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Tomb
Raider
Manchmal sind die Leute doch wirklich zu und zu reflexhaft.
Wie Lara Croft jetzt nochmal so richtig zum Thema der Feuilletons und aller
möglicher organischer Kulturwissenschaftler wird, ist genauso altmodisch
wie die sechsundfünfzigste Rückkehr der Big-Brother-Diskussion durch
das französische Loft-Äquivalent, auf das zu allem Überfluß
natürlich Baudrillard den ersten Voyeurismus-Vergleich-Stein werfen muß,
obwohl doch jeder weiß, daß Menschen, die wissen, daß man
ihnen zusieht, unmöglich zu Objekten von Voyeuren werden können. Genauso
dementiert die Tatsache, daß KuWis und Feujis erst durch den Film so richtig
auf Lara Croft aufmerksam geworden sind, genau deren Diagnose von der Neuheit
dieser Figur, denn die war ja als Tomb-Raider-Digi-Göttin neu, nicht aber
als Angelina Jolie. Naja, im Verhältnis wird der Blick auf das digitale
Vorbild vielleicht erst möglich.
Hoch im Kurs ist zur Zeit die Rede vom neuen künstlichen
Menschen Croft. Das läßt sich gut mit anderen neuen Menschen und
den diversen Sci-Fi-Debatten rund um Gähntechnologie vernetzen. Lara, die
ballernde Stammzelle. Besonders niederschmetternd ist dann, daß nicht
die erwartbar verquatschten Spekulierschwartlappen wie Sloterdijk, sondern bewährte
Kräfte wie Christina von Braun Parallelen zwischen echten gezüchteten
neuen Menschenkörpern und neuen digitalen Formen der Darstellung ziehen.
So geschehen neulich in der „Kulturzeit“ in einem Lara-Croft-Bericht. Ist die
Kulturwissenschaft so weit weg von den Phänomenen, daß ihr der Status
dieser Figur überhaupt nicht klar ist? Lara Croft ist eine Station in einer
Reihe digitaler Darstellungsmittel, die in dieser Reihe auch einen neuen Stand
markierte, aber mitnichten ist sie dieses Darstellungsmittel. Und es gibt da
draußen auch keine echten Avatare mit dicken Titten, die die Humboldt-Uni
platt machen wollen, auch wenn die Gegenden, in denen Lara im Film sich rumtreibt
dem namensgebenden Entdeckunsgreisenden dieser Uni sicher Spaß gemacht
hätten.
Lara handelt nicht von neuen künstlichen, sondern
alten projizierten Menschen, ja den allerältesten, Männerphantasien
und Abenteurer: sie zeigt sie nur anders, so wie sich Zeichnung und Malerei
unterscheiden. Weder Film noch Game handeln von jenem Stoff, der von Alraune bis Blade Runner and back again in drei Milliarden Filmen tatsächlich
Thema war. Die Fortschritte in digitaler Gestaltung und die des genetic engineering sind zwei völlig verschiedene paar Khaki-Shorts.
Und jedes unter dem Regime sexistischer Normen vergossene Gramm Silikon rechtfertigt
die kulturdiagnostische Engführung von Körpererneuerungs- und -züchtungsprogrammen mit populärkulturellen
Formen tausendmal mehr als die Digitalität der Darstellungsmittel der Lara
Croft. Was anderes wäre es, wenn wir über die Ideologie dieser Darstellung
reden - die hat aber nichts mit der Digitalität zu tun. Jedenfalls so wenig
wie die Mickey Maus mit der Erfindung der Kalashnikov - obwohl auch die irgendwo
an der Humboldt wahrscheinlich enggeführt werden.
Lara Croft ist sicher zunächst eine sexistische
Phantasie supreme. Jedoch eine ironische, sie enthält eine augenzwinkernde
Selbstkritik, mit der ihr Designer schmunzelt: „So sind wir Männer“. Und
sein Kumpel im Digi-Lab läßt noch ein paar Extratittenpixel rüberwachsen.
Laß uns ein bißchen übertreiben. Das ändert überhaupt
nichts daran, daß junge und mitteljunge Jungs die digitale Lara richtig
geil finden. Vor allem deswegen, weil sie auch noch süß ist. Digitale
3D-Wesen sind so glatt und flutschig und diese besondere visuelle Qualität
- die ja eigentlich einem Mangel an erstrebten Naturalismus entspricht - läßt
sich in dem Zwischenreich zwischen Karikatur und Wichsvorlage, wo ja viele öffentliche
Frauenkörper zur Zeit angesiedelt sind, hervorragend nutzen. Doch auch
die diversen sexistischen Markierungen fallen der verdienten Feministin von
Braun nicht auf, statt dessen behauptet sie, Croft befriedige die Sehnsucht
nach Vereinigung der zwei Geschlechtercodierungen in einer neuen, übermächtigen
Gestalt. Wie bitte? Ja, weil Croft gleichzeitig kräftig bis omnipotent
und weiblich sei. Aber das war doch auch schon Pippi Langstrumpf. Das undigitalste
Wesen unter den neuen Menschen.
Man könnte natürlich noch argumentieren, daß
Lara, da bis dato Avatar, also eine Figur zum Hineinschlüpfen für
die Spielenden, auf diese Weise ein paar ballernde Jungs in Gender Trouble gebracht
hätte. Schließlich mußten sie sich ja mit Lara identifizieren.
Aber vergiß es. Was heißt schon identifizieren bei Avataren? Man
nennt es: die Puppen tanzen lassen. Und über eine ironische Brücke
hinweg ihre Geilheit aufrechterhalten können solche Jungs genauso wie die
Verehrer von Little Annie Fanny aus dem „Playboy“ der 70er. In Lara aber gar
eine feministische Veranstaltung zu sehen, nur weil sie wie es so doof heißt,
„eine Männerdomäne erobert“ hätte, ist verstiegen. Auch vom zuweilen
herangezogenen „Tank Girl“ unterscheiden sie da Welten: ihre spezifische digitale
Hübschheit, ihre Devo-Kraftwerk-ballethaften Bewegungen, die Gazelle-Roboter-Verschmelzung
scheinen doch eher im Modus der elektronischen Ironie deren spezifische Sexualisierung
zu erproben. Wogegen noch nicht so viel einzuwenden wäre, wenn sie nicht
wieder an klassisch-sexistische Stereotypen des Weiblichen unlocker angebunden
wären.
Lara Croft löste auch den letzten nicht mehr ausgetragenen,
ja nicht einmal mehr ausgesprochenen Generationskonflikt zwischen der alten
und der neuen „Spex“ aus. Als ich noch zu den Gesellschaftern gehörte,
entdeckten einige der Leute, die heute mit viel Erfolg die Geschicke des Blattes
lenken, ihre Begeisterung für Lara. Wir Alten fanden das nun nur noch kindisch,
jungsig, sexistisch und blöde, aber hatten gar nicht mehr die Kraft das
auszusprechen. Die zehn bis fünfzehn Jahre Jüngeren sahen wohl unseren
Mißmut und die halb geöffneten Fischmünder, hatten aber auch
keine Lust, auf unsere unausgesprochenen Sexismus-Vorwürfe mit „Geile Graphics“
zu reagieren. Lara war das Ende. Das wiederum freut dann wieder die Medienhistoriker,
weil dieses kulturelle Ende mit einer technisch-medialen neuen Stufe der Entwicklung
digitaler Kultur zusammenfalle, nicht mit einem kulturellen Bruch. Ich sage,
da irren sie erneut: Es geht um eine spezifische kulturelle Verkörperung
dieser technisch-medialen Stufe, der Definition opaker Digitalhaut als gleichzeitig
lecker Partialobjekt für Frühpubertäre und Interface eines Vollbild-Sexismus
für Spätpubertäre.
Nun wird viel spekuliert über ein langsames Überfluten
des Kinos durch die Produkte und auch Ästhetiken der mächtigen Computerspielindustrie.
Tatsächlich könnte es zum Paradigma einer, nach Film- und Popmusikindustrie
auch historisch dritten digitalen Kulturindustrie werden, „Content“, wie sie
heute sagen, mühelos von Medium zu Medium, von Interface zu Interface zu
verschieben. Doch gerade bei „Lara Croft“ ist das ja nun wieder mißglückt:
die neue Version des „Tomb Raider“-Game wurde nicht rechtzeitig fertig und der
Synergie-Effekt vergammelt irgendwo im kambodschanischen Dschungel.
Mancher hat die Ästhetik der Spiele im Film in den
Momenten des Anhaltens und der ungewöhnlich zelebrierten Energieaufnahme
wiedererkannt. Es sind vor allem im Medienvergleich die ideologischsten - vielleicht
auch ironischsten. Nun muß auch der Mensch Jolie sich wie so ein durchökonomisierter
Roboter auf die Addition und Subtraktion von Lebenskraft reduzieren lassen,
wie es bis dahin nur die sarkastischste marxistische Ideologiekritik als auch
kulturelles Schicksal der Subjekte schildert - es geht immer nur um Reproduktion!.
Das fällt nur im neuen und vertrauten Medium Film als Zumutung auf, im
Game gehört es eben zu den Regeln. Dann wiederum fällt einem in den
Filmen des Regisseurs Simon West, der schon mit „Con Air“ den in dieser Hinsicht
allerdings weiterhin unschlagbar blödesten, schlechtesten und rund um faschistischsten
Film aller Zeiten gedreht hat, eigentlich auch wieder gar nichts auf.
Und Avatare hat die Kinoindustrie seit Rambo ja schon
viele produziert. Insbesondere Van Damme konnte in dieser und nur in dieser
Funktion eigene Genres begründen, deren Ergebnisse zuweilen auch ganz lustig
sind, weil ja im Gegensatz zu Games, wo man nur sieht, was auch gepixelt wurde,
bei einem Film die Kamera hin und wieder auch Umweltreste miteinfängt die
nicht zu der dichtkalfaterten künstlichen Welt gehören - was bei Van
Dammes Schlägereien in aller Welt zuweilen gute Quatschkonstellationen
zwischen unpräparierter Echtwelt und Gamesituationen ergibt. Angkor Wat
dagegen ist nicht von dieser Welt. Das haben die Roten Khmer bekanntlich zugepixelt.
Überhaupt sind ja viele kulturelle Formen der digitalen
Welt schon kurz vor ihrem Siegeszug entstanden. Fanzines und Mail-Order-Kultur
explodierten schon vor dem Internet und Abenteuer Avatar-artiger Subjekte, die
durch Welten wie durch Ebenen und Häuser sich kämpfend bewegten, produziert
Hollywood seit den frühen 80ern verstärkt. Ein Unterschied besteht
nur darin, daß immer dann, wenn eine technisch medial geringfügig
fortgeschrittene Darstellungsweise erreicht ist und sich als solche auch markieren
und zur Schau stellen kann, alle Welt nur noch auf diese schaut und den ideologischen
Müll des Content einfach so durchrutschen läßt, ja ihn gar kulturdiagnostisch
zur Eigenschaft oder zum speziellen Effekt des Medialen hochjazzt. Gewichst
wird derweil immer noch mit derselben analogen Soft- bis Hardware.
Diedrich Diederichsen
Tomb
Raider
USA
2001 - Regie: Simon West - Darsteller: Angelina Jolie, Iain Glen, Daniel Craig,
Leslie Phillips, Noah Taylor, Julian Rhind Tutt, Mark Collie, Rachel Appleton,
Chris Barrie, Richard Johnson, Jon Voight, Robert Phillips, Stephanie Burns
- Länge: 105 min. - Start: 28.6.2001
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