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The
Wild Blue Yonder
Wir sind dann
mal weg
Flucht ins Weltall: »The Wild Blue Yonder«
ist eine Science-Fiction-Fantasie des Filmregisseurs Werner Herzog.
Der Filmregisseur Werner Herzog hat bekanntlich ein
Faible für beschwerliche bis unmögliche Reise-Unternehmungen. Ob er
im Winter zu Fuß nach Paris pilgert, um magisch auf die Gesundheit der
Filmkritikerin Lotte Eisner einzuwirken, oder den Amazonasdampfer in Fitzcarraldo
über einen Berg ziehen lässt, seine Liebe zu Grenzerfahrungen kennt
keine Grenzen. Endlich hat er ein Projekt gefunden, das seine bisherigen Unternehmungen,
sowohl was die zurückzulegende Entfernung wie auch die dazugehörigen
Reisemittel betrifft, weit in den Schatten stellt. Wenn man zur Überwindung
der von Herzog in Anschlag gebrachten Distanz das schnellste je gebaute menschliche
Fortbewegungsmittel einsetzen würde, hätte die Menschheit, wäre
sie zu Beginn der Steinzeit gestartet, heute erst 30 Prozent dieses Weges geschafft.
Daher ist The
Wild Blue Yonder, Herzogs »Science
Fiction Fantasy«, kein Dokumentarfilm geworden, auch wenn er über
weite Strecken so aussieht. Wackelkameras fangen fremde Lebensformen ein, schwarz-weiße
Bilder künden unklar von der Frühzeit des Fliegens, zweifelhafte Wissenschaftler
winken mit windigen Weltformeln. Aber von dem Zwang, in seinen Filmen immer
alles existenziell selbst durchzustehen oder andere hautnah erleben zu lassen,
hat sich der Regisseur weitgehend freigemacht.
Irgendwann, so der Plot, nimmt die Menschheit den
alten Roswell-Zwischenfall von 1947 doch noch ernst. Die Ufologen hatten immer
schon Recht: Damals ist wirklich ein Schiff von Außerirdischen auf der
Erde notgelandet, was die Regierung natürlich vertuscht hat. Mit neuen
Methoden hat man den Space-Schrott noch einmal inspiziert und dabei aus Versehen
todbringende Essenzen freigesetzt. Um die Menschheit zu retten, musste Ende
der neunziger Jahre unter strikter Geheimhaltung eine Astronautencrew nach einer
Ersatz-Erde suchen und dabei alle bisherigen kosmischen Geschwindigkeitsbeschränkungen
durch den Einsatz neuer astrophysikalischer Erkenntnisse überwinden: Wurmlöcher,
wenig stabile Zeittunnel und das Ausnutzen von stellarer Anziehungskraft helfen
dabei.
Werner Herzog hat für seine Filme immer gern
ein exzentrisches Gegenüber als Kraftzentrum genutzt. Hier hat er mit Brad
Dourif, einem großen Serienmörderdarsteller und versierten Vertreter
amerikanischer weirdness offensichtlich einen gefunden. Dourif ist ein Alien,
der seinen langsam gefrierenden Planeten verlassen musste. Ein Teil seines Volkes
hat es auf die Erde geschafft, wo sie auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten
eine neue Zivilisation errichten wollten – vergeblich. »Wir waren wohl
Versager«, mault Dourif, während man im Hintergrund idiotisch antikisierende,
verlassene Gebäude in einer amerikanischen Kleinstadt sieht, angeblich
Ruinen des gescheiterten Versuchs der Außerirdischen. »Ihr kennt
Aliens immer als Leute, die in kurzer Zeit New York dem Erdboden gleichmachen
können, aber glaubt mir, in Wirklichkeit nerven Aliens.«
Herzog hat in seinem Film inszenierte und echte Nasa-Bilder
von Weltraumreisen fröhlich gemischt. Auffällige Locations und verrücktes
Filmmaterial aus dem weiteren Umfeld der Weltraumforschung bilden dokumentarische
Belege für die Geschichte, die der Alien uns erzählt. So hat man das
Gefühl, dass die Geschichte mit viel Humor all das narrativ zusammenschustert,
was dem Regisseur an interessantem Material über den Weg lief. Der Alien
hat aus irgendwelchen Gründen – vielleicht aus seiner Zeit bei der CIA?
– als Einziger Zugang zu den Bildern von schwerelosen Tänzchen und Übungen,
die die Astronauten von ihrer Expedition zur Erde gefunkt haben. Er weiß
auch sonst viel mehr, als ein Erzähler normalerweise weiß. Mit zerzaustem
Haar und stechenden Augen steht er an gottverlassenen Wüstenschrottplätzen
und anderen windigen Ecken der USA – und predigt. Etwa so muss der Mann aussehen, als dessen Parodie die Figur
des Kramer in Seinfeld angelegt ist.
Den unkomischen Gegenpol zum Alien bilden diesmal
einige sensationelle Musiker. Zum einen der kalifornische Experimentalmusiker
und Gitarrenmusikhistoriker Henry Kaiser. Der passionierte Unterwasserkameramann
hat unter antarktischen Eisflächen unfassbare Bilder von eben dem fremden
Planeten gemacht, auf dem die Astronauten schließlich landen und der sich
als der herausstellt, von dem Dourif einst geflohen ist. Zum anderen ist es
das Duo aus dem niederländischen Cellisten Ernst Reijseger und dem senegalesischen
Vokalakrobaten Mola Sylla. Beide kommen aus der improvisierten Musik und verkörpern
in Herzogs Film alle möglichen Drone- und Kehlgesang-Traditionen zwischen
Sibirien und Sardinien. Sie eignen sich vorzüglich als Soundtrack der Schwerelosigkeit
wie auch als Untermalung der Unterwasserwelt.
Herzog gibt Kaisers Bildern reichlich Raum zur Entfaltung,
doch er macht sich über deren Erhabenheit auch lustig: Quallen und Plankton
werden von Dourifs Off-Stimme als die Tiere seines Planeten vorgestellt, denen
die irdischen Kolonisatoren nicht respektvoll genug begegnen. Sylla hingegen
intoniert eine sehr fremde Fremdsprache, die man womöglich als Kontaktversuch
der antarktischen Quallen verstehen soll. Diese doppelt scheiternden gegenseitigen
Kolonisierungsversuche von respektlosen Menschen und Versager-Aliens sind ausgesprochen
unseriös und hinterlassen dennoch überraschend schöne und ernsthafte
Bilder.
Werner Herzog hat eine psychedelische Miniatur über
das allgegenwärtige Lieblingsthema, die Andersheit des anderen, gedreht
und ihm respektvoll den Boden unter den Füßen weggezogen. Am Ende
sehen wir Aufnahmen, die in 800 Jahren auf einer entvölkerten Erde entstanden
sein werden, ohne allerdings zu erfahren, durch welches Wurmloch Herzog die
nun wieder gedreht hat.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Die Zeit
Zu diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
The
Wild Blue Yonder
Deutschland / Großbritannien 2005 - Regie: Werner Herzog - Darsteller: Brad Dourif, Capt. Donald Williams, Dr. Ellen Baker, Franklin Chang-Diaz, Shannon Lucid, Michael McCulley, Roger Diehl, Ted Sweetser - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 81 min. - Start: 1.11.2007
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