Menschenansammlungen im Lauf der Handlung
als Todesfallen erweisen, sieht es lange Zeit so aus, als läge das Heil
in totaler Vereinzelung. Doch diese vermeintliche Botschaft wird gegen Ende
des Films revidiert, wenn die Protagonisten bei einer halb verrückten Eremitin
Zuflucht finden, die sich von jeher ohne Außenweltkontakte, ohne Radio
und TV in ihrem Haus verschanzt hat. Shyamalan charakterisiert diese Frau als
Zerrbild einer liebevollen Großmutter, die in ihrer halsstarrigen Autarkie
ebenso scheitern muss wie jene Städter, die - auf symbolischer Ebene -
an Anonymität, Massenexistenz und Naturferne zugrundegehen. Ob’s einem
passt oder nicht: in jedem Shyamalan-Film steckt ein konservativer (bisweilen
auch reaktionärer) Kern. Hier wird die Familie besungen, die übrigens
suizid-resistent bleibt und sich schließlich auch wieder Kakteen an den
Badewannenrand stellt.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
im: film-Dienst
The
Happening
Indien / USA 2008 - Regie: M. Night Shyamalan - Darsteller: Mark Wahlberg, Zooey Deschanel, John Leguizamo, Spencer Breslin, Betty Buckley, Frank Collison, Victoria Clark, Robert Bailey jr., Joel de la Fuente - FSK: ab 16 - Länge: 95 min. - Start: 12.6.2008
zur startseite
zum archiv