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There
Will Be Blood
Ein Fluss von
Öl und Blut
Wir warten, seien wir doch ehrlich, immer auf den
»großen amerikanischen Film«. So wie man auf den großen
amerikanischen Roman wartet. Erstens weil Amerika nur durch sie zu fassen ist,
nicht durch Geschichte und Vernunft, und zweitens, weil der große amerikanische
Roman und der große amerikanische Film die endgültige Versöhnung
sein müssten zwischen der Kunst und dem Leben. Das gibt es natürlich
nicht, und deswegen ist diese Erwartung auch nur ein gewaltiger McGuffin in
der Traumfabrik. Aber es gibt Filme, die ziemlich nahe an diesen Traum reichen.
»There Will Be Blood« ist so nahe dran am großen amerikanischen
Film wie »The
Searchers«, »The Godfather«
oder »Goodfellas«.
Am Anfang sehen wir Daniel Plainview, wie er sich
in einer Mine schindet, bei einem Sturz beinahe draufgeht und statt Gold und
Silber Öl findet. Er wird ein »oil man«, und das muß
man sich so vorstellen, daß er Öl denkt, träumt, sucht, findet,
pumpt, schmiert und verkauft. Das Öl schwärzt seine Seele, es macht
ihn reich, böse und kaputt. Und er ist ein »family man«, einer,
der alles auf einen Sohn ausrichtet, der nicht seiner ist. Das Öl verändert
mit Plainview die Gestalt des amerikanischen Westens: wo vorher armselige Farmen
waren, auf denen vergessene Familien ihr Leben gegen Steine und Wind fristen,
da wachsen nun die Bohrtürme und die Baracken der Arbeiter, aber auch die
Städte und nicht zuletzt die Kirchen. Ob einer wie Plainview gut für
das Land ist oder nicht, das ist schwer zu sagen. Er täuscht und betrügt,
das kennen wir aus den Western von früher, die Farmer, aber er ist auch
der einzige, der sie aus ihrem grotesken Elend und ihrer wahren Gottverlassenheit
in die Moderne führt.
Ob Daniel Plainview gut für sich selber ist,
lässt sich schon eher sagen. Wir sehen einem Mann dabei zu, wie er immer
reicher und mächtiger, und wie er zugleich immer einsamer, böser und
verrückter wird. Der Alkohol ist da nur ein Beschleuniger. Der Unfall,
bei dem sein Sohn das Gehör verliert, die Begegnung mit einem Mann, der
vielleicht sein verschollener Bruder ist, die Fehde mit den Vertretern der konkurrierenden
Öl-Firmen, die mehr von Geld als von oil
men geleitet werden, der erste Mord
– Stationen auf dem Weg nach oben und nach unten zugleich. Zu Daniel Plainviews
größtem Widersacher aber wird der, der kein oil
man und kein family
man hat werden können, der Prediger,
der genauso gespalten ist wie Daniel; er ist von der Gier zerfressen, und vom
Hass auf seine Herkunft von den Unwissenden, Trägen und Bigotten, und zugleich
macht er sich ihre Unwissenheit, Trägheit und Bigotterie zur Waffe. Einen
Bruder hat auch er.
Das schöne an einem großen amerikanischen
Film, ist, dass er auf der ersten Ebene ganz einfach geschieht, so wie das Leben,
zusammengesetzt aus Dingen, die so oder auch anders hätten kommen können,
aus Dingen, die unvermeidlich sind, und aus Dingen, für die es so schnell
keine Erklärung gibt. Große amerikanische Filme bilden sich nicht
ein, das Land, die Menschen, die Zeit verstanden zu haben, sie sind ihnen nur
sehr nahe. Und sie geben den Dingen ihre Dauer, schauen einen Berg, eine Maschine
oder ein Gesicht genau so lange an, wie sie es verdienen. Aber auf der zweiten
Ebene ist ein Film wie »There Will Be Blood« auch voller Verweise
und Anspielungen, voller Schatten und Visionen: Hinter den Bildern unendlich
viele Bilder und hinter den Worten unendlich viel Worte. Man kann das alles
mit Marx, mit Freud, mit der Bibel, mit der Filmgeschichte, mit dem eigenen
Leben oder auch mit nichts als großer Neugier und Offenheit ansehen. Alle
Masken sind auch Spiegel, alle Widersacher zugleich Doppelgänger, alle
Gewalt auch Selbstzerstörung, alles Gewöhnliche zugleich metaphysisch.
Selbst wir als Zuschauer sind Teil dieses Spiels;
die Stimme von Daniel Day-Lewis kann seinen Widersachern und Opfern auf der
Leinwand genauso etwas vormachen wie uns. Oder auch nicht. Er ist, was alle
großen amerikanischen Romane und Filme brauchen: ein höllisch unzuverlässiger
Erzähler. (Und schon bekommt die Stummheit seines Sohnes eine weitere Bedeutung.)
Wenn er lügt, sagt er mindestens fünf Wahrheiten, und wenn er die
Wahrheit sagt, mindestens fünf Lügen. So haben auch seine letzten
Worte in diesem Film mindestens sechs Bedeutungen. Sie lauten: »I'm finished«.
Es ist eine Männerwelt, in der Paul Thomas Andersons
Film spielt, sehr frei nach Upton Sinclairs Roman »Öl!«; die
einzige Frau drängt sich vom Rande her herein, entschlossen und demütig,
eher eine Frau von John Ford denn eine von Howard Hawks. Jedenfalls die einzige
Aussicht auf Erlösung, aus der Männerhölle von Kirche und Kapital,
Öl und Blut. Aber auch diese Gleichung geht nicht so einfach auf, genau
so wenig wie die von schöner Natur und hässlicher Industrie, von Schuld
und Sühne oder von Familie und Heimat. Und schon gar nicht die vom Einfachen
und vom Komplizierten.
Übrigens kann man in diesem Film nicht nur die
Leistungen von Regie, Schauspielern, die Kamera und die grandiose Musik von
Radiohead Jonny Greenwood bewundern, man möchte noch dem Kerl gratulieren,
der die Schrauben für die hölzernen Bohrtürme ausgesucht hat,
oder der alten Dame in der hinteren Reihe der Kirche, die vielleicht gerade
an ihre Kindheit denkt, während die Kamera sie mit dieser bedächtigen
Neugier streift. Bei einem großen amerikanischen Film kommen eine Menge
Zärtlichkeit, Leidenschaft und sonst noch ein Haufen Gefühle zu ihrer
handwerklichen Präzision. Es sind Filme wie dieser, die das Kino zu einem
wichtigen Ort machen. Immer noch, trotz alledem und mehr denn je.
Note 2+
Georg Seeßlen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: www.strandgut.de
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
There
Will Be Blood
USA 2007
- Regie: Paul Thomas Anderson - Darsteller: Daniel Day-Lewis, Paul Dano, Kevin
J. O’Connor, Ciarán Hinds, Dillon Freasier, Mary Elizabeth Barrett, Christine
Olejniczak, Barry Del Sherman - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab
12 - Länge: 158 min. - Start: 14.2.2008
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